Pierre mochte Urs nicht.
Als Kind musste er sich von ihm blöde Sprüche wie «Scheiss-Schwuchtel» oder «Huch - das rosige Blashorn kommt!» gefallen lassen.
Manchmal boxte Urs ihn auch: «Dir zeig ichs jetzt - du Soft-Tucke!»
Pierre liess es geschehen. Der Schwächere duckt sich vor dem Stärkeren. Das ist die Kinderagenda des Alltags.
Die Elternpaare waren befreundet: Schieber am JassteppichSonntagsspaziergänge zu Picknickplätzengemeinsamer Silvester mit klebrigem Sekt und belegten Brötchen.
Natürlich hätte Urs nie vor seinen Eltern die «Verzieh dich - Schwuli!»-Nummer abgezogen.
Dafür war er zu gerissen. Er taktierte präzise - zeigte sich vor den Alten zuvorkommend gegenüber Pierre. Und nahm ihn dann in den Schwitzkasten, wenn freie Bahn war.
Es war an einer der gemeinsamen Silvesterfeiern, als Urs den Nikolaus am Weihnachtsbaum der Bruggers sah.
Seine Stimme wurde plötzlich sanft - seine Augen glitzerten: «Das ist der schönste Klaus, den ich je gesehen habe...»
WAR ES AUCH!
Die Oma hatte den Blech-Klaus für Pierre am Heiligen Abend an den Rottannenast gehängt.
Pierre liebte Flugzeuge - und dieser spezielle Baumschmuck machte ihm das Fest: Der blecherne Klaus sass in einem Doppeldecker und winkte
«SO EINEN LIEBEN KLAUS MÖCHTE ICH AUCH EINMAL HABEN », säuselte jetzt Urs. Seine Augen füllten sich mit Tränen: «Weshalb bekomme i c h nie so etwas Schönes?!».
Pierre war nicht blöde.
Seine Alten schon: «Unser Pierre wird dir den Klaus gerne schenken, weil Weihnachten das Fest des Gebens ist...»
«WEIHNACHTEN IST VORBEI! ICH WERDE GAR NICHTS!», jaulte Pierre. Und trat den schrecklichen Urs ans Schienbein.
DER REST IST ABSEHBAR: DER KLAUS FLOG ZU URS! Dazu gabs noch eine Standpauke von den Alten: «Du solltest dich ganz fest schämen - TRETEN WIE EIN MÄDCHEN!»
Pierre sah das gemeine Grinsen auf Urs’ Lippen: Dann heulte er los. «...und flenn nicht wie ein Weib!», tobte sein Vater.
Das Leben schreibt unterschiedliche Drehbücher: Pierre verpartnerte sich mit Max. Und führte die Weihnachtsfeiern mit den Alten weiter, bis die ins Gras bissen.
Urs blieb ledig. Ging in die Politik. Schleuderte dort seinen Dreck - und war auch hier ein Einzelgänger.
Er wurde im Haus seiner Eltern alt - und mit dem Alter etwas milder.
«Du hast mich vor allen immer das rosige Blashorn genannt» - warf ihm Pierre beim gelegentlichen Jass vor. Urs räusperte sich: «Ja und? Das war die Zeit!»
«Ein Scheiss war das», tobte Pierre jetzt. Allerdings 50 Jahre zu spät!
Urs wurde immer baufälliger. «ER ISST NICHT MEHR RICHTIG», meinte Pierre zu Max.
Der: «Na und? - Vergiss nicht: Er ist eine miese Nummer. Hat dich gemobbt. Und dir den Klaus geklaut...»
«ES WAR EBEN DIE ZEIT», sagte Pierre. Und wickelte drei Frikadellen in Folie: «Die mag er...»
Als Urs an Weihnachten zu Pierre und Max in die Stube kam, humpelte er an zwei Stöcken: «Das wird wohl die letzte Weihnacht ab Januar bin ich im Altenheim...»
Die zittrigen Hände streckten Pierre ein Päckchen hin. Es war in Zeitungspapier gewickelt: «Das gehört dir...»
PIERRE SCHÄLTE DEN BLECH- NIKOLAUS HERVOR. DAS FLUGZEUG HATTE FAST ALLE FARBE VERLOREN.
«Der fliegende Klaus hat mich getröstet, wenn ich mich allein fühlte...», versuchte der Alte zu lachen.
Seine Stimme tönte heiser.
Pierre kamen die Tränen hoch.
«...und flenn nicht wie ein Weib!», polterte Urs.
Einmal ein Ekel. Immer ein Ekel!