Milli beobachtete ihren Mann, wie er im Sessel lümmelte. Seine Beine auf dem kleinen Cocktailtisch hochhielt. Und in den Fernsehkübel stierte.
Rasen. Pfiffe. FUSSBALLSPIEL.
Milli wusste nicht, worum es ging. Sie wusste nur: WILLIS HAARIGE BEINE GEHÖRTEN NICHT AUF DEN COCKTAILTISCH!
Im Übrigen hätte sie gerne «Den Bergdoktor» gesehen. Natürlich ging Fussball vor. Und - wie eh und je - alles nach Willis Betongrind.
Immerhin erlaubte sie sich ein leises Knurren: «Nimm deine Scheichen runter, Willi!»
Er: «Hast du das gesehen - dieser Schiedsrichter ist die totale Pfeife. Der hat die Augen am Arsch!»
Milli überlegte, ob sie im Schlafzimmer ihren «Bergdoktor» reinziehen sollte. Dort stand ein kleiner Notfernseher auf der Wäschekommode. Der Apparat war uralt. Das Bild unscharf. Es regnete schwarze Striche.
Aber lieber ein heisser «Bergdoktor mit Strich» als ein Fussballspiel, das nur ihren Willi zum Kochen brachte...
Milli legte sich aufs Bett. Sie schnappte sich die Packung mit den Mon-Chérie-Kirschen.
Das wunderbare Lächeln des Bergdoktors wurde durch den schwarzen Strich auf der Mattscheibe zensuriert.
Milli äugte jetzt seufzend auf das Hochzeitsfoto neben der Fernsehkiste: Da schauten sie beide etwas grimmig aus dem Goldrahmen: Willi, noch mager - in einem dunklen Anzug, den er sich von seinem Cousin ausgeliehen hatte.
Milli - in cremefarbigem Kleid. Sie trug einen rosa Nelkenstrauss - und ihren Sohn Billy unter dem Herzen. Deshalb war das Kleid auch cremefarbig. Keuschweiss wäre die falsche Wahl gewesen.
NUN JA - WILLI WAR ES IRGENDWIE AUCH!
Als Milli damals von ihrem Arzt erfuhr: «Aber hallo, liebes Fräulein Schuster - da ist etwas Kleines unterwegs...», da wartete sie vor dem Hopfenkranz, bis der Vorturner der Herrenriege nach dem siebten Bier herauskam: «Willi - ich bin schwanger!»
Er hatte sie angestiert. Und dann mit einer Bierfahne gerülpst: «...und jetzt?! Wie soll es weitergehen?»
Die Eltern von beiden Seiten wussten, wie es weiterzugehen hatte: «HEIRATEN! UND ZWAR HOPPHOPP - DAMIT MAN DIE SCHANDE NICHT SIEHT! UND DIE LEUTE SICH NICHT DIE MÄULER ZERREISSEN»
Es gab dann ein ewiges Hin und Her: Katholische oder protestantische Trauung (Milli war protestantisch, wechselte dann aber hurtig rüber)? Und so zogen kostbare Wochen ins Land.
Natürlich wusste jetzt jeder, was los war. Als die Kirchenpfeifen den Brautmarsch orgelten, durchwogte aufgeregtes Gezischel die Bankreihen.
Beide Schwiegermütter sassen mit eisernen Mienen in der ersten Reihe. Sie blieben bis zum Tod beim «Sie».
Willi und Milli mieteten eine Zweizimmerwohnung. Der kleine Billy kam sechs Wochen nach der Trauung.
Man sprach damals von einer «Muss-Ehe». Das Wort war gut gewählt. Denn das Paar musste sich erst aneinander gewöhnen.
Musste lernen: zusammen zu leben.
An die Hochzeitsfotos waren verschiedene Schnappschüsse gepinnt. Sie zeigten winkende Erwachsene - sowie zehnmal Millis und Willis Enkel. In allen Varianten.
Plötzlich spürte Milli eine Wärme in sich aufsteigen: Die Sache war besser gelaufen, als die bissigen Klatschmäuler damals in der Kirche prophezeit hatten.
In diesem Moment gab der alte Fernseher den Geist auf. UND DER «BERGDOKTOR» WAR NUR NOCH EIN SCHWARZER PUNKT.
Als Willi ins Schlafzimmer kam, nahm ihn Milli in die Arme: «Ich liebe dich, Dicker!»
Er schaute sie entgeistert an.
Dann grinste er: «Wir haben verloren. Der Schiedsrichter war die absolute Arschkarte!»