Der Bestatter

Hugo sass am Steuer seines Jaguar.

ER GAB GAS. Es schüttete aus Kübeln.

«Danke, Herr Humbel», flüsterte Hugo nun. Seine Worte gingen ins Ungewisse. Denn keiner wusste genau, ob Grossunternehmer Humbel in der Hölle schmorte. Oder ob er auf Wolke neun angekommen war.

Humbel war der Sechser in Hugos Leben gewesen. Drei Jahre schon hatte er für die Firma Eptinger Wasser mit und ohne Kohlensäure transportiert. Dann entdeckte er die Kleinanzeige in seinem Lieblingsblatt: «CHAUFFEUR FÜR ÄLTERN HERRN GESUCHT».

Er meldete sich.

Eine mürrische Zicke, die sich später als Humbels Haushälterin entpuppte, machte das Briefing. Letzte Frage: «Mögen Sie Hunde?» - Hugo: «Ich liebe Rauhaardackel...»

BINGO!

ZUM ERSTEN MAL SCHAUTE DIE DAME FREUNDLICH: «DAS WIRD HERRN HUMBEL FREUEN. ER HAT SECHS DAVON...»

Hugo hatte eine Hundeallergie. Aber er hatte auch die Stelle.

Statt Eptinger «mit» und «ohne» schaukelte Hugo nun Humbel «mit» durchs Land. Das «mit» waren sechs Dackel. Der Patron war Grossunternehmer für Dampfbügeleisen. Und er war ein guter Arbeitgeber.

«Wie geht es denn heute, Hugo?», wurde der Tag von Humbel jovial gestartet. «Ganz wunderbar, wenn ich Sie in diesem prächtigen Jaguar herumkutschen darf, Herr Humbel.»

«Stören Sie die Dackel, Hugo?»

«Aber nichts die Bohne», wehrte der ab. Und nahm einen tiefen Zug aus dem Asthma-Pümpchen.

Selbst im Tode war Humbel gütig. Er hinterliess seiner Sekretärin wie seinem Chauffeur ein Legat von je einer Million. Die restlichen 45 Kisten gingen ans «Heim für gefallene Dackel».

Das mürrische Mädchen verpulverte die Knete mit einem südlich sonnigen Lover.

Hugo verliebte sich anderweitig - in einen Jaguar der Sonderklasse. Eine andere Kutsche wäre nach den Humbel-Jahren nicht infrage gekommen.

Dies hier war allerdings ein Riesen ungetüm - fast schon eine fahrende Sporthalle.

«Es ist ein Leichenwagen», erklärte der Verkäufer fröhlich. «Damit düsen Sie erster Klasse in die Wolken...»

Jetzt sah Hugo das Kreuz auf dem Dach. Es wirkte dezent. Er hatte es für eine Antenne gehalten.

Im grossen Raum hinter dem Fahrer war alles für Luxussärge jeder Grösse und Güte vorbereitet. Es gab auch einen eingebauten Altar für Urnen - man kann sagen: Der Tod war hier besser organisiert als die SBB.

Hugo bildete sich per Fernkurs zum Bestatter aus. «Wenn Mike Müller es geschafft hat, bringe ich das noch vor dem Zähneputzen hin», prahlte er am Stammtisch.

Bei einer Maskenbildnerin der städtischen Komödie lernte er, wie man Gesichter mit etwas Rouge aufbrezelte. In Paris liess er sich an einer Party vom damals noch quicklebendigen Karl Lagerfeld beraten, wie die elegante Leiche sich für den letzten Trip kleiden sollte.

Hugos Firma boomte - sein PR- Slogan: «DIE LETZTE FAHRT - GEDIEGEN UND STILVOLL» - weckte vor allem auch Träume bei solchen, die noch nie in einem solchen Edelschlitten gefahren waren. Es hagelte Vorbestellungen.

Manchmal bretterte Hugo einfach so durchs Land. Ohne kalten Passagier im hinteren Teil - sondern mit dem heissen Gefühl vorne: BLEIFUSS - UND AB DIE POST.

Bei einer solchen Fahrt passierte das Extreme: Er übersah den Baum. Und Humbel nickte ihm plötzlich freundlich zu: «Wie gehts uns denn heute, Hugo?»

Noch bevor Hugo «Danke, ganz wunderbar» antworten konnte, merkte er: Diesmal sass Humbel am Steuer.

Und Hugo lag hinten.

Ok.

Vielleicht makaber - aber ein schöner Schluss für eine Kolumne und einen Bestatter...

Freitag, 4. Oktober 2019