«BÜCHSENRAVIOLI - ja spinnst du denn?!»
Innocent macht gleich Theater. Ich meine: Seine liebe Mutter hat den Spinat noch aus der Dose gekratzt. Erbsli kamen ebenfalls per Büchsenöffner - und die nicht einmal «extrafein».
JETZT ALSO DRAMA, WEIL ICH MIR DA WIEDER EINMAL EINEN KONSERVENTRAUM MEINER KINDHEIT VERWIRKLICHEN WILL!
Sagen wir, wie es ist und wie er isst: Innocent ist ein Gourmet-Snob. Er macht sich zwar Maggi-Schnittchen aus der braunen Sprühflasche und alles über Aufback-Zopf. ABER BEI BÜCHSENRAVIOLI BAUT ER GLEICH EINE OPER.
«Ich werde deinen Teil abbrausen, damit der Tomatensaft weg ist...»
Er hat eine Säureallergie. Die Allergie funktioniert bei der Tomate. Beim Wein funktioniert sie nicht.
NATÜRLICH IST ES OHNE DEN TOMATENSAFT NUR DIE HALBE MIETE. IM ROTEN LIEGT DOCH DIE KINDHEITSERINNERUNG!
Aber Innocent schaut die Konserve an, als sei sie eine Terroristenbombe, die zum grossen Finale tickt!
Zur Kinderzeit waren Büchsenravioli mein Lieblingsessen. Es war eines der wenigen Gerichte, das meine Mutter perfekt auf den Tisch brachte: Sie hat die Büchse nur e i n m a l in heissem Wasser gekocht. Dann mit dem Zackenöffner angestochen. DREI TAGE LANG HABEN DIE MALER DIE KÜCHE FRISCH GESTRICHEN.
Sie wurde also nach dieser Erfahrung perfekt. Und schüttete den Inhalt, der sich mit FLUTSCH von der Dose verabschiedete (einem Geräusch, als hätte eine Kuh eben ein Kalb rausgelassen!) in die Form. Dann streute sie geriebenen Emmentaler übers Ganze (Parmesan oder Sbrinz war damals so exotisch wie ein Hulla-Hulla-Röckchen am Papst). Ab in den Ofen. Und wenn die Köstlichkeit rauskam, blubberte die rötliche Sauce. Und über allem hatte sich der Emmentaler ausgeschwitzt.
KÖSTLICH. KÖSTLICH. KÖSTLICH.
Da meine Mutter punkto Herd nicht unbedingt der Hammer war, wurde fast nur gebüchst. Dosenspinat hasste ich. Er schmeckte metallig. Und obwohl die Mutter Butter darunterrührte: Der bittere Nachgoût blieb.
Die Kembserweg-Omi schaute diese Schwiegertochter, die das Schicksal ihr in die Karten gemischt hatte, vorwurfsvoll an: «Lotti - es gibt Blattspinat aus dem Garten. Und es gibt einen Fleischwolf...»
«...und es gibt Weiber, die für so etwas Zeit haben!», fauchte Mutter zurück. Also bereitete die Omi, immer wenn ich an den Kembserweg kam, Spinat für das Kind auf ihre Art zu: Da war ein riesiger Berg mit grünen Blättern. Sie schnipselte alle Stiele ab, weil die das Ganze bitter machen würde. Dann sah ich, wie der Berg in der Pfanne zu einem kleinen, pflotschigen Wisch zusammen sackte. Den drückte die Omi durch dieses Gusseisengerät mit dem hölzernen Drehhebel. Vorne kamen grüne Würmer raus. SPÄTESTENS JETZT SEHNTE ICH MICH WIEDER NACH DER BÜCHSE.
Es war die Tiefkühltruhe, die den Büchsen den Schlusspunkt setzte. PLÖTZLICH GAB ES DIE WEISSEN RAVIOLI- TEIGDINGER AUCH STEINBEIN GEFROREN. Mutter warf sie ins heisse Wasser. Dazu eine Sauce aus dem Beutel: Rotes Pulver, das alles Trübe durch den sonnigen Werbenamen «Napoli» in den Hintergrund fegen sollte. MUSS ICH MEHR AUSHOLEN? MUSS ICH NICHT!
Immerhin gabs für das Kind ein Spiegelei auf den Flutsch. E I N E S. Der Ernährer der Familie hatte v i e r vor sich. Und Mutters genervtem Aufschrei: «MAN ISST SPIEGELEIER NICHT MIT DEM MESSER, HANS - WO SIND WIR DENN?» Wir waren dort, wo «Napoli» aus dem Beutel kam!
Mit den Raviolibüchsen wurde ich erst wieder im Skilager konfrontiert. Ich machte Pfannendienst, um nicht mit diesen vermaledeiten Fell streifen die Skipisten rauf buckeln zu müssen. SO VIEL SPORT WAR MIR WIE SPINAT MIT STIEL - EXTREM BITTER!
Für die Küche war Max Wagner zuständig. Er gab nicht nur den besten Französischlehrer am Gymnasium - er war auch der schönste. Mit Wagners Kochkünsten sah es trüber aus. Er, der das Passé composé im Traum beherrschte, machte vor einer Raviolibüchse schlapp. ICH ÜBERNAHM DIE KOCHSTUNDE.
Als alles - flutsch! flutsch! - in den Gratinschüsseln dümpelte, schauderte es ihn wie beim Korrigieren meiner Französischarbeiten: «Hammel - da ist ja zum Abwinken!» WAR ES NICHT. GRATINIERT SCHMECKTE DER FLOTSCH GÖTTLICH. UND WAGNER SCHRIEB IN MEIN ZEUGNIS: «Ravioli 6, Französisch 3.»
Jetzt also, 50 Jahre danach, der alte Stänkerer: «SO EIN BÜCHSENFRASS KOMMT MIR NICHT AUF DEN TISCH!» Dabei wollte ich nur wieder einmal die alte Zeit fühlen!
Ich habe Innocent dann vier Spiegeleier in die Pfanne geklopft. UND DIE DOSE GANZ ALLEIN GEBÜCHST! Kulinarisch wars eine 3, aber fürs nostalgische Gefühl eine 6.
Nur nebenbei: Herr Innocenthat die Eier mit dem Messer gegessen. JA, WO SIND WIR DENN HIER!
Illustration: Rebekka Heeb