«Muss es eine Tante sein?»
Mutter rührte in ihrem Gin-Fizz, sodass die Eiswürfel nervös klapperten. Dann etwas schriller: «...schwirren in dieser Familie nicht schon genügend alte Tanten herum. Reicht dir dieses Duftgemisch von Naphthalin, kölnischem 4711 und Pfefferminz-Dragées nicht...?»
DER DISPUT WIRBELTE UM MEIN MORGENSTRAICH- KOSTÜM.
Da ich noch nie an der Fasnacht mitgelaufen war, besass ich auch kein altes Zugskostüm, das ich hätte umbauen können. Und was Fasnacht betraf - da waren sich die Alten ausnahmsweise mal einig: «VON WEM ER DAS NUR HAT? - ES MUSS EIN GENETISCHER IRRLÄUFER SEIN!»
Sie waren beide nicht fürs Frohe von Räpplischlachten, Mimosenduft und Papierschlangen. Mit Ach und Krach durfte ich mich bei der Lälli-Clique zur Pfeiferstunde melden. Als ich jedoch ein Piccolo brauchte, hatte Mutter ebenfalls die Eiswürfel klirren lassen: «KEIN CENTIME WIRD FÜR SO ETWAS LIEDERLICHES VERKLIMPERT!» Also heulte ich bei der Kembserweg-Omi. Und die putzte Überstunden, sodass ich schliesslich im «Goldenen Sternen» auf einem schräg verstimmten Schreiholz das Einmaleins des Arabi blasen lernen durfte.
NUN GING ES ALSO UMS ERSTE MORGENSTRAICH- KOSTÜM. Ich war acht. Ich war schräg. Und ich ging allen auf den Sack. «ICH WILL EINE TANTE SEIN!» Der Vater streichelte das dünne Haar seines einzigen Stammhalters: «Aber Bubi - eine Tante wirst du noch früh genug! Nimm meine schwarze Trämler-Pelerine. Schmink dir den Kopf weiss. Und pfeife als Dracula...»
«DAS IST NICHT FASNACHT!», jaulte ich. «...Schminken schon gar nicht! Es muss ein klassisches Kostüm sein - alle Fasnächtler sind Tanten...!»
Derselbe Vater, der mich damals als blutrünstiger Vampir mit scharfen Eckzähnen in die Morgenstraichwelt hinausschicken wollte, eröffnete mir 40 Jahre später stolz: «Die Olymper haben mich gefragt, ob ich bei ihnen als Vorreiter den Zug anführen wolle...» Nach jenen drei Tagen auf dem hohen Ross hatte er die Fasnacht erfunden. Vom «Dracula» wollte er nichts mehr wissen: «Du mit deiner Fantasie ich habe dir einen kleinen Waggis gekauft, und du hast einen Transvestiten aus ihm gemacht! DAS IST N I C H T FASNACHT.»
Diesmal war es die andere Grossmutter-Seite, die unerwartet in die Bresche sprang. Die Omama war so etwas von stinkig vornehm, dass man bei ihrem Auftritt unwillkürlich die Arschbacken zusammenzog und zu den Fingernägeln schielte, ob die etwa Trauerränder haben... «ER WILL ALS ALTE TANTE GEHEN...», jammerte meine Mutter das Lied des Leids. «NA UND?» tönte es da, «früh übt sich, wer ein Meister werden will. Er kann meinen letztjährigen Opernrock haben...»
ICH KÜSSTE IHR DIE FÜSSE!
Damals warfen sich die Frauen jede Theatersaison Frisch geschneidertes übers Korsett: ein langer Fummel für Oper und Ballett, ein schillerndes Deuxpièces fürs Schauspiel, ein etwas gewagteres Dirndl mit Ausschnitt für die heitere Operette. Die Haus-Schneiderinnen hatten einen guten Job. (Klammerbemerkung: Es gab damals noch keine Zalando-Boten, die klingelten. China-Export fand damals nur in Form von Tiger balsam statt. Klammer zu.)
Die Omama hatte also einen rabenschwarzen Seidenrock abzugeben. Dazu stiftete sie mir eine Mantille von ihrer Muhme - eine verwanzte Stola, welche bei meinen Pirouetten ihre schwarzen Perlen wie Gewehrschrot versprühte.
Weil mich Frau Marti, die Schneiderin meiner Mutter, mochte und für meine Puppen stets neue Kleider nähte, brachte ich ihr die ganze Pracht: «Ich will eine alte Tante sein - man muss diesen Opernfummel wohl ein bisschen kürzen. Mit dem Reststoff können Sie mir den Hintern stopfen, liebe Frau Marti...»
«Womit habe ich d a s verdient», wimmerte die gute Mutter zu ihrer Schneiderin und zeigte auf mich wie auf einen Hund, der eben das Bein am Rauchertischchen gehoben hat, «DAS IST DOCH NICHT FASNACHT!» Die gute Frau nahm mich in Schutz: «Im Gegenteil, Madame. Der Bub hat Geschmack! Er will einen faux-cul...»
WIEDER KÜSSTE ICH FÜSSE.
Ich möchte behaupten, dass meine «alte Tante» aus dem Jahre 1955 bis heute ihres gleichen suchen kann. ICH SAH AUS WIE EINE STÄNDERLAMPE AUS DER BELLE EPOQUE - ABER SO WAS VON SKURRILEM CHIC!
Ernst Isch, der Billeteur meines Vaters und begnadeter Pfeifer in der Lälli-Clique, malte mir eine vergammelte Piratenlarve als Tantenkopf um. Darauf klebte ich Mutters neustes Pillbox-Hütchen, das sie sich auf die Saison hin von den Schwestern Turènes hatte komponieren lassen.
UND DANN DIES: Als ich selig zum Abmarsch vor dem Goldenen Sternen antrippelte, brüllten meine Cliquen- Freunde: «So läufst du bestimmt nicht mit... das ist ja schlimm! DAS IST NICHT FASNACHT!»
Dieses Jahr? - Keine Naphthalin- Wolken, keine alten Tanten und schon ein halbes Jahrhundert kein «Goldener Sternen» mehr in der Aeschenvorstadt...
FASNACHT? NEIN - DAS IST NICHT FASNACHT!
«Muss es eine Tante sein?»
Mutter rührte in ihrem Gin-Fizz, sodass die Eiswürfel nervös klapperten. Dann etwas schriller: « schwirren in dieser Familie nicht schon genügend alte Tanten herum. Reicht dir dieses Duftgemisch von Naphthalin, kölnischem 4711 und Pfefferminz-Dragées nicht ?»
DER DISPUT WIRBELTE UM MEIN MORGENSTRAICH- KOSTÜM.
Da ich noch nie an der Fasnacht mitgelaufen war, besass ich auch kein altes Zugskostüm, das ich hätte umbauen können. Und was Fasnacht betraf - da waren sich die Alten ausnahmsweise mal einig: «VON WEM ER DAS NUR HAT? - ES MUSS EIN GENETISCHER IRRLÄUFER SEIN!»
Sie waren beide nicht fürs Frohe von Räpplischlachten, Mimosenduft und Papierschlangen. Mit Ach und Krach durfte ich mich bei der Lälli-Clique zur Pfeiferstunde melden. Als ich jedoch ein Piccolo brauchte, hatte Mutter ebenfalls die Eiswürfel klirren lassen: «KEIN CENTIME WIRD FÜR SO ETWAS LIEDERLICHES VERKLIMPERT!» Also heulte ich bei der Kembserweg-Omi. Und die putzte Überstunden, sodass ich schliesslich im «Goldenen Sternen» auf einem schräg verstimmten Schreiholz das Einmaleins des Arabi blasen lernen durfte.
NUN GING ES ALSO UMS ERSTE MORGENSTRAICH- KOSTÜM. Ich war acht. Ich war schräg. Und ich ging allen auf den Sack. «ICH WILL EINE TANTE SEIN!» Der Vater streichelte das dünne Haar seines einzigen Stammhalters: «Aber Bubi - eine Tante wirst du noch früh genug! Nimm meine schwarze Trämler-Pelerine. Schmink dir den Kopf weiss. Und pfeife als Dracula »
«DAS IST NICHT FASNACHT!», jaulte ich. « Schminken schon gar nicht! Es muss ein klassisches Kostüm sein - alle Fasnächtler sind Tanten! »
Derselbe Vater, der mich damals als blutrünstiger Vampir mit scharfen Eckzähnen in die Morgenstraichwelt hinausschicken wollte, eröffnete mir 40 Jahre später stolz: «Die Olymper haben mich gefragt, ob ich bei ihnen als Vorreiter den Zug anführen wolle » Nach jenen drei Tagen auf dem hohen Ross hatte er die Fasnacht erfunden. Vom «Dracula» wollte er nichts mehr wissen: «Du mit deiner Fantasie ich habe dir einen kleinen Waggis gekauft, und du hast einen Transvestiten aus ihm gemacht! DAS IST N I C H T FASNACHT.»
Diesmal war es die andere Grossmutter-Seite, die unerwartet in die Bresche sprang. Die Omama war so etwas von stinkig vornehm, dass man bei ihrem Auftritt unwillkürlich die Arschbacken zusammenzog und zu den Fingernägeln schielte, ob die etwa Trauerränder haben «ER WILL ALS ALTE TANTE GEHEN », jammerte meine Mutter das Lied des Leids. «NA UND?» tönte es da, «früh übt sich, wer ein Meister werden will. Er kann meinen letztjährigen Opernrock haben »
ICH KÜSSTE IHR DIE FÜSSE!
Damals warfen sich die Frauen jede Theatersaison Frisch geschneidertes übers Korsett: ein langer Fummel für Oper und Ballett, ein schillerndes Deuxpièces fürs Schauspiel, ein etwas gewagteres Dirndl mit Ausschnitt für die heitere Operette. Die Haus-Schneiderinnen hatten einen guten Job. (Klammerbemerkung: Es gab damals noch keine Zalando-Boten, die klingelten. China-Export fand damals nur in Form von Tiger balsam statt. Klammer zu.)
Die Omama hatte also einen rabenschwarzen Seidenrock abzugeben. Dazu stiftete sie mir eine Mantille von ihrer Muhme - eine verwanzte Stola, welche bei meinen Pirouetten ihre schwarzen Perlen wie Gewehrschrot versprühte.
Weil mich Frau Marti, die Schneiderin meiner Mutter, mochte und für meine Puppen stets neue Kleider nähte, brachte ich ihr die ganze Pracht: «Ich will eine alte Tante sein - man muss diesen Opernfummel wohl ein bisschen kürzen. Mit dem Reststoff können Sie mir den Hintern stopfen, liebe Frau Marti »
«Womit habe ich d a s verdient», wimmerte die gute Mutter zu ihrer Schneiderin und zeigte auf mich wie auf einen Hund, der eben das Bein am Rauchertischchen gehoben hat, «DAS IST DOCH NICHT FASNACHT!» Die gute Frau nahm mich in Schutz: «Im Gegenteil, Madame. Der Bub hat Geschmack! Er will einen faux-cul »
WIEDER KÜSSTE ICH FÜSSE.
Ich möchte behaupten, dass meine «alte Tante» aus dem Jahre 1955 bis heute ihres gleichen suchen kann. ICH SAH AUS WIE EINE STÄNDERLAMPE AUS DER BELLE EPOQUE - ABER SO WAS VON SKURRILEM CHIC!
Ernst Isch, der Billeteur meines Vaters und begnadeter Pfeifer in der Lälli-Clique, malte mir eine vergammelte Piratenlarve als Tantenkopf um. Darauf klebte ich Mutters neustes Pillbox-Hütchen, das sie sich auf die Saison hin von den Schwestern Turènes hatte komponieren lassen.
UND DANN DIES: Als ich selig zum Abmarsch vor dem Goldenen Sternen antrippelte, brüllten meine Cliquen- Freunde: «So läufst du bestimmt nicht mit das ist ja schlimm! DAS IST NICHT FASNACHT!»
Dieses Jahr? - Keine Naphthalin- Wolken, keine alten Tanten und schon ein halbes Jahrhundert kein «Goldener Sternen» mehr in der Aeschenvorstadt
FASNACHT? NEIN - DAS IST NICHT FASNACHT!
Illustration: Rebekka Heeb