Vom unterdrückten Husten und vier Fiebermessern...

Illustration: Rebekka Heeb

Borbala schickt mir ein SMS:

«NICHT KOMMEN, BITTÄSEHR. Vorher missen von Doktär untersuchen lassen und Zaignis schicken »

(Borbala ist meine neue Wiener

Hausmeisterin - ein ungarischer Hexenbesen mit dem grellen Aschblond einer Marilyn Monroe. Nur hat Borbala die Haare auf den Zähnen).

Und Pech für Borbala - denn ich bin schon unterwegs. Und zwar in München.

Seit Fasnacht plagt mich eine miese Bronchitis.

Ich werde durchgerüttelt wie der Baum im Sturm.

Und natürlich denkst du als Erstes: «Das ist die Krönung. Das ist das Virus!»

ALSO FIEBERMESSEN. DOCH FEHLALARM.

Aber ich traue dem Thermometer nicht... WER HAT SCHON NUR 35,7?

In der Münchner Apotheke ZUR GOLDENEN PILLENFEE lasse ich mir gleich drei Fiebermesser einwickeln. Hamsterkauf. Doch wer weiss schon, wie lange es noch Fiebermesser gibt. Und: «Nein - Masken haben wir schon lange keine mehr. Ja, sorry - auch Desinfektionsspray ist weg...» Die Verkäuferin nuschelt es hinter einem gefältelten himmelblauen Mundschutz.

Also kaufe ich mir in der Verzweiflung einen vierten Fiebermesser. Und drei Fläschchen Kölnisch. Parfüm desinfiziert auch. Und schmeckt netter als Zwetschgenschnaps.

Ich huste also. Heftig. Natürlich nur wenn ich unter mir selber bin. In der Öffentlichkeit unterdrücke ich alles.

Wenn ich im Tram ein Kitzeln im Hals spüre, würge ich es runter. Keuche. Jage bei der nächsten Station raus - und belle an eine Hauswand.

Ein nicht besonders einfalls reicher Graffiti-Schmierer hat «FUCK YOU!» ans Haus gesprayt. Irgendwie gibt er damit messerscharf die Grundstimmung dieser Wochen wieder.

Der neue Fiebermesser zeigt: 35.5. Alle vier Fiebermesser zeigen 35.5. Ich will es dennoch ganz genau wissen.

Felix, mein Rundum-Hausarzt brüllt ins Telefon: «Es ist eine Bronchitis. BRONCHITIS! Am Abklingen. Also mach jetzt nicht auf Panik!»

Ich stopfe mir sofort am Computer alle Infos über Bronchitis rein. Dazu lade ich alles über Corona runter.

Kurz: Ich mache mich verrückt.

Am Abend rufe ich aus München wieder den Hausdrachen Borbala an: «Ich habe Bronchitis. Und komme trotzdem... sofort Betten beziehen!»

«MIR KAMMT KEIN HUSTAN INS HAUS», zischt der ungarische Besen eisig. Dann etwas salbiger: «MÜSSANS VERSTÄÄHN... WENN JEMAND MIT VIRUS KAMMT, MISSEN GONZES HAUS SCHLIESSEN! GROSSES ELÄND!»

Na wunderbar!

Ich hocke in München fest. Und hoffe, dass sich der gesetzte Schleim bald lockert... LANGE HALTE ICH DIE SCHEELEN BLICKE MEINER ZIMMERNACHBARN IM HOTEL NICHT MEHR AUS! ES SIND CHINESEN. AUSGERECHNET!

«Wil kommen abel aus Hambulg!», haben sie sich sofort entschuldigt.

Immerhin - nach sieben selbst auferlegten Quarantänetagen in einem Münchner Hotelzimmer, in dem es nach süsslichen Duftkerzen miefte und die Toilettenspülung den «Dauerrinnsler» hatte, war ausgehustet.

Frohen Herzens konnte ich mich auf den Weg zum Wiener Giftzahn machen.

Borbala stand auf der obersten Treppenstufe: «NICHT NÄHER KOMMAN MISSEN UNS SCHITZEN!»

Dann warf sie mir den Wohnungsschlüssel vor die Füsse.

Seither also Wien - aber es ist nicht mehr mein Wien der walzerigen Leichtigkeit. Wenn die Leute im beliebten Ring-Tram aussteigen wollen, stossen sie mit dem Ellbogen auf den roten Knopf, um die Türe zu öffnen. Als ich es ihnen nachmachte, wäre ich beim ersten Mal fast rausgeflogen. Jetzt trage ich senfgelbe Abwaschhandschuhe. Und drücke mit dem Gummifinger. Es ist wohl nur eine Frage von Wochen bis Dolce & Gabbana meine Idee modisch aufnehmen werden

Zwar standen noch vor einer Woche die Menschen bei den Touristen-Cafés Sacher und Central Schlange - aber keine Japaner und Chinesen. Es waren vorwiegend die Nachbarn aus den umliegenden Ländern. Nur die Italiener fehlten bereits.

Die Freunde vom Stiefel galten ja plötzlich als die Pestträger Europas. Heute wissen wir: Sie sind unsrer Zeit nur etwas voraus.

Als mich mein römischer Freund Max ausgerechnet vor dem Stephansdom anrief und ich Italienisch aufs iPhone einredete, schlugen die Leute entsetzt einen Bogen um mich.

Selbst in den zahlreichen Wiener Pizza-Beizen redete das Personal aus Napoli und Bari plötzlich lupenreines Deutsch. Statt Campari Soda servierten die Kellner nun «roten Bittersprudel»

Immerhin - die Oper sang letzten Montag noch. Man gab Marellis Turandot. Und der Wiener Kasten war bis auf den letzten Platz besetzt.

Nach der Pause verkündet der Direktor: «Der Herr Kammersänger hat leider seit 14 Tagen einen argen Husten. Er singt trotzdem fertig!»

Er war an jenem Abend der Einzige, der hustete - am Tag darauf haben sie die Oper geschlossen.

NEIN - ES IST NICHT MEHR MEIN WIEN!

Kein Sisi-Museum. Kein Tierpark. KEINE FRITTATEN-SUPPE MEHR!

Innocent meldete sich vor vier Tagen über Skype aus Basel:

«PUMPEL - ICH KOMME MORGEN! DANN HAUEN WIR EINEN DRAUF!»

Fünf Minuten später alarmierte mich Österreichs langer Präsident Kurz: «Koffer packen! Raus aus dem Land. Wir schliessen die Grenzen...»

So warf ich Borbala den Schlüsselbund wieder zu: «Servus, du Luder!»

Und fahre nach Basel zurück.

Innocent erwartet mich mit Mundschutz unter der Tür.

Ganz klar, dass er auf eine Kiste Marillen-Schnaps scharf ist...

ABER NEIN!

Er schaut mich über der Maske mit durchdringenden Augen an: «Hast du Klopapier mitgebracht?»

Kein Zweifel - die Lage ist ernst.

Dienstag, 17. März 2020