Der Schleierschwanzgoldfisch und die Kartoffelstauden

Lore redete eindringlich auf ihren Gatten ein: «...und plaudere dreimal täglich mit Irmgard. Irmgard braucht den Kontakt...»

Karl trug ihren Koffer in den Vorgarten. Das Taxi wartete schon: «,,,giess hin und wieder die Kartoffelstauden auf dem Balkon. Rede auch mit ihnen. Gemüse und Blumen lieben das Gespräch. Wenn ich zurück bin, ernten wir die ersten Knollen...»

Lore schaute Karl an. Sie wusste: zum linken Ohr rein, zum rechten raus. SO WAR ER EBEN! Ihr war bang um Irmgard. Und um die Balkonkartoffeln. Die Gedanken waren in ein psychometeorologisches Dauertief abgesunken: «Ich wollte, ich müsste nicht auf diesen Trip!», jammerte es in ihrem Innern.

Lore hatte sich von ihrer Freundin zu einem Urlaub auf der Insel Ibiza breitschlagen lassen. In zwei Stunden würde sie im Flugzeug hocken - «und dies, obwohl man doch gar nicht mehr fliegen soll!», jammerte sie nun zu Karl.

Der drückte seine Angetraute an sich: «Na, na - du kannst wohl nicht gut übers Wasser laufen, Lore - das hat nur E R vollbracht».

ER ZWICKTE SIE AUFMUNTERND IN DIE BACKEN: «Ich halte die Stellung. Sei unbesorgt.»

«...und gib ihr vor dem Schlafengehen ein Küsschen», erinnerte ihn Lore nochmals an Irmgard. «Küss d u mir die Haie!» - grinste er.

Zehn Minuten später lümmelte Karl auf der Couch. Er köpfte ein Bier. Und fieberte mit Federer. «Leck mich!», tobte er. Federer lag im Rückstand. Da spürte er einen vorwurfsvollen Blick im Nacken: Es war Irmgard. Sie mochte keine unschönen Worte. Irmgard war ein Schleierschwanzgoldfisch.

Lore hatte ihn vor zehn Jahren von einer Tombola heimgeschleppt. IM KONFITÜRENGLAS!

«Als Kind schon hatte ich einen Fisch», strahlte sie zu Karl, «...damals war es eine Drogistenaktion. Zwölf Jahre schwamm Goldy im Glas...»

DEM GATTEN WURDE ES HEISS UND KALT: «WERDEN GOLDFISCHE SO ALT?»

«Wenn man mit ihnen redet schon!»

KARL STRECKTE JETZT IRMGARD DIE ZUNGE RAUS. UND ZEIGTE IHR DEN STINKEFINGER.

Dann vergass er sie. Er vergass auch die Kartoffelstauden auf dem Balkon.

SEIN DENKEN UND SINNEN KREISTE NUR UM FEDERER. UND BIER.

Eines Abends schwamm der Schleier samt Goldfisch an der Oberfläche des Aquariums. «Schwimme in Frieden!», sagte Karl maliziös. Und wurde in diesem unschönen Moment am Handy in die Welt der Lebenden zurückgeholt: «Wie geht es Irmgard? Was machen die Kartoffeln, Karl?»

«Tutto paletti!»

Karl klapperte nun alle Zoo-Läden der Stadt ab - erst in der Nachbarstadt, fand er einen Schleierschwanzgoldfisch, der Irmgard einigermassen ähnlich sah. «Sie müssen mit ihm reden», mahnte der Verkäufer. «ICH WEISS», knurrte Karl. Und dann: «Sie haben nicht zufällig auch Kartoffelstauden?»

Drei Tage später hüpfte Lore braun getönt und haarig gebleicht aus dem Taxi: «Ich hatte keine ruhige Minute, Karl. Immer habe ich an Irmgard denken müssen...» Dann nahm sie ihn streng ins Visier: «Du hast doch mit ihr geplaudert?»

«HERZLICH WILLKOMMEN, IRMGARD!» - sagte er lakonisch. Aber Lore hatte noch nie ein Gefühl für Ironie gehabt. Nur für Irmgard. Schon stand sie vor dem Aquarium:

«IRMGARD - DU GUTE! ICH HABE DICH SO VERMISST...»

Irmgard, die Zweite, wedelte mit dem Schleier. «Was machen die Kartöffelchen?», umarmte Lore jetzt ihren Gatten.

«Guck nach...», lächelte der. ER HATTE INS BALKONKISTCHEN EIN HALBES PÄCKCHEN RACLETTE-KARTOFFELN AUS DEM SUPERCENTER REINGESTECKT.

«Schau, schau», jubelte Lore, «die Stauden haben Knollen. ACH KARL, DAHEIM IST ES AM SCHÖNSTEN!»

Das mag wohl sein. Doch trügt der Schein.

Freitag, 6. September 2019