Gesponnene Weihnacht

Agatha wisperte. Nun ja - so wie kleine Spinnen wispern, wenn sie stinkig sind: «Weshalb hocken wir in diesem Kellerloch, Omi? Hier gibt es keinen Weihnachtsbaum...»

Die Spinnen-Omi seufzte. Sie war Kummer mit ihrer Enkelin gewohnt.

Die heutige Jugend war aufmotziger als zu ihrer Zeit. Damals wurde gesponnen.

Unermüdlich. Immer kam irgendeine hyperaktive Hausfrau mit dem Staubwedel. Und zerstörte das gesponnene Tagwerk.

BRUTAL! DIE GANZE SPINNEREI FÜR NULL UND NICHTS.

Dieses Grünholz hier hatte keine Ahnung - sie hockten sich in die Kellerecke. Und dröhnten ihre Spinnenohren mit Metal-Sound zu.

ABER HALLO - WIE SOLLTE SO JE EINE MÜCKE AUF DEN MITTAGSTISCH KOMMEN?!

Wieder ein Seufzer der Spinnen-Omi: MÜCKEN! Von wegen...

«ICH ESSE NICHTS, WAS DER LIEBE GOTT HERUMFLIEGEN LÄSST!» - hatte Agathe bei der letzten Geburtstagsfeier stur erklärt. Und Fliegen-Burger sowie Mücken-Stotzen verweigert.

«...ich würde so gerne einen Weihnachtsbaum sehen», quengelte das Spinnenmädchen nun über dem Gestell mit den Konfitüren. «Weihnachten ist immer für ein Wunder gut...», lächelte die Omi.

Im selben Haus loderten zwei Diskussionen um Weihnachten. Aline schaute trotzig zu ihrer Mutter: «Wenn du Atheistin bist, ist das d e i n e Sache. ABER ICH GLAUBE, AN WAS I C H WILL. UND ICH W I L L EINEN BAUM!»

Antwort (gereizt): «SO EIN JUBEL BESEN KOMMT MIR NICHT INS HAUS!

Im Parterre brüllte Alis Vater seinen Sohn an: «WIR SIND M U S L I M E. KAPIERT?! JESUS IST EIN PROPHET. UND KEINE LICHTERTANNE!»

Im Hosensack machte Ali den Stinkefinger. Er hatte sich gut integriert.

Ali und Aline trafen sich im Velokeller. Dorthin verzogen sie sich jeweils, um über ihre verkalkten Alten herzuziehen: «Die sind so was von weltfremd... hast du Geld?»

Ali nickte: «Habe auf der Post gearbeitet...» Das Mädchen strahlte: «So heiss. Die Kugeln hole ich bei meiner Tante Alma... macht schon lange keinen Baum mehr...»

Gepolter weckte Agatha in ihrer Ecke. Ihre Grossmutter spann unermüdlich. Sie schickte der Enkelin einen Blick: «Vom Nichtstun wird keiner fett... zieh Fäden!»

Doch Agatha schaute mit offenem Spinnenmaul zu, wie von den beiden Teenies eine Rottanne im Velokeller geschmückt wurde.

«Alma hat sich so gefreut, dass wir ihre Kugeln benutzen...», grinste Aline «...jetzt brauchen wir nur noch Kerzen!» Eine Stunde später funkelte der Weihnachtsbaum in einem feenhaften Glanz.

Es herrschte eine ganz spezielle Stimmung, als Alines Mutter zusammen mit Alis Vater im Keller auftauchte: «WAS MACHT IHR HIER?»

«Den Weihnachtsbaum», strahlten die Jungen synchron. Für einen Moment war es still. Dann lächelte Alines Mutter: «Schön. Aber in zehn Minuten wird gegessen!»

Alis Vater durchwuschelte das Haar seines Sohns: «Kerzen sind gefährlich. Irgendwo ist noch eine Lichtergirlande von der Hochzeit deines Bruders!»

Dann war es wieder still.

«Schöööön», flüsterte Agatha, «es gibt sie also doch, diese Weihnachtswunder...?»

Die alte Spinnen-Omi seufzte: «Nicht wirklich die Leute erkennen sie nicht mehr. Wunder sind zart wie unsere Spinnennetze. Meistens werden sie brutal zerstört. Wichtig ist, dass wir unermüdlich weiterspinnen, Agatha. Die Menschen wissen es nicht - aber unsere gesponnenen Geschichten sind es, die sie überleben lassen. Manchmal verfangen sich Regentropfen darin. Schön, sagen die Leute. Wir schenken ihnen einen Moment zum Verschnaufen in einer hektischen Welt...»

Sie streichelte die kleinen Spinne: «Frohe Weihnachten, mein Kind!» Und genau das wünschen euch alle Textspinner an dieser Stelle auch...

Freitag, 20. Dezember 2019