Vom Wunsch, ein Buch zu schreiben, und von der rosa Seekuh...

Illustration: Rebekka Heeb

Vor über 50 Jahren hat Bill Ramsey die Schlagerwelt aufgemischt. Er beklagte sich 1962 musikalisch über seine Mimi: Die ging ohne Krimi nie ins Bett.

Jetzt würde Bill wohl singen: «Ohne Handy geht bei Andy einfach nichts...». Na ja - ungefähr so.

Die Buchhändler klagen. Und die Verleger mit ihnen: Kein Mensch liest heute mehr als 6 Zeilen!

Okay. Kann man so nicht verallgemeinern.

Es gibt auch heute noch Leseratten. Bücherwürmer. Krimi-Schmökerer.

Und es gibt immer noch solche, die in schlaflosen Nächten nicht zu den K.-o.-Tropfen greifen. Sondern ein Buch in die Finger nehmen.

Gut. Man kann sich auch mit dem Fernseher in den Schlaf beamen. Spätestens nach fünf Minuten aller Talkrunden fallen selbst dem Muntersten die Augen zu. Die Alternativen sind: Netflix, Youtube und all diese Filme auf Zündholzschachtelgrösse, welche unsere Iris tränen lassen.

Was ich damit sagen wollte: Es ist unsinnig, heute noch Bücher schreiben zu wollen.

ICH HABE ES TROTZDEM GETAN.

Und mir damit den Zorn aller Literaturkritiker vom Olymp auf die biedere, niedere Schreiber-Erde heruntergeladen. Denn natürlich sind gewöhnliche Geschichtenschreiber keine Schriftsteller. Und haben somit im Bücherwald nichts verloren.

Schon als rosiger Bub hätte ich gerne ein Buch geschrieben. Die kluge Mutter drückte mir einen Band mit leeren Seiten in die Hände: «Da! Schmiere es voll, wenn du es nicht lassen kannst - Tagebücher sind die beste Therapie!»

Das war nett gemeint. Aber Tagebücher sind nicht für andere bestimmt.

Ich füllte sie trotzdem. Liess alle Einträge bewusst offen herumliegen. Aber kein Mensch hatte Interesse an meinen Klagen über zu wenig Taschengeld. Oder dass ich mir an einem Karamell-Muh die Plombe rausgezogen hatte.

Meine Umgebung ignorierte die Schreiberei des Jungmanns. SIE GING IHNEN KALT AM ARSCH VORBEI. Dabei hätten sie sich Wissenswertes über dessen rosige Seele reinziehen können.

Aber nein - die Alten jagten zweimal wöchentlich ins Kino Morgarten. Schauten sich Paul Hörbiger in «Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren» an. Und waren beim Lesering Gutenberg abonniert.

Die Bücher wurden durch Wochenschmöker wie «Kommissar Wilton» (Krimi) oder «Schwester Alice und der Bergdoktor» (Arztroman) ergänzt.

(Immerhin, das Thema Bergdoktor hat überlebt. Es wird auch heute noch erfolgreich in der TV-Unterhaltungsindustrie hervorgeholt - wie Aromat oder Maggi zur Salatsauce.)

Als ich meine Journalisten schule hinter mir hatte, wollte ich mit der Schreiberei loslegen. Aber sie verbannten mich in die Abteilung «Börse». Ich redigierte Aktienkurse. Und als ich diese trübe Liste ein einziges Mal mit etwas Poesie aufhellen wollte («Ist die Ciba auch im Loch - kaufen wir sie morgen doch!»), wurde meine 30-Prozent-Stelle neu ausgeschrieben: Ich war gefeuert.

Der junge Mann biederte sich nun in der Lokalredaktion der damaligen «National-Zeitung» an. Der verantwortliche Redaktor hiess Fritz.

Fritz hatte stets Stoffmangel. Damals mussten zwei Zeitungen pro Tag herauskommen - Morgenblatt. Abendblatt.

Ich jagte von einem «bunten Abend» zum andern. Jeder Verein mietete einen der Säle der Stadt. Und liess es dort tanzen, turnen, jodeln.

Es galt, positiv darüber zu schreiben, weil der Verein den «bunten Abend» in der Zeitung durch ein teures Kleininserat angekündigt hatte.

Die Conférenciers jener Abende waren die Slam-Poeten von heute: GESPICKT MIT WITZEN UND LUSTIGEM WIE DER RINDERBRATEN MIT SPECKSTREIFEN.

An Wochenenden war Highlight: sechs bunte Abende zu je 50 Zeilen. Meistens boten die Vereine noch ein Theaterstück aus eigenem Boden. Und meistens endeten die Berichte mit: «Wir haben selten so gelacht.»

Immerhin - wenn unter der Woche Stoffmangel herrschte, brüllte Fritz in die Redaktionsstube: «Komm, Kleiner, schreib noch irgendein Geschichtlein! Es fehlen uns 80 Zeilen »

Ich enttäuschte nicht. Es war m e i n e Stunde. Ich hacke in 30 Minuten eine Story runter.

So konnte ich überleben - aber kein Literat werden.

Die Geschichten wurden später als «Kolumnen» verkauft. Das tönte besser. Auch wenn der Inhalt noch immer um einen «politischen Enterich» oder «Haarspray» kreiste.

ERST 50 JAHRE SPÄTER HABE ICH DIE KOFFER GEPACKT. UND DEN FASSUNGSLOSEN INNOCENT AM ARM GENOMMEN: «JETZT NEHMEN WIR UNS EINE WOHNUNG IN WIEN - UND ICH SCHREIBE IN RUHE MEIN BUCH!»

So wurde es «Die rosa Seekuh».

Man sagt, Seekühe hätten eine Tragezeit von 12 bis 14 Monaten.

Ich hatte eine Tragezeit von 72 Jahren.

Nun ist sie geboren. Und die Kritiker kritteln: «Das ist keine Literatur... einfach nur Unterhaltung!»

Stimmt.

Ich wollte nie etwas anderes als unterhalten. Ich wollte auch nie die Welt verändern. Aufrütteln. Oder politische Parolen lancieren. Das tun die anderen in unserer hektischen Medienwelt motivierter.

EIN PAAR ROSA MOMENTE SIND DESHALB VIELLEICHT SCHRÄG - ABER WOLLEN WIR NICHT ALLE EINE ROSIGERE WELT?

Mehr ist nicht zu sagen.

Dienstag, 19. November 2019