«Ja Himmeldoria! Musst du eigentlich stets tänzeln wie eine abgehalfterte Ballettlehrerin?» Meiner Mutter war es so etwas von wurst, eine schrille Schwuchtel grosszuziehen. Aber sie mochte es nicht, wenn ich den Finger beim Tee spreizte, den linken Arm vom Ellbogen ausstreckte und tänzelte wie die Damen im Rokoko. Sie wurde dann leicht bissig: «Hör mal, Tucki, es ist nicht schlimm, schwul zu sein – aber es ist schlimm, wenn man daraus eine Hymne macht.»
Mein gütiger Vater, der auf weiss Gott sturen Trämler-Schienen sein Geld einfuhr, nahm es lockerer: «Ich finde es nett, wenn er wippt. Er hat dann so etwas Elfisches.» Die Gattin verdrehte die Augen: «Eine Elfe mit Plattfüssen und 120 Pfund Frischspeck am Ranzen – nein, Hans. Das wollen wir beide nicht. Er muss richtig gehen lernen.»
So kam ich in das, was man früher «Buggeliturnen» nannte.
Damals war dieses Buckel-weg-Turnen eine arge Plackerei, bei der eine Frau auf ein Tamburin einschlug und wir dazu im Kreis herummarschieren sollten. Bei jedem zehnten Schlag mussten wir in die Knie und aus der Hocke heraus einen Hüpfer hinlegen. Die Buckel-Exorzistin reimte laut und fröhlich: «Jeder ist ein Känguru – und ich schlag den Takt dazu!»
Spätestens da habe ich meine High Heels in die Ecke geworfen. Na gut – es waren keine Pumps. Das ist arg übertrieben. Es waren ganz simple Tessiner-«Zoccoli», die damals die Mode aufrüschten: hölzerne Sohlen mit blau-rotem Leder über der Fussleiste. Natürlich nur für Mädchen. Aber wen kümmerte das schon – da war ich der Gender-Bibel weit voraus!
Wenn Man(n) zu den «Zoccoli» ein passendes Seidenband in Tessinerfarben in die Locken flocht, sah es nett aus. Doch schon damals zeigte sich mein Haar dünn – es war das einzig Dünne am Kind. Da war nix und niente mit «in die Zöpfe flechten».
Also habe ich mir den Bändel um den Hals gebunden. So betrachtet war ich mit dem Seidenband der lindtsche Vorgänger aller seiner Schokohasen. Es fehlte das Glöckchen – aber die Voraussetzungen für die bitterzarte Schokohasen-Karriere waren perfekt: Der dicke Buckel-Bunny war schmelzend süss. Ich knallte also rot-blau aufgerüscht die Zoggeli an die Wand. Und wedelte der Tamburin-Tante mit Omas alter Marabu-Stola zu: «Rutschen Sie mir doch meinen Po runter!»
Es ist falsch überlegt, wenn ein Klugscheisser jetzt unkt: Der hat doch einfach gerne die Dragqueen gemimt und wehende Weiberklamotten an sich geworfen. Sorry. Travestie war nie mein Ding. Ich sehe mir die Show gerne an – aber ich hätte mir nie die Mühe mit dem Stahlkorsett gemacht. Nein, der sonderbare Bub wollte ganz einfach nur Farben in allen Regenbogenmöglichkeiten. Dazu: Seide und Samt, Spitzen und Tüll.
Schon damals wurde die männliche Homo-sapiens-Gattung im Gegensatz zum Tierreich farblich stiefmütterlich behandelt. Ich meine: Das Höchste war eine dunkelblaue Krawatte, die irgendwo einen silbernen Streifen am Horizont eingewoben bekam. Ansonsten: alles im verschissenen Braun der Hundekacke. Oder schwarz zu Hochzeit und Tod.
Meine Grossmutter – diejenige von der gut geschichteten Tortenseite – nahm jedenfalls ihre Tochter zur Seite und zeigte auf den Enkel, der mit lackierten Nägeln am Tisch sass: «Man kann ‹diese rosige Art› mit kalten Bädern und Eisenkraut heilen, Lotti!» Dann knallte sie mir mit dem Kuchenmesser auf meinen gespreizten Finger: «Lass diesen Mist an der Teetasse – auch die Queen spreizt nicht.»
Den Knall nahm ich gelassen hin. Aber das Argument mit der Queen hatte etwas für sich. ICH SPREIZTE NIE MEHR!
Immerhin habe ich mich an der Omama gerächt. Ihr Hut – ein riesiges Ungetüm mit einem toten Vogel, viel Schleier und drei Pfund Seidenblumen aus allen Jahreszeiten – ihr Hut also lag in der Garderobe vor dem Spiegel. Ich schnappte ihn mir. Pflückte die herrlichen Pfingstrosen mit der Geflügelschere weg. Dann auch den Veilchenbusch und die drei Narzissen. Am Schluss blieb der Vogel. Dort machte ich mich an den Schwanz. Und steckte an seiner Stelle ein altes, durchgerupftes Zahnbürstchen rein. Unsere Anna putzte damit die hintersten Stellen im Klosett.
Da es die Omama plötzlich eilig hatte, um den Zug nach Rapperswil zu erwischen, packte sie den Hut, setzte ihn hektisch im Gehen auf. Und die Zahnbürste wippte zum Abschied. Als der Billeteur sie auf das Malheur on the top aufmerksam machte, gab es Geschrei. Natürlich musste ich ohne Nachtessen ins Bett. Heute nehmen sie den Kindern die Handys weg – damals war es das Gonfibrot.
Aber ich war schon damals hart im Nehmen. Besonders, da ich mich darauf freuen konnte, wie Omamas bunte Blumen nun all die braunen Buben-Knickerbockers schrill aufmotzen würden.
Um auf das Buggeliturnen zurückzukommen: Der Höcker buckelte sich ganz von selber weg. Und machte einer argen Bauchrundung auf der Gegenseite Platz.
WEGTRIMMEN? Gehts noch?! Ich werfe gleich mal meine Birkenstock-Sandalen an die Wand!