Von der Schiffsphobie und der Omama im Gepäcknetz

Illustration: Rebekka Heeb

Würde der liebe Gott gewollt haben, dass mir das Leben im Wasser Spass macht, hätte er mich als Frosch auf die Welt losgelassen. Aber nichts da. Er schickte eine plattfüssige Tucke auf die Erde, die bei jedem Boot gleich Schweissausbrüche bekommt: «Keine zehn Pferde bringen mich auf diesen Kahn... Wenns schaukelt, kotze ich euch die Kabinen voll...»

JEDER ZWEITE ANTWORTET DANN: «Aber das Meer ist doch spiegelglatt...»

Es muss ein physikalischer Vorgang sein: Kaum haben sie mich dank sechs muskel bepackten Matrosen und vier Valium forte an Deck gezerrt, kräuselt sich das stille Wasser vor Wut. Erste Wellen bäumen sich erzürnt auf: «WIE KOMMT SO EIN KOTZBROCKEN DAZU, AUF UNSERM BUCKEL HINAUSZUFAHREN...?!»

Schon hänge ich über der Reling. Und die Fische applaudieren. IHR KÖNNT SICHER SEIN: ICH BEWEGE JEDES MEER. UND LÖSE BEI ALLEN DEN GROSSEN STURM AUS.

Wunderts euch nun, dass ich der Romantik auf den Wellen null Gramm Frohes abgewinnen kann. ABER WIRKLICH NULL!

«Die See ist ruhig - es gibt nichts Schöneres, als bei Vollmond auf dem Wasser zu sein...» SO SPRACH ULI.

Der Partner meiner ersten Beziehungskiste hatte meine Bewunderung. Meine unschuldige Liebe. Und meine An betung. LEIDER HATTE ER AUCH EIN SEGELBOOT. AUF DEM NEUENBURGERSEE.

Natürlich war ich heiss auf den Mondschein. Und auf alles andere, das so ein Vollmond mit sich bringt. Aber kaum waren wir auf dem tintenschwarzen Wasser - also kaum, dass Uli in seinem Bariton das wundervolle Lied von «Nessun dorma» anstimmte (und dies, obwohl die Arie für Tenöre geschrieben wurde. Aber das wusste das naive Dummi damals natürlich noch nicht), kaum also, dass Uli die eine Hand am Mast und die andere auf meiner Schulter hielt, da hoben sich die Wogen. Innert Sekunden war ich so gelb wie der Vollmond, den es anzubeten galt...

Es war das erste Mal, dass mir die Fische zujubelten. Ich kann heute noch keine «Turandot» und die grosse Arie des Prinzen Kalaf hören, ohne dass es mir unter den Füssen bebt. ALSO - NICHTS MIT SCHIFFS- UND SEGELROMANTIK.

Und mit Uli war dann auch nichts mehr. Schon sehr früh wurde ich von meinem Vater gewarnt: «Schiffsreisen sind des Teufels, Bubi! Schau dir deine Grossmutter an. Von jedem Cruising schleppt sie einen neuen Papagallo heim - schon die Medusa hat aus Seefahrern Schweine gemacht...»

Das war natürlich die Circe. Aber in den griechischen Sagen war mein Vater so schwach wie ich auf einem Ruderboot. Nicht zu gebrauchen. Einmal nur hat er seine liebe Gattin und den hoffnungslosen Erben am Lago Maggiore in so eine Holzbarke geschleppt. Er ruderte seine kleine Familie auf den See hinaus. Nach einer Stunde bellte die treue Gattin: «Hans - es ist irgendwie symptomatisch. Aber du schaukelst immer im Kreis herum...»

Wie so oft im gemeinsamen Leben der beiden hat sie dann das Ruder in die Hand ge nommen. Das mit der «Omama» der bessern Seite stimmte. Als junge Witwe suchte sie ihre Vergnügen auf dem Ozean. Und wenn das «on dit» sagt, dass Matrosen in allen Häfen eine Braut haben, so hatten sie auf jedem Kahn einen Matrosen. «Dieses Hurenweib geht an jede Marineuniform!», donnerte mein Vater zu Hause.

ES WAR GANZ KLAR, OMAMAS GOLDENER TOPF, DER DIE MÄNNER ANZOG UND DIESELBEN SICH AUSZIEHEN LIESS. JEDENFALLS FIEL DAS VON DER FAMILIE ERWARTETE VERMÖGEN BUCHSTÄBLICH INS WASSER - UND MEINE SONST SO LIEBENSWERTE MUTTER BESTAND DARAUF, DASS DIE ASCHE IHRER AHNIN SOMIT AUCH ÜBER BORD MÜSSE...

Ich kann mich noch sehr gut an die Reise nach Rapperswil erinnern. Hier wollten sie die Urne versenken. Wir fuhren mit der Eisenbahn zweiter Klasse. Mehr lag nicht drin. Und sie hämmerten dem niedlichen Buben ein, ja nichts von seiner Omama im Gepäcknetz zu verraten. Denn damals durfte man eine Grossmutter nicht einfach im See ersäufen.

Mein Vater hatte einen grossen Jutebeutel mit schweren Steinen gefüllt. Die Omama schepperte darauf im Gepäcknetz hin und her. Als der nette Schaffner (oder «Zugbegleiter» wie es neuzeitlich heisst) die Fahrscheine kontrollierte, zeigte ich auf den Sack über Vaters Kopf: «Dort ist die Omama sie fuhr immer nur erste Klasse...»

Der nette Mann gab mir eine Kopfnuss: «Du bist aber ein ganz Vorwitziger...» Und Vater wurde bleich, obwohl wir noch gar nicht auf dem Schiff waren.

Im Boot nahm Mutter wieder das Ruder in die Hand. Zügig gings auf den See hinaus. «Hier Hans! Da ist eine trübe Stelle - gib mir den Sack!» Aber wir hatten die Omama im Gepäcknetz vergessen. Und mussten sie im Basler Fundbüro wieder abholen.

NATÜRLICH WAR EINMAL MEHR ICH AM DRAMA SCHULD: «Du hast uns mit deiner dummen Bemerkung total aus der Fassung gebracht», tobten sie. DIE OMAMA KAM DANN NOTGEDRUNGEN IN DEN RHEIN. DORT GING SIE IHREM VERMÖGEN HINTERHER. BACHAB...

Dienstag, 1. September 2020