Mimosen waren für mich stets zarte Zauberblumen. Vor allem: Sie bedeuten Fasnacht. Allerdings verbreiten die flaumigen Kügelchen nur wenige Tage vor dem Morgenstraich in den Blumenläden ihren speziellen Duft. Denn Fasnachtsmimosen sind heikel für den Verkauf - die Rispen behalten ihr kükenflauschiges Kleid nur kurz. Also kommen sie ganz selten in den Kleinhandel.
Da hat es das Hühnerei besser. Anders gesagt: Die Mimose altert optisch sichtbar, das Ei nur innerlich.
Ginetta, unsere allererste Haushälterin, wurde zur Mimosenzeit immer arg melancholisch. Sie wohnte schon seit Jahren am Rhein - aber: «Nie habe ich mehr Heimweh, als wenn ich Mimosen rieche. Es ist, als würde ihr Duft mich nach Hause rufen.»
Sie erzählte mir von den Mimosenbäumen vor dem Haus im Veneto. Und dass sie den Blüten nie grosse Beachtung geschenkt habe: «Die waren einfach da und versprühten dieses betörende Parfüm - mehr war nicht. Ich vermisste sie erst, als ich die Blumen nicht mehr blühen sah.»
Mutter konnte mit Mimosen nichts anfangen. ABER GAR NICHTS! «Migräne!» sagte sie nur. «Dieser penetrante Duft bringt meinen Kopf zum Kochen - stellt die Stinker auf die Terrasse. Oder noch besser: Entsorgt sie auf der Stelle!» Man darf ruhig sagen: Sie war nicht das, was man einen Mimosen-Typ nennt. Sie kam schon eher nach der Distel.
Es war im Januar vor gefühlten 100 Jahren, als ich zum ersten Mal einen Mimosenhain sah. Er wuchs bei Nizza an einem Hang über dem Meer. Die Kombination von blauem Wasser und goldenen Mimosen hievte mich gefühlsmässig in silberne Wolken.
Als wir Jahre später auf der kleinen Insel das Land rodeten und Bäume anpflanzen wollten, war für Gianni klar: «Oliven!» Gianni ist Gärtner. Und denkt nützlich.
Natürlich sind auch Oliven bäume mit ihren silbernen Blättern etwas Schönes. Aber sie sind immer mit einem Hauch von kapitalistischem Denken verbunden: «Wie viele Bäume habt ihr? Wie viele Liter Öl geben sie?»
Bei solchen Gedanken ist es schwer, einen eselsturen Bauer auf das Göttliche von nicht lukrativen Mimosen heisszumachen. «Le mimose!» Er schüttelte sich. « Vaffanculo! Sie stinken wie eine abgetakelte Hure. Und wozu das alles? Sie bringen null Nutzen!»
NULL NUTZEN? MUSS DENN IMMER ALLES NUTZEN HABEN?
Gianni pflanzt mir Tonnen von Saubohnen an, obwohl ich Fave nicht ausstehen kann. Weit und breit ist keine Sau zu sehen - alles für die Bohne? Aber das denkst du! Das alte Schlitzohr ist ganz verrückt nach diesen Fave, die er im März mit Pecorino reinmümmelt. Millionen von Fave-Stauden.
UND KEIN EINZIGES MIMÖSCHEN! Ja Himmel noch mal!
Als ich ihn mit klimpernden Wimpern auf meinen Traumbaum heissmachen wollte, war ich blöd. Naiv. Dumm. Gianni jaulte, ich sei eine «checca drammatica!» Und ich will euch jetzt nicht übersetzen, was dieser Saukerl sonst noch gesagt hat.
«Ich soll mir diese Schwuchtelblumen in den Ach-ihr- wisst-schon-wohin stecken!»
Heute mache ich Kampfsport - und das gibt einem schon ein ganz anderes Auftreten: «Entweder, da blüht nächstes Jahr ein Mimosenbaum, oder ich erzähle dem Pfarrer, was du mit Henrietta treibst», brülle ich.
Ich möchte mich hier nicht näher über Henrietta äussern. Und nein - es ist keine von Giannis Ziegen. Aber: Man kann diesen Betongrindern nur mit dem Presslufthammer kommen!
Jedenfalls ruderte Gianni knurrend in Richtung Orbetello. Und kam mit einem Gestrüpplein zurück, das kaum grösser war als ein Katzenkopf. Es sah aus wie ein verwittertes Vogelnest.
«Es wird eingehen», unkte der Gärtner. «Der ist schon rüber!», jaulte ich. Da öffnete unsere Frau für alles, die dicke Anna-Maria, ihre Bluse. Sie zauberte ein winziges Kristall-Flacon unter ihrem bombastischen Busen hervor. Und besprühte das Hutzelpflänzchen mit persönlichem Weihwasser.
Hallohallo! Das ist nun 30 Jahre her. Der Baum ist mir längst über den Kopf gewachsen. Und jedes Jahr, wenn ich an Weihnachten auf die Insel komme, zeigt er den ersten gelben Flaum. Bis jetzt habe ich nach dem Silvester-Prosecco stets Leine ziehen müssen. In Basel rief die Fasnacht. Und so habe ich meine Mimosen nie in Vollblüte erlebt. Gianni schickte mir dann über Whatsapp Fotos vom goldenen Zauberbaum. Aber Whatsapp duftet nicht!
Und jetzt: rabenschwarze Corona-Zeit. Wir sind auf die Insel verbannt. Eines Morgens schleicht sich dieser unglaubliche Duft in mein Schlafzimmer: Draussen ist der Traumbaum voll erblüht. Schon stehe ich schluchzend davor.
«Himmel - bist du ein Gemütsflieder», höhnt Innocent. «Checca drammatica!», ruft Gianni grinsend.
MIR TOTAL EGAL!
Ich drücke die Nase in die flauschigen Kugeln, heule. Und weiss: Irgendwann werden sie auch wieder an der Fasnacht duften.