Von der Swissair und der besonderen Klasse...

Illustration: Rebekka Heeb

Als man mich vor drei Wochen auf dem Flughafen sitzen liess - so wie eine Colabüchse am Rheinbord, bei der auch niemand weiss, weshalb sie so eingedrückt herumliegt -, als ich den Abflug also nicht schaffte (HERRGOTT - ICH HABS IHNEN DOCH ERZÄHLT!) und alle diese gestressten Hostessen beo bachtete, die heute anders heissen und für die es noch immer keinen gendergerechten Ausdruck gibt -, als ich mir also diese Männchen und Weibchen, die wichtigtuerisch ihren Handkoffer hinter dem zu engen Flugkostüm herziehen, anschaute, da seufzte es in mir: NA GOTT SEI DANK - IST D I E S E R KELCH AN DIR VORBEIGEGANGEN.

Vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert gehörte die Flughostess zu einem der begehrtesten Frauenberufe der Welt. Nur «Ehefrau» war für viele schöner. Oder «Nummerngirl beim Circus Knie».

Überhaupt: Fliegen war der Traum, zu dem nur wenige abheben konnten. Aber für diejenigen, die es sich leisteten, wurde es zu einer Luftfahrt der Gaudiklasse: Champagner... warme Lachshäppchen zum Empfang... und charmante Begleiterinnen, die in knapp sitzenden Kostümen (diese in einer Farbe, die damals «Swissairblau» hiess) den Gästen die Kaviarkrümelchen von den Krawatten putzten (sie benutzten den Fleck-Weg-Stift Klementine).

Auf dem Höhenflug von Zürich nach London wurde in der ersten Klasse noch ein französischer Chateaubriand auf dem Wagen serviert, tranchiert und von der Chefstewardess mit einer aufmontierten Châteauneuf-du-Pape-Sauce eigenhändig nappiert.

Das Brot kam handwarm aus dem Bordofen.

Und die Butter jagte in Form eines kleinen Düsenjets aufs Brötchen.

JA HERRSCHAFT - DER UMTURTELTE GAST BEZAHLTE DAMALS FÜR DEN EIN FACHEN LONDON-HINFLUG SO VIEL WIE 265 EASYJET- PASSAGIERE HEUTE ZUSAMMEN FÜR DENSELBEN FLUG.

Zurück auf die Erde!

Als sich der Trämler Hans und seine Frau Lotti Flugtickets für den Höhenmoment Zürich-Genf-Zürich leisteten, drehte sich die Welt für ein paar Tage in der Dreizimmerwohnung an der Colmarerstrasse rückwärts.

ES GAB KEIN ANDERES THEMA MEHR.

MAN BEREITETE SICH AUF DEN HÖHENFLUG-MOMENT MIT CHAMPAGNER UND KAVIAR VOR. MACHTE AUCH SCHON MAL VORSORGLICH SEIN TESTAMENT.

UND ÜBERHÖRTE DIE PROTESTRUFE DES SCHÖNEN BUBEN: «ICH WILL AUCH FLIEGEN!»

«Das wirst du in der Schule sowieso», grinste der Trämler-Vater mit seinem rudimentären Schellen-Humor. Er ahnte nicht, wie recht er mit seiner Prophezeiung haben würde...

Jedenfalls: Ich warf mich hämmernd auf den Teppich, schrie die Tapeten grün und hatte Schaum vor dem Mund: Es nützte nichts.

Ich musste bei der Kembserweg-Omi bleiben.

«Ihr dürft bei Spillmann Cremeschnitten spachteln», versuchten die Alten mit einem Augenzwinkern «gut Wind» bei mir zu machen...

DA GING ICH GLEICH WIEDER IN DIE LUFT - ABER NICHT SO, WIE ICH ES MIR GEWÜNSCHT HÄTTE.

Als die Eltern mit dem Zug aus Zürich zurückkamen, holten wir sie auf Perron 3 ab.

Irgendwie schien der ganze Enthusiasmus verpufft - oder eben: verflogen. Die Luft war draussen, wie bei diesen prall aufgeblasenen Ballons, die an Kindergeburtstagen durch die Stube furzen. Und dann als mageres Stück Gummi auf der Kuckucksuhr liegen bleiben.

«Wie wars... habt ihr eine Dose Kaviar mitgebracht?»

«Es war... ein Erlebnis», versuchte Mutter die letzte Luft zu retten.

Aber Vater toste bereits los: «Von wegen Champagner und Lachs es gab ein Schinkensandwich von Bell. Und zum Abschied das hier...»

Die beiden hielten mir ein Miniatur-Rippchen Schweizer Milchschokolade entgegen. Die Sache war nett verpackt. Und ich durfte nur eines der Päckchen essen.

Das andere wurde noch jahrelang als Souvenir bei den Schnapsgläsern hinter der Buffetvitrine aufbewahrt.

Ich musste dann drei weitere Jahre warten, bis auch ich ein Flugzeug besteigen durfte. Der Kapitän war Vaters Depotchef Ernst. Sein Hobby war die Segelfliegerei.

«DU WIRST ES GENIESSEN», schaute mir Ernst tief in die Augen.

ICH WAR DAMALS JUNG, SCHÖN UND SCHWERELOS...

Als uns ein Pistenauto hochzurrte und Ernst das Stahlseil ausklickte, war mir bereits kotzübel.

«Was sagst du jetzt», flüsterte er. UND DREHTE SICH NACH HINTEN ZU MIR UM.

«Schau auf den Verkehr!», schrie ich hysterisch. Und dann kotzte ich Ernst auch schon die Rückseite seines Pullovers voll.

Jahre später wurde ich in die Gilde der Schweizer Journa listen aufgenommen. Das brachte einen grossen Vorteil: Wir bekamen auf alle Swissair-Flüge innerhalb Europas 50 Prozent.

So konnte ich damals für nur 550 Franken nach Rom fliegen.

Und für nochmals 550 Franken zurück.

Allerdings nicht in der Klasse mit dem Welcome-Champagner und handwarmen Brötchen.

NUR HINTEN: KAUGUMMI UND MINERAL.

An jenem Tag, als ich den Haushalt meiner Eltern auf löste und auch das alte Buffet dem Brockenhaus mitgab, fiel mir die kleine Swissair-Schokolade wieder in die Hände.

NATÜRLICH WAR DER WURM DRIN.

WIE IN DER GANZEN FLIEGEREI VON HEUTE...

Dienstag, 29. Oktober 2019