Nein. Ich bin nicht der Typ, der beim Teigausrollen glühende Backen bekommt. ALSO: NICHTS HAUSGEBACKENES!
Meine Freundinnen backen jetzt natürlich alle auf Teufel komm raus. Es gelingen ihnen Änisbrötli, in deren Teig sie mit einem Holzmodel Blumensträusse oder das Spalentor ausstechen.
DIE OPTIK BESTICHT - doch die Quintessenz ist meistens: hart. Und die Prothesen schaukeln!
Meine Mutter war - der Himmel möge mir verzeihen! - eine miserable Köchin. Der Büchsenöffner war ihr Alltagsinstrument - sie schleppte ihn mit sich, wie der König das Szepter. Ihr ahnt es: Ravioli aus der Dose direkt in die Gratinform. Geriebener Emmentaler darüber. Und ab in den Ofen!
Auch wenn ihr die Nase rümpft: WIR HABEN DAS GELIEBT! Das Spiegelei obendrauf war das Ausrufezeichen zum Glück! Dito mit Spaghetti Napoli, deren Sauce aus der Tüte kam: scharlachrotes Pulver in die Pfanne. Dann Wasser. Alles gut aufgebeselt. Und heiss gekocht. Fertig!
MEINE MUTTER WAR IMMER DER MEINUNG, DASS MAN HERRN KNORR FÜR DIE ERFINDUNG DIESER BEUTELSAUCE DEN CHEMIE-NOBELPREIS VERLEIHEN MÜSSTE: «Der Mann hat uns Hausfrauen vom Herd befreit!»
Immerhin - mit einer Spezialität konnte sie glänzen: Mousse au Chocolat! Dafür war sie berühmt. Und gute Freunde meinten: «Lotti - lass doch die dumme Kocherei. Das wird eh nichts. Lade uns einfach nur zu deiner Mousse ein!»
Also organisierte Mutter das, was sie einen «üppigen Aperitif» nannte: Erdnüsschen, Dörrzwetschgen mit Speck und belegte Brötchen, die sie kompromisslos zu Mini-Häppchen in vier Teile schnitt. Die Mayonnaise uferte über... die Eier waren nur noch Geröll aber sie pappte eine Olive auf jedes der Trümmerstücke. Und erklärte: «Oliven sind immer chic!»
DANN STACH SIE DIE MOUSSE AB - DIES MIT EINEM SILBERLÖFFEL, DEN SIE IN HEISSES WASSER EINTAUCHTE.
Der Gästechor raunte «Ohhh» und «Ahhh!»
Greti Hunziker, die Gattin eines befreundeten Weinhändlers, verstieg sich an einer dieser Einladungen zum Vergleich: «Lotti, deine Mousse ist die beste der Welt - nur noch diejenige der Zürcher Kronenhalle kann da mithalten!»
Ich sah, wie sich die veilchenblauen Augen meiner Mutter wie der Himmel beim heranziehenden Gewitter bewölkten. Sie wurden fast schwarz. Ihre Ober- und Unterlippe waren jetzt haarnadeldünn. Und leise hörte man das Zischen: «Das wollen wir doch sehen, Greti!»
Drei Tage später sassen wir in der Kronenhalle. Und liessen uns zum Dessert die berühmte Mousse vorfahren.
Es war noch die Zeit der Hulda Zumsteg. Die Old Lady hatte als Serviertochter angefangen - und sich zur stolzen Patronne des Zücher Schickerialokals heraufgearbeitet. Varlin hat sie dort gezeichnet. Picasso hat ihr eine Skizze ins Gästebuch gestrichelt - nun ja, Hulda Zumsteg war eine grosse Nummer: Die Intellektuellen, Reichen und Künstler löffelten ihre Mousse beim Bellevue. Denn Hulda Zumstegs Mousse war ein Muss.
Als wir Frau Zumsteg und ihr Dessert besuchten, war die Wirtin schon recht betagt. Aber noch immer gut im Tuch. In ihrem schwarzen Kleid schleppte sie sich von Tisch zu Tisch - blieb lächelnd drei Sekunden stehen. Und äugte durch das Lorgnon über die Teller: «...und? Wie hats geschmeckt?»
Die Antwort interessierte sie keinen Dreck. Sie war schon wieder unterwegs zu den nächsten Gästen - und erinnerte ein bisschen an einen dieser ersten, unheimlichen Roboter, die hinten mit einem Schlüssel aufgezogen wurden und sich dann geisterhaft in Bewegung setzten.
Natürlich meckerte die Basler Büchsenöffner-Königin an allem herum, und dies noch bevor sie auf dem Stuhl hockte. Zum Oberkellner eisig: «Nein - den Mantel behalte ich an! In solchen Zürcher Lokalen weiss man nie...»
Dann zupfte sie das makellos drapierte Besteck gerade: «Ich hasse schief gelegte Gabeln!» Und pflaumte gleich mal drauflos: «Das Brot ist nicht handwarm, wie es sich gehört... ja ist das hier Sibirien?»
SAGEN WIRS MAL SO: SIE HÄNGTE DEN KOTZBROCKEN RAUS!
Klar, dass das berühmte «Geschnetzelte nach Zürcher Art» für ihr verbissenes Mäulchen «undiskutabel!» war. Schon pfiff sie den Küchenchef bei Fuss: «...nennt ihr zwei Löffel zu viel Salz die Zürcher Art?»
Als endlich die Voiture mit der Mousse anrollte, wusste ich, was kommen m(o)usste: Mutters Blick war auf die Schüssel gerichtet, wie die Kriegskanonen auf die Burg.
Ich hatte den heissen Drang, zu gehen. Aber immerhin war sie meine Mutter, die mich «aus gerechnet am heissesten Hundstag des Jahres und unter höllischen Schmerzen!» geboren hatte.
Sie hält also ihre spitze Zunge an das Löffelchen mit der dunklen Köstlichkeit. Kostet einen Tupfen davon. Dann bebt sie. Schüttelt sich: Eleonora Duse in der Szene, wo sie den Teufel küsst.
Schliesslich spuckt sie alles in die weisse Stoffserviette. Und eben da robotert Hulda Zum steg an: « und? Wie hat es geschmeckt?»
Eisiger O-Ton des Basler Büchsenöffners:
«SELTEN SCHLECHT!»
Aber da war Frau Zumsteg bereits am nächsten Tisch.
Zu Hause dann: Büchsenravioli mit Spiegeleier.
Und: Greti Hunziker wurde nie mehr eingeladen.