Von weggeschlossenen Alten und braunen Eiern

Illustration: Rebekka Heeb

Die Frau schaut mich entsetzt über die Strasse an.

ICH HABE GENOSSEN.

Früher war da ein freundliches «Gesundheit!». Heute? - Ein Blick, als würdest du mit einer Atombombe spazieren gehen.

Als Generation, die schon an der Wiege von Donald Duck gestanden hat, gehörst du nicht auf diese Bergstrasse, die vom Adelbodner Wildstrubel direkt in die Bäckerei führt.

NEIN - AHV-ALTE GEHÖREN WEGGESCHLOSSEN. KEIMFREI ABGESONDERT! UND: AB INS STERILISIERGLAS!

«Es ist nur der Heuschnupfen», rufe ich auf die andere Wegseite. Die Frau schüttelt den Kopf. Und brummelt vor sich hin. Dann dreht sie sich noch einmal um. Und wird laut: «Sie können Ihre Einkäufe auch online machen!» Wunderbar. Die dumme Kuh hat keine Erfahrung. Sie plappert einfach all das nach, was uns einfühl same Moderatoren, meine fröhlichen Vettern in Basel und der Bundesrat aus Bern weismachen wollen.

JA KLAR KÖNNTE ICH ONLINE BESTELLEN. HAB ICH JA AUCH.

Aber die Sache funktioniert eben nur in den Köpfen der Theoretiker. Praktisch hocke ich als schreibende Hausfrau sechs Stunden vor dem Computer. Fülle meinen virtuellen Warenkorb. Und drücke auf «bezahlen». Dann - dingdong! - sagt mir mein Warenkorb, dass ich ihn wieder entleeren und es später nochmals versuchen soll. Grund: Es gebe Stauungsprobleme.

«GIB BEIM NÄCHSTEN MAL NOCH DREI HARÄSSLEIN STARKBIER HINZU!», brüllt Innocent aus der Küche.

Nach weiteren sechs Stunden habe ich den Warenkorb gefühlte 4000 Mal entleert. Und: «KLOPAPIER BRAUCHEN WIR KEINES MEHR!», brüllt es wieder aus der Küche. «Was würdest du auch ohne mich anfangen?»

In Situationen, in denen die Welt untergeht und die Krise unsere Zehennägel rückwärts aufrollt, ist mein Freund Gold wert. Nicht umsonst hat er als Hauptmann der Armee kalte Kriege gegen das China von Mao Zedong, Schlachten gegen Nikita Chruschtschows Sowjetunion und in den 80er-Jahren auch den Streit gegen diesen grässlichen Basler Steuerbeamten im Büro 22 gewonnen. Auf Innocents Geheiss hin hortete also die ganze Familie während der Kuba- Krise Tonnen von Corned-Beef in Büchsen im Keller. Noch jetzt überkommt mich beim Anblick des seltsam braunrosigen Fleischklosses das Würgen.

Und seinen Soldaten jagt es noch heute an den «Veteranen-Treffen» Tränen in die Augen, wenn einer davon erzählt, wie sie mit Innocent «c’est la petite Gilberte...» auf dem 40-Kilometer-Marsch gesungen hätten. Es hätten zwar bei allen säuisch der «Wolf» zwischen den Beinen gebrannt, aber ihr guter Hauptmann habe sie nach dem totalen Zusammenbruch mit dem Ruf «FOTZELSCHNITTEN FÜR ALLE!» wieder froh aufrichten können.

Innocents vorsorgliches Katastrophen-Denken ist phänomenal: In jenen Tagen, als die Hamster immer mehr und die Rollen immer weniger wurden, hat er unsere alten Zeitungen feinsäuberlich mit dem Militärsackmesser in Quadrate geschnitten. Gelocht. Und an einer Schnur an dem gewissen Ort aufgehängt.

MUSS MEINE SCHILDERUNG NOCH DRASTISCHER WERDEN?

Muss sie nicht.

Jedenfalls lese ich jetzt auf der Toilette mit sehr viel Interesse das Weltgeschehen vom November 2019 und dass es damals auf Weihnachten hin «BARBIE IM WELTALL» in einer Geschenkpackung gegeben hat.

2019 WAR DAS JAHR, ALS NOCH JEDER HERZENSFROH NIESEN DURFTE, OHNE DASS MAN IHM GLEICH DIE PATIENTENVERFÜGUNG ENTGEGENSTRECKTE.

Nun bin ich also mit Innocent, diesem Überlebensstratege, am Fusse des Chuenisbärgli im kleinsten Bergchalet der Umgebung weggesperrt. Fast könnte man sagen: bei lebendigem Leibe rundum mit barock Chalet-Holz eingesargt.

Ich warte also darauf, dass mein virtueller Korb mir keinen Korb mehr gibt. Parallel dazu höre ich im Radio, wie eine liebe, gute Frau ihre Quarantäne auf lockere Art beschreibt. Sie hockt zwar hinter Schloss und Riegel. Aber sie färbt fröhlich singend Ostereier. Die Oma tut dies mit Nylonstrümpfen. Zwiebelschalen. Und Gartenkräutern.

DANY, DER MODERATOR, IST WEG VON SO VIEL KREATIVITÄT - UND ICH BIN ES AUCH: Kindheitserinnerungen an die braunen Ostereier mit den hellen Schatten von Veilchen, Frauenmänteli und Klee werden wach. «Ich hole jetzt rasch mal Eier und Zwiebeln», rufe ich Innocent zu. «Ja gehts noch», rüsselt er mir aus dem Fenster nach, «DU HAST AUS BERN VERORDNETEN HAUSARREST. Bring wenigstens vier Harassen Bier mit!»

In der Bäckerei schnalle ich den Mundschutz um. Ich habe ihn lindengrün gefärbt - passend zu den Augen. SO KREATIV WE DIE EIER-OMI BIN ICH NOCH LANGE!

Im Chalet staple ich dann zehn Eier-Schachteln auf den Tisch.

«WO IST DAS BIER?»

Ein kleiner Stinkefinger wächst. Es ist meine sanfte Form der häuslichen Gewalt.

Schliesslich pflücke ich Kräuter im Garten. DOCH DANN FRUST: ICH HABE KEINE NYLONSTRÜMPFE. UND OHNE DIESE GEHT DAS MIT DEN EIERN NICHT.

Innocent schaut vom Sudoku auf. «Was guckst du so mies aus der Wäsche?» - «Mir fehlen Damenstrümpfe für die Ostereier», heule ich! - «Schau mal im Keller nach, in der Kiste, die mit «KOMPANIE-ABEND» angeschrieben ist; da hats Weiberstrumpfhosen noch und noch.»

Er kichert jetzt. «Du hättest mal den Huber Hansi als Lola-Lola sehen sollen...»

IRGENDWIE LÄSST ER MICH HOFFEN - MAN KANN MIT INNOCENT AUCH EINEN VIRENKRIEG GEWINNEN.

Dienstag, 7. April 2020