Vom Fitnesstrainer am Handgelenk und vom Pfeifen

Illustration: Rebekka Heeb

Sport hatte für mich die Faszination einer Made in der Torte. IGITT! Beim Fussballspiel missbrauchte man das arme Kind als Goalpfosten. Und ich habe nie kapiert, weshalb ich über ein Pferd hüpfen sollte, das nur ein lederner Bock war.

Im Übrigen herrschte bei Sportstunden ein pfiffiger Ton. Und Pfeifen habe ich immer gehasst. ICH BIN KEINER, DER AUF DEN PFIFF GEHT!

Im Gymnasium hiess unser Sportlehrer Herr Hans. Er sah gut aus. Hatte ein strammes Paket in der Turnhose. Und zwei haarige Beine. ALSO ALLES DRAN, UM DEN PULS DES VERTRÄUMTEN BUBEN HÄMMERN ZU LASSEN.

Aber Herr Hans wollte es andersrum: Ich sollte mir für ihn die Lunge aus dem Ranzen! Dazu pfiff die Pfeife Anfeuerungslaute. Und ärgerte sich schwarz, weil ich in weissen Gymnastikschläppchen statt muffelig stinkenden Turnschuhen antanzte. ABER HALLO - Herr Hans weinte Tränen. Als er mich dann mit schrillem Gepfeife die Sprossenleiter hochjagte, fühlte ich, wie es mir nebelte. Oben angekommen, schaute ich runter. DAS HÄTTE ICH NICHT TUN SOLLEN. Denn unten war weit, weit weg!

Ich beobachtete, wie Herr Hans, dieser sadistische Schinder, den Moment genoss. Hörte seine Pfeife. Und sah, wie er an der Hose kratzte. Dann liess ich mich dramatisch fallen - wie Tosca von der Engelsburg.

Die Klasse schrie. Herr Hans liess die Kratzerei und wollte mich auffangen. Nun gut - ich kippte nur von der dritten Sprosse. ABER ES REICHTE, UM DER SCHRILLEN PFEIFE DEN ARM ZU BRECHEN.

Mein Vater glaubte an das Bewegliche im Buben: «Wenn du in 80 Sekunden drei Cremeschnitten reinschletzen kannst, bist du für den Slalom qualifiziert.» Die Sache war so, dass er mich mit heissen Cremeschnitten-Versprechen in den kalten Schnee lockte: «Sechsmal die schwarze Hahnenmoos-Abfahrt. Und der ganze Kuchenkleister im Café Lohnerblick gehört dir!» Das war immerhin netter als das Gepfeife von diesem Turnhallen-Schinder.

«Sport ist gesund - jeder Junge treibt so etwas», versuchte mir Mutter gut zuzureden. Sie paffte zwei Päckchen North Pole am Tag. Liess schon 240 Minuten vor der Apéro stunde die Eiswürfel im Cocktailglas klirren. Und ernährte sich von Cocktail-Oliven.

HALLO! SO ETWAS WOLLTE MIR FITTE RATSCHLÄGE SÜLZEN! Da hätte mir Luther auch ein Omeletten-Rezept vorlesen können!

Nun gut - ich entschied mich fürs Eiskunstlaufen. Erstens fand diese Sportart in Glacéhandschuhen statt. Und zweitens schwärmte ich für eine holländische Eisläuferin, die Sjoukje Dijkstra hiess. Es spricht sich: Schaukje Daixtra. Und die Sjoukje hatte Beine wie die Schinken einer Zuchtsau. Aber diese Schinken kurvten eine bravouröse Pflicht.

Mutter buchte also auf der Adelbodner Eisfläche den dafür zuständigen Trainer. Und ich investierte mein Sackgeld in weisse Handschuhe, einen violetten Kaschmir-Schal und etwas Augen-Make-up. Meine Stärke wurden dann die Dreierparagrafen.

Dennoch überliess ich den Olympiasieg den Schinken von «Schaukje», weil sich mein Interesse an Paragrafen auf einen Anwalt verlegte. Mit ihm sollte es dann ein lebenslänglicher Tanz auf dem Eis werden.

UND NUN DAS! Mein immer so fitter Vetter Thomas löcherte mich, bei ihm eine Uhr zu kaufen. Sie sollte meine Fitness überwachen. DA DER HANDWECKER AUS DEM BERÜHMTEN HAUS DES COMPUTER-APFELS KAM, WURDE ES EINE TEURE SACHE.

Aber er piepste mir stets den Ist-Stand durch: «Du hast 400 Schritte gemacht... Du bist 2 Stockwerke rauf- und runtergegangen... Dein Puls ist 65... Dein Blutdruck schlägt Alarm!»

Wenn ich im Fernsehsessel lümmelte, pfiff die Uhr erbost: «BEWEGE DICH - DU HOCKST SCHON ZWEI MINUTEN!» Und selbst auf der Toilette vibrierte er sich ins Geschäft: «TIEF DURCHATMEN - DAS HILFT IMMER!» Ich wurde der Sklave meines Pulstrainers. Abhängig wie der Junkie vom Stoff.

Als ich mich dabei beobachtete, wie ich alle 40 Sekunden den neusten Schrittstand kontrollierte, kam ich wieder zu Kilos und Verstand: Ich suchte mir ein Café mit Cremeschnitten. Und warf den stur tickenden Personal-Trainer auf das Tellerchen neben die fünf abgekratzten Patisserie-Papierchen.

Wie ich die Trimmuhr dann so liegen liess, hörte ich sie wütend pfeifen - wie einst Herrn Hans an der Sprossenstange.

Illustration: Rebekka Heeb

Dienstag, 12. Januar 2021