«Der Wagen bringt 500 Franken - der muss her!» TYPISCH INNOCENT! Es ist ihm langweilig. Also telefoniert er mit Pascal. Letzterer ist Autohändler. Hockt im HHO. Das bedeutet Halb-Home-Office. Und keiner weiss, was das ist. Also - da Pascal nichts zu verkaufen hat («weil diese Armleuchter nicht liefern können - wir haben keine Autos mehr!») und Innocents Wäsche noch im Schleudergang steckt, plaudern sie drauflos.
Mein alter Freund erzählt von unserm Insel-Auto, das noch mehr Kilometer auf dem Tacho hat als er selber. Und Pascal, professionelles Schlitzohr, hat ihn schon am Wickel: «Ich verkaufe dir einen Vorführwagen zu einem Hammerpreis. Den bringst du auf die Insel. Und den alten zurück. Dafür knalle ich dir noch 500 Franken direkt auf die Kralle...»
Die Wäsche schleudert noch immer. Und der Deal ist perfekt. SO WIRD BEI UNS DAS GELD VERSCHLEUDERT. Natürlich bekomme ich Vögel: «ABER HALLO - HABE ICH VIELLEICHT AUCH NOCH EIN WÖRTCHEN MITZUREDEN?» «Wir haben Gütertrennung», bellt Innocent. Und: «Der Kauf ist mit Handschlag beschlossen.»
Handschlag zur Corona-Zeit? - ja spinnen die! «Es war nur ein Telefongespräch,,,», versuche ichs noch. «TATATATAAA», sagt Innocent. Er sagt jetzt immer «tatatataaa», wenn er nicht mehr weiter weiss. Wundert ihr euch, dass ich Nervenverstärker direkt ab Flasche reingurgle?
O.k. Das neue Auto ist ein Knaller im Rot meiner Handtasche. Es trägt auch meine Unterschrift. Sehr chic. Damit mischen wir die ganze Insel auf. ABER: Wie kommt der Knaller nach Italien? Innocent faltet die Hände. «Ganz einfach - du fährst die Karre hin. Schnallst dort die alte Lotterkutsche unter deinen Hintern. Und ratterst damit in die Schweiz zurück. Jetzt, wo alles wieder offen ist.» «Und was ist, wenn mir die Sache unter dem Arsch auseinanderfällt?»
«FRAG ROBERTO - DER FÄHRT SICHER MIT. ER WEISS IMMER WAS, ZU TUN IST.» Roberto ist ein Römerfreund. Auch er: Corona-traumatisiert. Die Menschen waren drei Monate eingesperrt. Irgendwie hat sie das geprägt. Und wenn sie jetzt auch wieder herumgurken dürfen - sie tun es nie ohne Maske. Nie ohne Fiebermesser zwischen den Lippen. Und nie ohne Furcht.
Roberto kommt mir mit einem weissen Ding vor der Nase entgegen. Er sieht aus wie ein Protagonist im Ballett «die Vögel». In seinem Gepäck hat er drei Unterhosen und sechs Fiebermesser.
In Bologna zeigt der Concierge mit seinem Gummihand schuhfinger auf die alte Karre: «Was ist das dort?!» «Mein Auto!» «Wenn Sie damit in die Schweiz zurückkommen, werden Sie auch Corona überleben!» WIR WAREN DIE EINZIGEN GÄSTE. Im Frühstückssaal stand ein riesiges Buffet. Wir durften mit diesen langen Stöcken, mit denen unser Geografielehrer Bienz der Klasse auf der grossen Karte das Faltengebirge erklärt hat, auf Schinken, Melonenschnitze und Torte della Nonna zeigen. DANN VERBEUGTEN SICH DIE VERMUMMTEN GESTALTEN. STERILISIERTEN DIE MESSER. UND SCHNITTEN DIE KUCHEN AN.
Wir haben die olle Kamelle dann von Iselle bis Brig und von Goppenstein bis Kandersteg auf dem Zug transportiert. Als wir aus dem Tunnel kamen, die Sonne uns liebkoste und die Kühe am Wegrand fröhlich winkten, als da die Sennerin ohne irgendwelchen Gesichtsschutz den Ziegen an die Euter ging und Schulklassen in Viererkolonne vor Ogis Haus das Lied «Bhüet-is Gott dr Chüejerstand» zum Besten gaben, da schwitzte Roberto die Gesichtsmaske nass. «Ja seid Ihr denn total von Sinnen... DAS IST ALLES GEFÄHRLICH... GLAUBT HIER KEINER AN DIE ZWEITE WELLE?!»
Ich versuchte ihm klarzumachen, dass sich die Probleme dieses Landes um das drehen, was wir nicht beim Namen, sondern jetzt «gefärbten Eiweisskuss» nennen sollen. Als wir beim Holzhäuschen vorfuhren, hatte Innocent schon eine Fondue auf dem Kocher, obwohl Herr Kocher von Fondue abgeraten hat. Innocents Devise: «MEINE FONDUE IST KERNGESUND - DA IST EIN LITER KIRSCH DRIN. DER KILLT ALLE VIREN!»
Roberto zeigte sich über die frisch umluftete Bergpracht begeistert, schob mir aber hurtig einen Zettel zu: «Ich esse nur Krackers aus der Originalpackung. Morgen geht mein Flug. Ich will so rasch als möglich nach Rom zurück... ich fühle mich hier nicht wohl... morgen ist der Flug ab Zürich.»
Als wir in der Bahnhofstrasse in eine tobende Demo kamen, bei der Haut an Haut geschrien und den Banken unseres Landes die Flammen in die Tresorräume gewünscht wurden, da verstand er die liebliche Heidiwelt nicht mehr: «MATTI... TUTTI MATTI: Keiner trägt eine Schutzmaske - auch die Polizei nicht...»
«IN ZÜRICH TRAGEN SIE LABELS - KEINEN MUNDSCHUTZ!», versuchte ich Roberto die Situation an der Limmat klarzumachen. Als er aber beim Bellevue auf einer Discoterrasse junge Menschen hauteng miteinander tanzen sah, hatte er genug von der schönen Limmatstadt. Der Flughafen war ein Gespensterhaus. Die Restaurants verrammelt. In den Boutiquen warteten abgelöschte Gesichter auf Käufer. Doch da sie keine Maske trugen, blieb Roberto auch beim Parfumstand nicht stehen. Das Flughafenhotel war dann ein surrealer Glaspalast, bei dem es am Empfang hiess: «WEGEN CORONA KÖNNEN WIR IHNEN ZUM FRÜHSTÜCK NUR EINE STERILE GIPFELI-BOX MITGEBEN.»
Als ich wieder in Adelboden aufkreuzte, brachte Innocent das eingedickte, erkaltete Fondue aufs Rechaud: «Mein Gott, machen diese Italiener ein Theater...» «Sie hatten es schwerer als wir...» versuchte ich den Stiefel zu entschuldigen. Innocent: «Tatataaa » Und noch eine Flasche Desinfektionskirsch ins Fondue.