SIE KONNTEN EINEM DIE VORFREUDE WIRKLICH VERMIESEN! Von wegen froher Advent! Wir mussten jeden Tag ein kleines «Könzärtli» üben. Im Quartett. Meine Mutter spielte die zweite Geige. Ich nagte an der Flöte. Rosie blies sich am Fagott die Lunge raus. Tante Irmi vergriff sich an der Oboe: UND DIES ALLES HÄTTTE «STILLE NACHT» GEBEN SOLLEN!
Vater war übrigens der Einzige, der das «kleine Hauskonzert» genoss. Meine Mutter (jammernd - mit den Augen zum himmlischen Vater nach oben): «Ach Kinder - das alles tönt wie verirrte Frauenfürze. Und ich verstehe, dass uns die Leute auf der Strasse nicht mehr grüssen. ABER OHNE MUSIK-EINLAGE VOR DER TANNE, WÄRE ES FÜR PAPI NICHT WEIHNACHTEN!» ALSO: ZUM 108. MAL STILLE NACHT.
Adventszeit war für uns Kinder die totale Wundertüte: Jeder Tag brachte Frohes. Mit den Gutzi warteten wir nicht bis am Heiligen Abend. Da gingen wir heimlich schon nach dem ersten Backtag an die Kisten. Natürlich mit miesem Gewissen. Denn die Alten hämmerten uns jeden Tag ein: «DAS CHRISTKIND SIEHT JEDEN UND ALLES. ES BRINGT SEINE GESCHENKE NUR DEN LIEBEN KINDERN, BEI DENEN KEINE SCHWARZEN FLECKLEIN AUF DEM HERZLEIN SIND...»
Später hat mir Mutter mal grinsend erzählt: «Ihr dachtet, ich hätte es nicht gemerkt - aber ich habe die Blechdosen immer wieder für euch aufgefüllt. Natürlich nur mit den schiefbeinigen Anisbrötchen. Oder den angebrannten Mailänderli... das dann doch!»
In allen Ecken dörrten im Haus Tannenästchen mit Lametta fäden und langsam faulenden Äpfeln vor sich hin. Erst als am dritten Advent dann eine ihrer Ast-Kompositionen von der Kerze geküsst wurde, der Stubenvorhang loderte und die Feuerwehr sämtliche Mandarinen aus den Schalen spritzte, da seufzte sie in all dem Rauch und Nebel: «...okay. Das war vielleicht ein Fehler. ABER KUNSTSTOFF-ZWEIGE KOMMEN MIR NICHT INS HAUS!» Dann belohnte sie die Feuerwehrmänner für deren halsbrecherischen Einsatz mit Anisbroten.
Neben brav sein und Musik-Proben hatten wir auch Tonnen von Gedichten auswendig zu lernen. Zuerst für den lieben Nikolaus. Da wussten wir schon lange, dass es Onkel Alphonse war. Der Klaus stank nämlich jedes Mal gottsträflich nach Schnaps.
Gut denn - wir mussten uns hinstellen. Und das Gereimte rezitieren. Da ich schon damals eine Rampensau war, klebte ich mir einen «Geschenk-Lätsch» ins dünne Haar. Und legte dramatisch los: «Dr Santiklaus kunnt hitte dur d Lange-n-Erle gritte...» Bei: «Sy Sag gisch schwäär und digg...», legte ich eine EFFEKTVOLLE Pause ein, weil die Männer da immer feurige Augen bekamen (der Glühwein war literweise intus!) - sie johlten: «HEEE JOO ZEM GUETE GLIGG!»
Meine Mutter wurde stinkig: «Soo - benehmt euch!» Dann zu mir: «...und du bringst jetzt noch die Trilogie «E Drepfli Bluet!» Das Gedicht dauerte ohne Pause 25 Minuten. Es handelte von einer blutarmen Mutter, die dank der Liebe ihres Kindes zu Gottvater zurückfand.
Am Schluss warf ich mich dem Klaus zu Füssen, wie ich es bei Ruth Leuwerik in «Maria Magdalena - die Verdammte!» abgekupfert hatte.
Gespannt wartete ich auf den donnernden Applaus. Aber sie lagen alle schnarchend in den Sesseln. (Später ist mir das bei Lesungen in Altersheimen immer wieder passiert. Nur bei «sy Sagg isch schwäär und digg...» waren immer alle hellwach.)
Das Mieseste aber war die Bastlerei. Das Schlimme: Die Finger waren schon damals dick wie Münchner Weisswürste und einfach nicht dafür geschaffen, Kleiderbügel mit Blumen zu bemalen. Einmal schleppte Mutter einen hölzernen Früchteteller und einen Blechkoffer mit Ölfarben-Dosen an. Ich sollte für Tante Gertrude «etwas Schönes malen - sie will Selbstgemachtes!»
Ich malte also eine Kuh, über der die Sonne aufging. Die Sonne war leicht. Die Kuh war schwer. Mutter hatte sie mit Bleistift vorgezeichnet - aber schon bei ihr sah die Kuh aus, als hätte jemand eine Luftmatratze unter der Sonne aufgeblasen. Jedenfalls: Ich hatte für das Vieh leider zu viel Farbe auf die Dachshaare genommen. Und jetzt war die Kuh respektive die Luftmatratze ganz einfach nur noch das Abbild eines explodierten Kanonenofens.
Tante Getrude lächelte etwas verunsichert, als sie den hölzernen Obstteller aus dem Geschenkpapier schälte: «Ohhhh Hans peterli» (so sagten sie damals noch liebevoll zum dicken Kind) - «das ist aber... das ist...» - «SELBST GEBASTELT!» half ich nach. «Ja», nickte sie mit Tränen in den Augen, «das sieht man...»
Immerhin - 40 Jahre lang hat sie den Holzteller in ihrem Gästeklo mit gestapelten Seifen aufbewahrt. Als sie ins Gras biss und wir das Hab und Gut unter der Familie aufteilten, wurde mein Holzteller hochgehalten: «Will den jemand?» Niemand wollte.
Und so kam das SELBSTGEBASTELTE zum Sack mit der Etikette «ENTSORGEN». Aber Erinnerungen kann man nicht entsorgen - sie bleiben in und an einem hängen, wie Weisswurst-Finger...