Vom Gips, Fernsehen und dem heutigen Mäni Weber aus Wädiswil...

Illustration: Rebekka Heeb

Ok. Ich bin nicht der grosse Fernseher. In die Ferne schweifen - ja! Aber: Fernsehen - nein. Klar - bei TATORT mache ich die grosse Aus nahme. Sonntag für Sonntag bade ich im Blut. Und tauche ins Böse.

Meine Favoriten sind die Wiener. Und die aus Münster. Allerdings finde ich, die Protagonisten reden nicht mehr so deutlich wie früher. Die heutigen Schauspieler haben einfach keine Diktion mehr - keine zackig ausgespuckten «st». Nur noch Gelaber. Und Dialekte, die nirgendwo einzuordnen sind.

AM BESTEN SPRECHEN DANN IMMER DIE LEICHEN.

Felix, mein Rundum-Arzt- für-alles, meint, mein Unverständnis liege nicht an den Sendungen. Und auch nicht an den vernuschelten Silben der Jung-Schauspieler. Schuld sei einzig und alleine mein Gehör. Das nehme im Alter ab.

GUT SO. Ich wills zufrieden sein - zumindest etwas, das bei mir abnimmt. «...deine Agilität des kognitiven Denkens ist am Eindünnen!», schmettert er noch ein Bömbchen nach.

JA ZUM TEUFEL, WENN IM ALTER ALLES ABNIMMT UND EINDÜNNT, WESHALB DICKT PARALLEL DAZU MEIN RANZEN AUF VOLLTON. DARÜBER SOLLTE SICH DIE WISSENSCHAFT MAL FALTEN GRÜBELN.

Zurück zum Fernseher. Unsere erste Kiste kam mit dem Gipsbein meiner lieben Mutter Carlotta ins Haus. Bis wir über hauseigenes TV-Glimmern verfügten, durfte ich bei meiner Kinderfreundin Vera Meier hin und wieder vor der Glotze sitzen.

Gemeinsam schauten wir uns den grauweissen Nieselregen an. Damals nieselten die Bilder immer grau-weiss. Am klarsten war das stille Pausen-Bild. Aber Lassie war unser Freund. Und bei Flipper flippten wir!

Dann also der Beinbruch von Carlotta. Es war Winter. Es war eisig. Und es war gefroren auf dem Trottoir. Da meine Mutter das war, was man zu jener frohen Zeit «eine Dame» nannte, ging sie nie ohne Handschuhe, Handtasche und die dazu passenden Pumps auf die Strasse. Heute hätte sie sicher den Mundschutz in der Farbe des Deux-Pièces.

«Lotti - du spinnst. Du gehst zum Metzger - und nicht an einen Cocktail-Empfang. Also schnall Schneeschuhe an. Es ist arschglatt gefroren.» Mutter konterte solche Ausbrüche ihres besorgten Gatten mit einem Blick, der die Aussentemperatur noch um weitere 20 Grad sinken liess: «Wir können nicht alle wie angeschossene Pinguine rumeiern, Hans!»

Vor der Metzgerei kam sie dann auf dem Glatteis ins Schwanken. Sie setzte zu einer Pirouette an , die 40 Jahre später von Denise Biellmann kopiert wurde. Dann knallte sie auf den Boden: Hut weg... Pumps schief... Scheichen kaputt...

ALS ICH HEULEND ZUSEHEN MUSSTE, WIE MAN SIE AUF EINE BAHRE BAND, WAREN DIE ZWEI EINZIGEN SÄTZE, DIE SIE VON SICH LIESS: «ZIEH SOFORT MEINEN HUT AB - DU FEIGE!» Und der zweite: «JETZT KAUFEN WIR UNS EINEN FERNSEHER...»

So kam Mutter eingegipst nach Hause. Einen Tag später kam auch die erste Flimmerkiste. Vermutlich ist es symptomatisch, dass ich Fernsehen auch heute noch mit viel Gips in Zusammenhang bringe. Ich möchte die 60er-Jahre mit dem «Hexer» und Lou van Burgs holländischen Charme nicht verherrlichen. Aber damals haben Serien wie «Familie Hesselbach» oder «Daktari» die Strassen leer gefegt.

Mäni Weber war in jener Zeit das eidgenössische Symbol für Sex und Rätselraten. Und wenn ich an das sprühende Charisma einer Heidi Abel zurückdenke, frage ich mich heute: Müssen die unsere Sendungen von ökologisch richtig programmierten Tiefkühltruhen moderieren lassen?

ABER HALLO - FERNSEHEN HATTE DAMALS NOCH PERSÖNLICHKEIT UND VICO TORRIANI SEIN EIGENES NETZSTRUMPF-BALLETT!

Ich weiss nicht, wann der Zauber des Fernsehens wie eine abgestellte Herdplatte erkaltet ist. Aber ziehe ich mir das Schweizer Fernsehen rein, ist heute alles auf einen Radius von 20 Metern um Zürich beschränkt. Passantenumfragen finden in der Bahnhofstrasse statt. Der einzige Zoo der Schweiz steht in Zürich. Werden Politiker zu einem Thema befragt, müssen sie einen Zürcher Pass haben. Und die Meteotante auf dem Studiodach lächelt spröde, wenn sie die Badetemperaturen der Schweizer Seen anspricht: «Da hätten wir beispielshalber 22 Grad am oberen Zürichsee. Und 21 Grad am unteren Zürichsee.»

BEISPIELSHALBER IST GUT! Die war doch noch nie einen Schritt von Zürich weg. Wenn ich es einmal so sagen darf: Den Rest der Schweiz interessiert das Limmatgeschehen weder oben noch unten am See! Und so macht mich noch immer wütend, dass ich als Ausserirdischer Fernsehgebühren für einen lokalen Zürich-Sender abgeben muss, der sich etwas zu grossspurig «Schweizer Fernsehen» nennt.

BRAUCHE ICH NICHT! ALSO ABSCHALTEN. TATORT KOMMT EH ANDERSWO.

Und die neusten Corona-News bekomme ich alle drei Minuten auf meinem Handy durchgepiepst - da brauchst du dir nicht alle Viren-Professoren zwischen Örlikon-Süd und Schlieren-West reinzuziehen. ISS DOCH WAHR!

Na gut - auch das Schweizer Fernsehen hat Highlights: Diesen weissgeschürzten Fabrikanten mit den lebenden Federn von toten Tieren sehe ich auch nach seinem 8965. «Grüezi» immer gerne. Er ist der Mäni Weber unseres heutigen Schweizer Fernsehdenkens. Er bringt mit seiner Dame daneben alles unter seine Decke. Und er kommt aus Wädiswil am Zürisee...

Dienstag, 25. August 2020