Von der Ohnmacht zu zöpfeln und warmem Brot

Illustration: Rebekka Heeb

Sie legen mir Zöpfe vor die Chalettür. Butterzöpfe. Schön golden. Dies meist an einem Samstag. Hier, wo nur die Berggipfel höher sind als der Himmel, in den wir mal einziehen sollen, hier wird für den Tag des Herrn und die ganze Familie noch der Sonntagszopf aus dem Ofen gezogen. Ich bin ihr Herr vom Unterland. Also bekomme ich auch ein Exemplar. Da wir noch immer keine Hände schütteln und null Sennenküsse tauschen, legen die Frauen mir ihre duftenden Weggen einfach auf die abgetretene Holzschwelle vor dem Holzhaus. Sie klingeln nicht mal. Seit Innocent unsere Nachbarin, das Säuli-Lenchen, zusammengestaucht hat: «Jetzt lasst ihn mal in Ruhe seinen Quark schreiben - wenn er dauernd unterbrochen wird, ist das, wie wenn ihr bei einem Soufflé alle drei Sekunden die Ofentür öffnet. DER GANZE SCHEISS FÄLLT ZUSAMMEN... GENAU SO IST ES MIT IHM!»

Natürlich hat es Innocent mit seiner Motzerei nur gut gemeint. Aber seither meiden die Frauen den Sprachkontakt. Und tuns auf die Schnelle auf die Schwelle. Sie flüstern vieldeutig herum: «ES FÄLLT IHM IMMER ZUSAMMEN...» Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich das Soufflé meinen. Denn souffliert wird hier kaum. Nur währschaft gebacken. Oder: Röschti-Burger mit Ei. Das ist der neuste Hype im Oberland: Röschti in Big-Mac-Form zwischen zwei Stück getoastetem Zopf und mit einem schlabberigen Spiegelei sowie ausgebackenen Schweinespecklamellen getoppt. SOO MACHT VEGI SPASS...

Ich nehme also die noch warmen Zöpfe in die Arme - wiege sie zärtlich wie die Hebamme das frisch geholte Kind. Und löse sie aus dem seidenen, weissen Feinpapier, um gleich die knusprige Kippe wegzuzupfen. Ich zupfe immer. Und zupfe sofort. Denn lauwarmes Brot ist immer das beste. Wie die teuflische Versuchung im Paradies bietet sich nun der Inhalt an: zart, weiss und wattig. Da können sämtliche Alarmglocken wie bei Eva am Apfelbaum in meinem Kopf losgehen - ich zupfe. Und zupfe. Und zupfe. Bald ist der Zopf so ausgehöhlt wie der Kürbis zu Halloween. Und mein Magen tobt in höllischer Aufruhr... ofenfrischer Zopf macht nämlich Magenbrennen. IMMER. Die Blockierpillen haben schon lange jeden Milderungsversuch aufgegeben. Obwohl wir ja nur ein Zweipersonen-Corona-Haushalt sind und Innocent ein schwacher Esser ist (seine Stärke liegt in der Aufnahme von Flüssignahrung), kommt kein einziges Brot um oder gar - BEWAHRE! - zum biologischen Abfall. DAS NICHT! Unsere Tiefkühltruhen sind rammelvoll mit Adelbodner Zöpfen. Und Suppenhühnern von Christine und Änneli. Innocent bröselt diejenigen Zöpfe, die wir nicht mehr bei 30 Grad minus ins Jenseits betten können, zu Tonnen von Paniermehl. Er braucht dazu vier Handreiben. Und hat mehrere Pfunde üble Schwielen an den Fingern. Das übrige Brot wird dann mit dem Beil in Stücke gehackt. Somit sind für den Rest der Woche Fotzelschnitten, Eierbrot und «falsche Ritter» angesagt. Bei Letzteren wird der in Milchwasser leicht aufgeweichte Zopf in fingerlange Stücke geschnitten. Diese brät man in heisser Butter. Gibt viel Zucker und Zimt dazu. Und serviert sie an einer Weinsauce. Jetzt fragt mich nicht, wie man die Weinsauce macht. Nicht jeder, der schreibt, kann auch kochen - obwohl jetzt auch selbst der Radio-Wetterfrosch und «Susi’s Katzen-Pension» einen Rezept-Blog auf Instagram haben

Schon als Kind wurde mir eingepaukt: «Altes Brot ist hart - ABER KEIN BROT IST HÄRTER!» Die Tanten erzählten mir dann mit Tränen in den Augen vom Brotsäcklein während des bösen Kriegs: «DA WÄREN WIR UM EIN HARTES STÜCK BROT SO WAS VON GLÜCKLICH GEWESEN, DU VERSCHLECKTER SAUGOOF...» Ich wagte dann nur noch einen einzigen Satz: «Wir haben jetzt aber k e i n e n Krieg...» Sie gaben mich als hoffnungslosen Fall auf - wie die Magenblocker ihr Bemühen gegen mein Sodbrennen nach sieben Schnitten Zopf mit Butter, Mayo und Hartei...

Innocent ist für Hausgebackenes sehr empfänglich. So hat er stets die Linzerschnitten seiner Busenfreundin Liesel über alles gerühmt. Das Wort «Busenfreundin» ist hier wörtlich zu nehmen - das Lob nicht. Die Linzerschnitten mieften nämlich so trocken, als kämen sie direkt aus dem Staubsaugersack. Sie waren nur zu geniessen, weil die Salzburger Gräfin immer eine Karaffe mit Marillenschnaps dazustellte. Da brauche ich nicht lange zu erklären, wer schon bald rote Augen hatte und nach der Schnitte rief!

Mein einziger Versuch, selbst auch mal einen Zopf zu backen, scheiterte bereits bei der «Zöpflerei». Schon als Kind mochte ich die geflochtenen Schwänze nicht. Ich war eher der Bubikopf-Typ. Und als Innocent, dieser fröhliche singing-ei-ei-juppi-gewordene Hobby-Handwerker, die Zopfstränge schön ineinanderschlug und den Teig ab in die Hitze gab - da fiel all das Schöne zusammen wie das Soufflé, bei dem man alle drei Sekunden die Backofentür öffnet. HATTEN WIR DAS NICHT SCHON MAL? Um zum Schluss zu kommen: Nicht jeder ist zum Hausbackenen geboren. Oder wie es Herr Koch so schön sagen würde: NICHT ALLE KÖNNEN ZOPF! Fertig.

Dienstag, 2. Juni 2020