Von einem Mann, der nicht «mein Mann» ist, und Muffensausen

Illustration: Rebekka Heeb

«...UND BRINGEN SIE DOCH IHREN MANN MIT!»

Ich bin nur Fragezeichen. ERSTENS HABE ICH KEINEN MANN. Und zweitens könnte ich den ja nicht wie einen Hund einfach an jeden Hühnerscheiss mitschleppen. Herr Innocent knurrt doch schon, wenn er den Abfall für mich trennen muss! UND ER IST NICHT DAS, WAS ICH «MEINEN MANN» nennen würde. «Mon Cauchemare» - ist die treffendere Variante.

Natürlich haben wir «geheiratet». Aber - ES WAR KEINE HOCHZEIT! Es war das, was Innocent auf ureigene Art programmiert hatte: «Jetzt geben wir rasch mal die Unterschrift auf dem Amt ab - dann treffe ich mich mit drei Bierbrauern im Büro!» SO VIEL ZUM SCHÖNSTEN TAG DER FRAU (die, wie gesagt, keine Frau ist). Ich versuchte ein bisschen Wind zu machen: «Aber wir könnten doch zumindest die fünf engsten Freunde zu einem Apéro einladen...» «WIR HABEN KEINE FREUNDE!»

«Nichts Grosses. Zwei, drei Körner Kaviar und Taittinger rosé!» Schon jault er gepeinigt wie ein Hund, der mit den Eiern in die Sofakissenspalten abgerutscht ist: «ES GIBT NICHTS. REIN GAR NICHTS! Und wenn du jemandem etwas von diesem Termin erzählst, sind wir geschieden, bevor wir registriert sind.» Na bitte - das hatten wir doch bei Liz Taylor und ihrem Burton schon.

(Ich habe dann doch eine Kutsche bestellt. Und einen Fliederstrauss über die linke, wattierte Schulter des rosa Samtkittels geworfen. Die Menge johlte - das Fernsehen registrierte. Man ist es sich wert!)

Innocent rutscht beim Thema «Ehe» eh immer wieder von der Rolle. Seine lieben Eltern haben ihm die Vorzeichen gesetzt. Jedes Jahr zu Weihnachten schrieb der greise Vater seinem Sprössling bis kurz vor dessen AHV einen Brief: «MEIN LIEBER SOHN - ES IST SCHÖN, EINEN FREUND ZU HABEN. ABER RICHTIG IST ES NICHT. NEIN. ES GEHT NICHTS ÜBER EIN GUTES FRAUELI, DAS IMMER FÜR DICH DA IST!»

Nach dem jährlich wiederkehrenden Schreiben hatte Innocent stets Muffensausen. Und liess den Frust bei mir aus: «WESHALB HABEN DEINE ANISBROTE KEINE FÜSSE WIE BEI EINER ANSTÄNDIGEN HAUSFRAU? - Warum muss ich mir das Bier selber aus dem Eiskasten holen? - WIE VIEL HABEN DIESE VIER NELKEN IN DER FALSCHEN GALLÉ- VASE GEKOSTET?»

Die offiziellen Weiber in Innocents Familienclan wurden als Köchinnen, Serviererinnen und Gratis-Putztag angesehen. Aber keine Putze, die etwas auf sich hält, würde vier Nelken als Tischdekoration kaufen, nur weil der Pfeffersack daneben das Geld für fünf Orchideen nicht rausrücken will! UND BEI DER PUTZE WÄRE DIE GALLÉ-VASE ECHT. JAWOHL. ECHT, sage ich euch!

Das Schicksal meinte es dann gut mit meiner Schwiegermutter (die nicht meine Schwiegermutter war). Sie musste in ein Pflegeheim gebracht werden. Hier hatte sie es gut - erstmals wurde sie bedient. Und endlich hatte sie die Alleinmacht über den Flimmerkasten-Fernbediener!

Als dann der gütige Schwiegerpapa (der natürlich nicht mein Schwiegerpapa war) den 95. feierte, wollte er sein liebes Fraueli, von dem er seit einem Jahrzehnt abstinent lebte, wieder einmal sehen: «Ich will das Mummi fest ans Herzi drücken!»

SOLCHE LIEBENDEN WORTE ENTFACHTEN GROSSES ERSTAUNEN BEI DEN NÄCHSTEN. Denn «Herzi drücken» war beim Alten fürs Bankbüchlein reserviert.

Aber nachdem der Schwieger-Opi ein Leben lang nur die Bibel (Psalmen), die «Schweizer Geschichte im Krieg» sowie «Globi in Afrika» gelesen hatte, kam er mit 92 auf Frau Courts-Mahler und deren herzüberlaufende Geschichten. Jedenfalls: Wir haben den Papilein frisch geduscht. Geföhnt. Ohrenhaare weggeschnippelt. Ihm das Hütchen aufgesetzt. Dann haben wir ihn in den Rollstuhl gesetzt. Und das ganze elende Paket in die Klinik der lieben Mutti gefahren.

Als wir den mit Kölnisch besprayten Papilein also ohne Anklopfen in das Zimmer seines Fraueli schoben, lag die Gattin in den Kissen. Sie zurrte in Panik das Elektrobett hoch. Setzte die Brille auf. Und knurrte heiser: «Also den hättet ihr mir nicht mehr anzukarren brauchen.» Gottlob war Papilein schon damals taub wie eine Nuss.

Wir schoben ihn mit dem Wagen rückwärts wieder raus. Aber - holsderteufel! - ich konnte es mir nicht verkneifen, ihm ins frisch ausgeputzte Ohr zu schreien: «Es geht eben nichts über ein liebes Fraueli.» Es war das Ende der Weihnachtsbriefe und des Muffensausens.

Während meiner Vor-Maturazeit und danach habe ich es wild getrieben. Doch mir war klar: Einmal werde ich mit einem Mann zusammenleben. Und dies ein Leben lang.

Grosses ABER: Ich wusste nicht, wie ich diesen Mann nennen sollte: «Lebenspartner» fand ich total blöd. Lebensabschnittspartner» - das ging gar nicht. «Meinen Mann?» - also bitte! So was von antiquiert. Und «mein Papilein» - nein. Seit Sissi kann ich keine Papileins mehr sehen.

Dann kam er. Dünn. Grottenhässlich. Und mit einer Brille, die er vor der Rekrutierung irgendwo im Zeughaus aus der «BITTE BEDIENEN SIE SICH»-Schachtel mitlaufen gelassen hatte. Diese Brille hat dann später die Mondlandung, die Glamour-Hochzeit von Charles mit Diana und auch das Ende der Denver-Serie mitsehen dürfen.

Nun ja - um die Sache zum Ende zu bringen: Es wurde eine Zweierkiste. Und ich nannte ihn immer «mein Kisten-Pendant». Bis heute . 52 Jahre lang.

Noch immer haben wir klare Regeln, wenn wir an Einladungen zusammen auftauchen: Er darf nicht über meine Plattfüsse reden. Und ich nicht über seine 78 Flaschen Eau de Vie de Lie im Keller. So eingespielt werden wir als das ideale Paar angeschaut. Und immer wieder in Illustrierten und «DAS GOLDENE HERZ» als Vorzeigeglück auf Hochglanz gedruckt.

Doch um es noch einmal zu sagen: Er ist weder mein Mann - noch ich seine Frau. Er ist einfach Innocent.

Dienstag, 17. November 2020