Tausende von Basler Kindern planen den Aufstand. Sie werden unter lautem Pfeifen und total vermummt durch die Strassen dieser Stadt ziehen.
DIES NICHT ETWA AM SCHULSCHWÄNZFREITAG!
Alles wird an einem ganz normalen Donnerstagabend durchgezogen - dann, wenn normale Schüler im Kinder-Yoga oder in der Nachhilfe für Frühchinesisch hocken.
Es geht in der «Demo» auch nicht darum, ältere Menschen schreiend zu teeren und zu federn, weil sie seit etwa 100 Jahren eine Basler Tradition aufrechterhalten, die unserer braven Stadtputzerei so viel Umweltdreck bereitet wie drei Cannabis-Partys bei Vollmond am Rheinbord. Nein.
Es geht um den Schulfasnachtsumzug, der in Kennerkreisen als «Bsfidi» abgeht.
Und was hier wie ein explodierender Frauenfurz tönt, bedeutet im Klartext: Basler Schuel-Fasnacht In Der Innerstadt.
Die Sache mit den fast 10000 Primar- und Hääfeli-Schülern sowie den vielen, vielen Helfern und Organisatoren wurde erstmals anno 2010 zum grossen Comité-Jubiläum durchgeführt.
Wenn man in Basel drei Mal einen Event auf die Beine stellt, redet alles von Sitte und Brauch. Die 3. Bsfidi ist somit bereits uralte Tradition - wenn auch nur zehn Jahre alt. Aber bitte: 10! EINE RUNDE ZAHL! EIN JUBILÄUM - WIR VERNEIGEN UNS - APPLAUS. OVATIONEN.
Natürlich kommt es nicht von ungefähr, dass dieser einzigartige Anlass nur alle Hand Mal die Stadt erbeben lässt.
Kleines Beispiel: mein Facetime spielt die Ouvertüre zu «Carmen». Ich drücke den roten Knopf. Und da ist Alma.
«Ich bin ein Drache!»
Mich begrüsst ein gigantischer Larvenkopf, dessen rustikaler Fundus ein riesiger Kartonkübel ist. Der Kübel war einst voll mit Waschpulver.
«Ja Almi-Maus. Das ist aber schön. Hat der Papi dir den gebastelt!»
EMPÖRT: «Du bist ja blöööd... den habe ich selber gemacht. Mit Frau Kaller und Herrn Zuberli im Kindergarten...»
Das Bild wackelt. Jetzt taucht meine Grossnichte Nicole auf. Ziemlich resolut: «Es sind über 20 Kinder-Drachen. Wir brauchten 28 Waschmittel-Trommeln. Unsere Garage ist voll mit weissem Pulver - darf ich dir sechs Kilo Buntwaschmittel schenken?»
Wieder Gewackel in der Facetime-Landschaft. Alma hat sich das iPad zurückerobert: «Die Mutter von Nuri näht die Kostüme. Sie hat für die Drachen auch Stoffe aus Bangladesh besorgt. Ich glaube, es ist Seide oder so was. Nuris Mamma ist nämlich eine Näherin und kann das. Sie macht Abänderungen und kann auch Knopflöcher. Und Mohammeds Vater baut die Trommeln.»
Trommeln?
«Ja. Herr Akdogan ist Lagerchef bei Coop. Er hat die Holzharassen gesammelt. Und baut die jetzt um - DIE FÜR CHERRY TOMATEN GEHEN AM BESTEN...»
Aha.
Wieder Kopfwechsel - Nicole zwinkert mir zu: «Kannst du dir vorstellen, was hier abgeht? Alma redet von nichts anderem mehr als diesem Bsfidi-Tag. Sie will nach der Fasnacht mit Mohamed in die Piccolostunde...»
Schliesslich seufzt meine Grossnichte: «Ich bin voller Bewunderung für alle diese Lehrerinnen und Lehrer, die den grossen Zug organisieren. Das ist logistische Mondfahrt. Es braucht noch freiwillige Helfer... du hast nicht etwa fünf freie Stunden für eine gute Sache übrig...?»
Dann wird sie wieder sehr streng: «Eines kann ich dir versichern: Die Integration klappt beim Bsfidi besser als in jedem psychologisch ausgewogenen Büro gegen Fremdenhass... SO ETWAS POSITIVES KÖNNTET IHR DOCH AUCH MAL PUBLIZIEREN - IHR POLITISCHEN BLUTWURSTSCHREIBER!»
Ich drücke rasch den roten Knopf.
Und entschuldige mich später über Whatsapp: «WIR HATTEN INTERNET-AUSFALL!»
Zu meiner Bubenzeit gab es keine Kinderfasnacht.
Ich meine: keine dieser wunderbaren kleinen Ziigli, die mit selbst gebastelten Riesen köpfen durchs Quartier torkeln. Und dann - wie ich es letztes Jahr gesehen habe - auf Gutzibüchsen, die sie mit einem Waschseil um den Bauch gebunden haben, loshämmern.
DER KLEINE QUARTIER KINDERZUG STELLTE IRGENDWELCHE MONSTER AUS DEM HEUTIGEN MÄRCHENLAND DAR: Shrek und Co. Oder so.
Einige der kleinen Shreken haben uns Zuschauer vor den Haustüren jubelnd mit Räppli bombardiert. Und selbst zehn Monate später, wenn ich im Dezember jeweils heimkam und der Eingang in seinem Adventslichterkranz strahlte, entdeckte ich da und dort noch so ein funkelndes Fleckchen Konfetti, das sich für die nächsten Jahre in einer Ritze eingenistet hat.
Ich musste jeweils mit einem leisen Lächeln an die kleinen Monster und ihr Gerassel denken, während draussen die elektronischen Weihnachtsmänner in den Vorgärten «Jingle Bells» intonierten.
Wieder «Carmen»-Ouvertüre. Wieder Alma. Dieses Mal streckt sie mir einen Kopf mit wuscheligem Schwarzhaar entgegen: «Das ist Mohamed...»
«Hallo Mohamed!»
Mohamed, etwas schüchtern: «Tschüüüss...»
Alma fegt ihn weg: «Die Drachen sind fertig... du kommst doch? Es startet um fünf Uhr in der Innerstadt... es wird so was von heiss!»
«Also ich weiss noch nicht...»
«ER KOMMT SICHER...», höre ich Alma kichern. «DER LÄSST NICHTS ANBRENNEN, WENN ES UM FASNACHT GEHT...»
Diesmal hat s i e abrupt den Aus-Knopf gedrückt.
Ich zücke die Agenda - Donnerstag, 20. Februar, 17 Uhr, Innerstadt: Bsfidi - UNBEDINGT. So was von heiss...
Dann hole ich in Nicoles Garage meine sechs Kilo Waschpulver ab.