Vom Meraner Maskenball und Sissis Sprühmund...

Illustration: Rebekka Heeb

«DIESE BLAUEN GRÄUEL KOMMEN MIR NICHT AN DIE OHREN!», hat Innocent vor der Abreise seine einbetonierte Alterssturheit zelebriert. «Sie machen mir Abstehohren. Und wenn schon, dann nicht blau. Blau macht mich alt!» Also habe ich ihm nette Mundschützer schneidern lassen. In Dottergelb. Mit Daisy Duck. Vielen bunten Smileys. Und ein ganz besonders schickes, wo mit Silberfäden «ABER HALLO!» gestickt worden war (BLATTSTICH!).

Innocent sturt noch immer: «Ich bekomme keine Luft... ich habe schon als Kind nie mit einem Schnorchel tauchen können - UND JETZT DAS!» Das mit dem Schnorchel ist natürlich Schnorz. Er hatte sein Gummi-Entchen Hubertus. Und dieses in der Wanne. Schnorchel gab es in seiner Familie nicht. Die waren viel zu konservativ, um mal irgendwo unterzutauchen!

Sein gesticktes «ABER HALLO» bewegt sich also wütend in Blasen nach vorne und hinten. Ich setze zu einem liebevollen Einwand an: « JA GOPF! ES IST VORSCHRIFT - GEHT DAS NICHT IN DEINEN BETONGRIND?!» Innocent zupft den «ABER HALLO!»-Schutz wütend von seiner Birne: «...was hast du gesagt? - Ich höre nichts mit diesem Scheissverband und...»

Natürlich hört er nichts. Mit der hysterischen Wegzupferei seines schönen Mund-Nasen-Schutzs haben sich seine beiden Hörapparate im Gummifaden verheddert. Sie fallen aufs frisch geteerte Trottoir. Einer der Kunststoff-Lauscher hat nun einen Sprung - und keine Sendung mehr. Innocent empfängt ab sofort nur noch halbstereo. Geschrei! Getobe! Und: «Das Affentheater mache ich nicht mit. Leck mich doch. Du kannst alleine reisen und...»

KANN ICH NICHT. ER HAT DAS CHECKBUCH! Ich streiche ihm zur Beruhigung ein Cenovis-Schnittchen. Und hacke drei Valium rein. So ist Ruhe bis an die italienische Grenze. Während der tausend Haar nadelkurven über den Furkapass haben mich nur das donnernde Geknatter von Motorrad-Geschwadern und Innocents fulminante Schnarch-Töne begleitet. (Man darf sagen, dass Innocent es schnarchend problemlos mit 200 Harleys aufnehmen kann.)

Beim Kloster von Müstair habe ich noch einen kurzen Stopp eingelegt. In der Kapelle des Heiligen Kreuzes wollte ich IHN um den Segen für einen problemlosen Grenzübertritt bitten. Da macht mich tatsächlich so ein Mönch an: «Hallo Bruder - kommst Du zum Fasten hierher?» Oh Schreck - er besprüht mich. Es ist allerdings kein Aqua santa, sondern Desinfektionsmittel. Hurtig habe ich mich von IHM am Kreuz verabschiedet. Und er öffnete mir himmlisch alle Wege: KEINE SAU AM ZOLL! So viel Schwein muss man haben! So haben 14 Kühlkisten à je 20 Packungen Lindt-Kugeln problemlos die Grenze passiert.

In Meran empfingen uns die Damen Goldenkeil in ihrem Schloss. Sie streckten ihre spitzen Ellbogen von sich. Und wollten, dass wir dasselbe tun, um mit ihnen auf heutige Art anzustossen. DIE ELLBOGEN WERDEN ZU DEN NASEN DER ESKIMOS! Immerhin - bei den Goldenkeil-Girls war die alte Klientel noch am Stock. Keine der humpelnden Gräfinnen und hampelnden Barone aus der Sissi-Zeit hat die böse Zeit hingerafft. Dieses Alten- Kabinett ist so unsterblich wie «Little Lord Fauntleroy» an Weinachten.

Innocent meinte maliziös hinter seiner «ABER HALLO!»-Maske: «Um diese Horror- Skelette macht auch der hungrigste Virus einen Bogen» Da er eine böse Jugend hatte, ist er entschuldigt. Zuerst wurde unser Gepäck besprüht. Dann hielt man eine Pistole an unsere Stirn. Portier Leopold, den sie alle nur «unsern Poldi» nennen, nickte zufrieden: «Untertemperatur - mit einem Fuss in der Gruft!»

Erst als wir alle Prüfungen bestanden hatten, wurden wir in die heiligen Hallen geführt und mit den aktuellen Regeln bekannt gemacht: «DER MUNDKORB DARF NUR ZUM ESSEN ABGENOMMEN WERDEN! UND ABENDS ZUM DINNER SIND KRAWATTE UND DUNKLE MASKE PFLICHT.» Na wunderbar. Jetzt hättet Ihr den Alten mal krumpeln hören sollen - sein Stoffschutz blies sich vor seinem Mund auf wie ein Heissluftballon. Und dahinter tobte Wüstes - ABER HALLO! Wir entschieden uns somit, nicht am Hof der Gräfinnen zu speisen. Und die Schlutzkrapfen beim Schnalshuber-Toni reinzuziehen. Auf seinem Hof hocken die Gäste alle an einem langen Tisch. Und desinfiziert wird mit 50-Prozentigem.

Natürlich ist auch Meran ein Maskenlauf vom Casino bis in die Lauben. Eine Touristen flaute ist nicht zu spüren. Und das grosse Geschäft machen die Souvenirläden, welche Keramik- Sprüh-Bomben mit Alpen-Design verkaufen. So kannst du deine virigen Finger von einer grinsenden Keramik-Ziege desinfizieren lassen. Seltsam - aber auch Innocent hat jetzt gelernt, mit dem Virus zu leben. Wenn er für sein tägliches Aqua-Fit-Training in den Schloss-Weiher taucht, setzt er die Maske auf. Und ich darf danach das Algengrün rauswaschen und alles frisch aufbügeln - bis die eingestickten Silberfäden wieder fröhlich «ABER HALLO!» rufen. ABER HALLO - WO IST DER KAMMERDIENER, DER SO ETWAS ERLEDIGT?! (Ich meine ja nur.)

Dienstag, 15. September 2020