Die Torten schmecken süsser.
Die Schnitzel sind grösser.
Und die Beizenrechnungen kleiner.
VOR ALLEM: SIE SERVIEREN UNS DIESE FREUNDLICHKEIT, DIE AUCH BEI VIRUSKRISE UND NIESELREGEN DIE SONNE STRAHLEN LÄSST. A DISTANCE - ABER LIEBENSWERT.
Sorry, ich liebe die Österreicher.
Auch wenn es mir auf den Wecker geht, dass sie vor meiner Nase die Grenzen schliessen. Und auf den Skipisten meistens die Pokale abräumen.
Gut - ich finde es auch leicht schräg, dass sie beim Neujahrskonzert zum Radetzky-Marsch klatschen. WIR APPLAU DIEREN UNSEREM MEDIZI NISCHEN PERSONAL, DAS IN DIESER KRISE FÜR ALLE DURCHS FEUER GEHT.
Die Österreicher: Applaus für die Netrebko. Applaus für die Kardinalstorte. Und «klatsch-klatsch-klatsch» bei den Strauss-Märchen.
Ich kann auch mit dem Opernball und dem ganzen Schnickschnack in den Ehrenlogen nichts anfangen (ich bevorzuge den Kaffeesiederball).
ABER ICH GEHE NICHT MIT MEINEM VATER (SELIG) UND VIELEN EIDGENOSSEN EINIG: «Die machen doch nur auf Arschkriecherei... diese süss falsche Freundlichkeit ist nicht viel mehr als rissiger Zuckerguss!»
Ehrlich gesagt: Mir ist der süsse Guss mit all seinen Rissen lieber, als diese stets etwas genervte Trotzkopfmiene unseres Servicepersonals: «Pass auf! Wenn du es noch ein viertes Mal wagst, nach mir zu rufen, spucke ich dir auf die panierte Hühnerbrust! Und ich hatte vorgestern Fieber!»
Natürlich kann ich nicht dafür garantieren, dass österreichische Kellner nicht auch spucken. Aber wenn, dann mit einem freundlichen Lächeln!
Okay - es ist müssig, darüber zu hirnen. Seit Corona ist eh ausgespuckt. Und fertig mit Lächeln. Selbst in Österreich ist uns der Zucker im Hals stecken geblieben.
Dennoch - die Frage bleibt: Weshalb sind die Gemüter an der Donau sonniger? Fröhlicher? Und alles im Walzer-Takt?
Vor ein paar Wochen habe ich mit der eidgenössischen Nummer eins unter den Gastgebern über das Problem «Service personal» diskutiert.
Andreas Caminada versicherte mir, dass sich bei einer Service-Ausschreibung von zehn Bewerbern nur einer aus der Schweiz melden würde. Der Rest: Österreicher. Und Deutsche.
Dann fügte er etwas sehr Wichtiges hinzu: «Ihnen macht es Spass Gastgeber zu sein. Und die Menschen zu verwöhnen. Sie haben kein Problem mit dem Wort dienen. Wir Schweizer sind zu stolz. Und tun uns schwer damit.»
Das mag stimmen. Sicher ist aber auch, dass der Beruf des Kellners oder der Servicefrau in eidgenössischen Landen einen miesen Ruf hat: Schlechte Bezahlung und oft auch griesgrämige Gäste.
Der Schweizer übersieht das Personal stoisch. Und eiskalt. Es steht ihm seit Jahrzehnten zur Verfügung. Und wurde aus allen Ländern herbeigerufen. Entsprechend nimmt er den Menschen, der ihm die Pasta hinstellt, gar nicht wahr. Oder er schaut irritiert auf, wenn ihm jemand vor seinem Teller die einzelnen Zutaten der Speisen erklärt.
Schweizer mögen nicht, wenn man sie im Gespräch am Essen unterbricht. Echte Gourmets wie Hercule Poirot oder Monsieur Escoffier jedoch haben während einer Mahlzeit nie ein Wort geredet. NICHT EINMAL: «REICH MIR DAS SALZ!»
UND DA WÄREN WIR AUCH SCHON BEIM UNTERSCHIED ZU UNSERN ITALIENISCHEN ODER FRANZÖSISCHEN NACHBARN.
Hier steht der Kellner ganz oben in der Berufsgattung - er hat mehr Kompetenz. Er kommt auf der Beliebtesten-Rangliste gleich nach Sophia Loren und Louis de Funès.
Es ist ganz selbstverständlich, dass ein Kellner am Tisch das Sagen hat.
Und ganz sicher: das Beraten.
Bei uns also hingeblaffter Befehl: «Menü zwei - ohne Pasta. Glutenallergie!»
Der Kellner: «Okay!».
Die -2- kommt. Mit Pasta. Dafür ohne Tomaten.
IN ITALIEN: «Was empfehlen Sie uns heute?»
Die Kellner schleppen Fische auf Eis an raten von den Langusten ab - sie schütteln dazu kaum merklich den Kopf - und versichern, dass die Zuppa inglese soeben von der Nonna in die Schüssel angerichtet werde: «Non da mancare!»
Schon geht am Tisch die Diskussion los, wie der Koch den rot glänzenden «Scorfano» zubereiten soll.
Da kann Herr Salvini noch so viel faschistischen Stuss rauslassen - ALLES KEIN THEMA! Die Verdauungs probleme jedes Einzelnen am Tisch und die Erklärungen, wie er daheim den Fisch zubereitet, füllen den Abend aus.
BEI UNS: «HAT DER FISCH GRÄTEN?»
Nein. Hat er nicht. Und wagt es ein Steinbutt, nach Steinbutt zu duften, fängt sofort das Geschrei an: «Das esse ich nicht - das schmeckt nach Fisch!»
Die alte Generation hat mit dem Klima gesündigt. Aber auch damit, dass sie der Jungmannschaft das Fischstäbli auf den Teller gebracht hat.
Zurück an den Beizentisch. Genauer: nach Wien zu Plachutta. Hier ist das Rind vom Schwanz bis Kopf daheim.
Kaiser Franz Josef soll jeden verachtet haben, der nicht mindestens über ein Dutzend Teile vom Wiener Rindfleisch sachkundig Konversation machen konnte.
Entsprechend bestellt man also nicht nur «Suppenfleisch mit Brühe».
Nein. Der Ober lacht den Gast an: «Was darfs denn sein - a Stüggerl vom Kavalierspitz oder gar die Fledermaus a weisses Scherzel oder a mageres Meissel... ?»
BEI UNS: «Heute ist Suppentag!»
Natürlich ist es jetzt müssig, den Gourmetgerichten, den gescheiten Kommentaren und dem fröhlichen Lachen der österreichischen und italienischen Kellner nachzuweinen - Corona verdammt sie alle zur Sendepause.
Die Suppe ist kalt - und unser aller Lächeln erloschen.
ICH VERMISSE DIE WÄRME DER MENSCHLICHEN SONNE.
Und ich vermisse das Service-Personal. Selbst das von der miefigen Art.
Und wenn wir in irgendeinem neuen Leben wieder einen Teller hingestellt bekommen, werde ich das Personal anstrahlen: «Danke. Wunderbar, dass Sie uns servieren!»