Von viel zu engen Schuhen und zwei Dutzend Fasnachtsplaketten

Illustration: Rebekka Heeb

Gestern passierte etwas, das etwa so ablief: Ich wackle den Spalenberg runter. Jawohl: WACKLE - ist das Wort. Ich habe mir nämlich diese neuen, roten Schuhe an die ausge leierten Flossen gebeamt. Sie (die neuen Schuhe) sind schmal wie ein Langlaufski. Sie haben grüne Schnürsenkel. ABER: Es gab sie punkto Grösse nur eine Nummer zu klein für meine fusstechnische Rührei-Katastrophe.

Natürlich hätte ich sie auch online bestellen können. Aber, meine Lieben: SO ETWAS TU ICH NICHT. AUS PRINZIP. Da werden Millionen von Paketen aus Online-Katalogen in die Welt herumgeschickt. Und ich höre immer wieder das Lamento von einer besseren Welt, in der wir nachhaltig zu leben hätten.

GUT. ICH BIN NICHT DAS BEISPIEL FÜR PERFEKTES UMWELTDENKEN. Aber manchmal macht es auch bei meinem Spatzenhirn «klick!». DESHALB: KEIN ONLINE- SHOPING. KEINE PAKETPÖSTLER VOR DER PFORTE. KEIN PAPIER-KARTON- ENTSORGUNGSBERG!

So. Jetzt muss ich wieder auf die Schuhe zurückkommen - Innocent klopft mit seinem Stock energisch auf den Asphalt: «Du spinnst doch im Höchstwert!» Solche Aussagen sind nicht neu. Und animieren zu Glanzleistungen: Man muss mir etwas verbieten - schon gehe ich über alle Ufer. Diesmal in roten Schuhen.

Nun gut. Die Füsse schmerzen höllisch - denn meine Einlagen fanden nicht noch Platz im engen Leder. Aber bei roten Schuhen bin ich schon immer schwach geworden. Esoteriker, romantische Herzchen und alle schrägen Drullas können mich verstehen. Danke.

Ich schwanke also zu diesem Haus, wo einst Hermann Hesse die Fotografin Maria Bernoulli kennen gelernt haben soll (DAS IST DER KLATSCH DER VOR-JAHRHUNDERTWENDE). 180 Pfund stützen sich an der Mauer ab. Ich reisse die Tortur von den Füssen. Und ich spüre, wie mir Schmerzens tränen über die Backen kullern. Ichverfluche alle meine mode launigen Ticks, die mir mit 73 Jahren Haltungsfehler, die Krätze oder (im besten Fall) einen Hexenschuss einbringen.

«Sind Sie traurig?» Diese Worte holen mich aus allem Übel raus. Denn das hat mich seit mindestens drei Jahrzehnte keiner mehr gefragt. Ein kleines Mädchen steht vor mir. Es schaut kritisch auf die Roten mit den grünen Schuhbändeln in meinen Händen. Dann kommt die arschkalte Analyse: «Die sind heiss - aber eng!» «Du weisst gar nicht, w i e eng... Und ja. Ich bin traurig, weil ich ein Trottel bin!» «Aha!» - es kommt keine Widerrede. Es ist eine Bestätigung. Mit Ausrufezeichen.

Das Mädchen holt nun aus seinem Rucksack eine Handvoll Fasnachts-Plaketten hervor: «Sie tragen keine. Sollten Sie aber. Alleine schon aus Solidarität uns Jungen gegenüber.» - «Ich habe eine am andern Mantel!» «DAS SAGEN ALLE!»

Na gut. Es stimmt n i c h t, dass ich am andern Mantel eine Plakette trage. Aber auf meinem Pult liegen gut zwei Dutzend von Kottmanns Klo-Rollen in Plakettenform. Alle Verkäufer zückten das Losungswort wie ein Zauberer das Kaninchen aus dem Hut: «Ich denke, du solltest deinem Herz einen Stoss geben... SOLIDARITÄT MIT DEN FASNACHTSAKTIVEN!» Nur: Mein Herz hat schon Muskel kater von all den Stössen!

Das kleine Mädchen grinst jetzt: «Es ist für uns junge Garden nicht schön, dass wir keine Fasnacht machen können. Ich bin erst ein einziges Mal an einem Morgestraich mit marschiert. Das war vor zwei Jahren. Jetzt muss ich wieder aufs nächste Mal hoffen - aber mit dem Blaggedde-Geld organisieren wir im Spät sommer ein Trommel- und Pfeiflager. Bis dahin sollte die Luft wieder rein sein... Was denken Sie?»

Ich gebe keine Prognose ab. Das tun schon hunderttausend andere. Immer kommt dann alles trotzdem anders. Mit Corona-Prognosen ist es wie mit Wettervorhersagen: Sie stimmen nie! «Also - gib mir in Gottes Namen eine Kupferne.» «DIE PASST NICHT ZU ROTEN SCHUHEN!» Das kam so schnell und präzise wie der Trommeleinsatz beim Wettsteinmarsch. «GOLD WÜRDE BESSER MIT ROT HARMONISIEREN!» Die Kleine wird mal so eine Farbenlehre-Tante! Wir einigen uns auf die neutrale Silberne.

Zu Hause erwartet mich Innocent: «Weshalb trägst du die Schuhe in den Händen? Weshalb gehst du in gelben Socken? Kein Mensch trägt gelbe Socken.» Dann holt er Luft: «UND SCHON WIEDER EINE PLAKETTE! DU SPINNST WIRKLICH.» Vielleicht. Aber ich hoffe, dass im Spätherbst das Trommel- und Pfeiflager stattfinden kann. Und überhaupt: Ich hoffe wieder auf ein farbigeres Leben - nicht nur an den Füssen...

Illustration: Rebekka Heeb

Dienstag, 2. Februar 2021