«MASKE RUNTER!» Was hier wie kurz vor dem Banküberfall tönt, ist ein Wutausbruch. Manchmal stehe ich kurz vor der häuslichen Gewalt. Aktiv.
Natürlich ist es schwer für Innocent, zu kapieren, dass die Welt im Ausnahmezustand ist. Kommt im Fernsehen «CORONA-VIRUS», stellt er auf stur. Und einfach um. ER ZAPPT SICH DURCH SÄMTLICHE KANÄLE. DOCH JEDER KANAL IST JETZT VOM VIRUS VERSEUCHT. Nur auf einem mir unbekannten arabischen Sender mit dem Namen Zahrat Bayda zeigen sie Bauchtanz. Dazu näselt diese enervierende «Dei-düdüüü-dei»-Musik.
Die Damen, welche die Bäuche schwingen, sind gut im Futter. Innocent stiert auf deren Nabeln, in denen üppige Klunker im Rhythmus hin- und herschwingen. Mal funkeln die Prunksteine im Grün einer toskanischen Olive - mal im Rot des Granatkerns. Wie ein politisches Rot-Grün-Swingfest vor unserm Rathaus. Nur etwas weicher gebettet.
Natürlich faszinierten mich die herumtanzenden Klunker sowie die damit verbundene Frage: Sind sie echt? Oder kommen sie vom marokkanischen Talmi-Hansi an der Ecke? Dann aber konzentrierte ich mich auf den Oud-Spieler an der Langhals-Laute. Und ich muss euch sagen: Der hat es mit seinem Gezupfe drauf!
«MASKE RUNTER!» - dieser Ausbruch kam dann Tage später. Natürlich durfte ich Innocent n i c h t ins Supercenter reinnehmen. Eine lustige Zeichnung mit einer Reihe weinender Alten samt der Aufschrift: «UND WIR...? WIR DÜRFEN NICHT HINEIN!», gab klare Corona-Orders durch: SCHÜTZT EUCH!
«Aber es wird doch jetzt alles aufgeweicht...», jammerte Innocent.
«DAS LEBEN IST KEIN WEICHSPÜLER!», gab ich die Poesie des Tages durch. Stülpte ihm die Maske vors Gesicht. Und band meinen Freund an einen Veloständer. «Ich will aber nicht wieder diese Karottenfarbe!», nuschelte er hinter der Ab deckungshülle. «ES GIBT, WAS ES HAT!» - ähnliche Worte soll schon meine gute Kembserweg-Omi während des grossen Kriegs von sich gegeben haben, als sie 23 Tage lang Steckrüben an Kümmel auftischte.
ICH VERSUCHE, ALL DIE MISSBILLIGENDEN BLICKE, DIE WIE DOLCHSTICHE AUF DEN ÜBERALTERTEN ARENA-STIER ABGESCHOSSEN WERDEN, ZU ÜBERSEHEN. Bald soll es aber mit dieser Diskriminierung vorbei sein - so schlau wie die Jungwelt sind wir nämlich noch lange. Dazu bedeutend kreativer. Und eben da ist mir die Idee mit dem Haarfärbemittel und der schwarzen Mafioso-Brille gekommen.
«WIR FÄRBEN UNS DAS GRAUHAAR AUF TEERSCHWARZ. DAZU TRAGEN WIR DIE DUNKLEN SONNEN BRILLEN AUS CATANIA. SCHON LAUFEN WIR UNTER 30 PLUS...» «Hähä...», meckerte Innocent fröhlich, «...dann klebe ich mir auch so ein Fake-Tattoo auf den Arm. Das wollte ich schon immer: einen kreisenden Adler mit einer Maus in den Klauen. Und die Maus hat d e i n Gesicht...» WIE GESAGT: DIE ABSTINENZ TRÜBT SEINE SINNE!
Es war dann erstaunlich: Klopapier gab es wieder in Hülle und Fülle: vom sparsam zweilagig (Aktion) bis zur flauschigen Art mit den blühenden Hyazinthen auf jedem Blatt. ABER - SELTSAMSELTSAM! - BEI DEN HAARFÄRBE MITTELN WAR DAS REGAL LEERGEFEGT. Vermutlich waren die anderen ins Alten-All weggeschossenen Senioren auch schon auf meine Idee gekommen... Es stand noch eine einzige Flasche «dunkel Kastanie» da. Daneben: zweimal «Pippi-Langstrumpf-Rot». NUN DENN - IN SOLCHEN ZEITEN DARF KEINER WÄHLERISCH SEIN.
Als ich Innocent mit dem Mittel einseifte, gab er gleich wieder die Drama-Queen: «ES BRENNT. DAS IST, ALS WÜRDE DER TEUFEL AUF MEINEM KOPF SAMBA TANZEN...» Dann weinerlich: «Willst du mich umbringen?! Ich habe weder das Testament noch die Patientenverfügung unterschrieben...» Wenn ich je in einem Gerichtsfall punkto häuslicher Gewalt in der Jury sitzen sollte: IHR KÖNNT AUF MICH ZÄHLEN!
Ich färbte mich selbst auch ein. Und war dann doch etwas geschockt, als der Föhn eine halbe Stunde später unsere Frisuren zum Leuchten brachte... Nun gut. Innocent hat beneidenswert viel Haar. Auch mit 85 plus. Da könnte sich mancher 30 minus ein paar Strähnchen davon abschneiden.
NUR: DAS HAAR HATTE JETZT DIESE FARBE VON BÜCHSEN-TOMATEN. SELBST DER SCHNURRBART LEUCHTETE WIE DAS ROT DER VERKEHRSAMPEL. INNOCENT WURDE ZUM HD LÄPPLI IN FLAMMEN.
Auch bei meiner «dunkel Kastanie» muss etwas in die Hose gegangen sein. Jedenfalls brüllte mein Freund, als sich meine wenigen Locken wie ein sprödes Wundpflaster wegzupfen liessen. «Himmel - ICH GLAUBE ES NICHT!», japste er kreischend nach Luft. «Du bist geschält wie ein Ei nach Ostern...». Stumm hielt ich ihm den Spiegel vor seine feuerflammende Mähne: «Wemme dänggt..., wemme dänggt!»
DA WAR DANN SOFORT RUHE.
Wir verstecken seit drei Tagen unseren Kopf unter zwei Kopftüchern und warten, dass «Salon Ali» nächste Woche das Allerschlimmste umbauen kann. Die Mafiosi-Brillen tragen wir trotzdem. Die Leute schauen wohl etwas ver wundert - aber nicht mehr so kriegerisch, als würden sie alte Hasen jagen gehen.
ICH VERMUTE, SIE HALTEN UNS FÜR DIE ERSTEN FATIMA-TOURISTEN, DIE AUS SAUDI FRISCH EINGEREIST SIND.
Wenn es noch ein bisschen wärmer wird, zeige ich zum neuen Fatima-Look auch Bauch. Wer hat, der hat! Dazu schwingen Klunker im Nabel. Bis es so weit ist, wird Talmi-Hansi an der Ecke hoffentlich wieder offen haben...