Vom Kindergeburtstag und von einem Hamster

Illustration: Rebekka Heeb

«Sei kein Frosch! Emma freut sich auf dich. Du kannst nach der Geburtstagstorte problemlos abzischen.»

DAS WAR EVA. IHRE ENKELIN EMMA FEIERT DEN 10. GEBURTSTAG.

EMMA IST HEUTE EINER DER BELIEBTESTEN MÄDCHENNAMEN. MIR SOLL ES RECHT SEIN. WENN MEIN VATER DIE LIEBE GATTIN «MEIN EMMI» NANNTE, WAR ABER ZÜNFTIG ZOFF IM HAUS. Tempora mutantur - et Emmae mutantur in illis...

Emma ist mit ihren 120 Monaten bereits ein emmaximaler Tyrann. Na gut - das ist die Grossmutter auch. Sie lässt nicht locker: «Ein Geschenk brauchst du keines - und wenn, dann ein nettes Video-Game.»

Ich bin dann umweltfreundlich mit dem Tram gefahren. Als Geschenk müffelte ein Hamster im Körbchen. Ein bisschen wollte ich ja auch meine Freude am Fest - und als ich sah, wie Eva in die Luft ging - «Ja spinnst du denn? Man schenkt doch keine Tiere!» -, war der Tag schon gerettet.

Die kleine Emma hätte lieber «Das Rote Blutbad» als Animationsspiel (ab 8 Jahren) gehabt. Aber sie nahm den Hamster dann doch schulterzuckend an. Und schüttete die Sauce zum Ganzen: «Hast du auch gleich noch ein Rezept mitgebracht?»

Olli, mein Göttibueb und alleinerziehender Vater, zog mich in die gute Stube. Emmas Mutter steckt in einer Zeit der Selbstverwirklichung auf Goa - sie raucht Gras und pinselt Shawls mit natürlichen Blumenfarben. Auf Emmas Geburtstag hin hat sie ihrer Tochter ein T-Shirt mit einer hauskreierten Biene darauf geschickt. Die Biene sieht aus wie ein Hundeschiss - aber immerhin in Naturfarbe.

Die gute Stube also war als solche kaum mehr zu erkennen: Ballons schwebten wie geköpfte Gummi-Häupter an der Decke. Es regnete Papierschlangen in Regenbogen farben. An den Wänden hingen grelle Staniol-Buchstaben, die bestimmt nicht umweltfreundlich gefärbt worden waren: «HAPPY BIRTHDAY - BUON COMPLEANNO - ZUM GEBURTSTAG VIEL GLÜCK» - von A bis Z international. Die Kinderschar ebenso. Man hörte Namen wie aus dem Buch von Alibaba und den 40 Räubern: «Lucia-Maria, Ahmed, Fatima» - ein Tuttifrutti an Völkerverständigung. Nur ein Mädchen schaute traurig aus, weil da kein Glückwunsch- Spruchband in seiner Sprache glimmerte. Ich nahm mich der Kleinen an. Und siehe da: SIE WAR HONGKONG-CHINESIN. GING IN DIE «INTERNATIONAL SCHOOL». SPRACH FLIESSEND ENGLISCH. UND HATTE IM DIALEKTFACH SCHON «CHUCHICHÄSCHTLI» DRAUF.

Natürlich war auch Alejandra, die katalanische Lebensabschnittspartnerin, von Oliver hier. Das sieht man heute nicht mehr so eng. Alejandra hat die Kinder aus der zweiten Patchwork-Ehe mit gebracht - (das waren die mit den spanischen Kindernamen und den Staniol-Buchstaben «FELIZ CUMPLEANOS»). Überdies stellte mir die Frau den Kindsvater ihrer künftigen Brut vor (sie ist im 6. Monat). Er nennt sich Anuun. Kommt aus dem Land der Iglus. Und unter Eskimos heisst Anuun so viel wie «der Mann mit dem Hammer».

Ich mag Alejandra den Hammer gönnen.

Und man kann weiss Gott nicht sagen, dass unsereins prüde sei. Aber zu meiner Kinderzeit konnte sich eine Frau mit Kindsbauch und ohne den dazugehörigen Vater gleich auf den Mond schiessen lassen.

Eva schaute mich argwöhnisch an. «Na, gib schon deinen Senf dazu - alles klar! Du denkst, das sei total schräg. Und der Animier-Clown herausgeschmissenes Geld!»

TATSÄCHLICH FAND ICH DEN MANN MIT SEINEN ZU GROSSEN LEDERSCHUHEN UND DER ROT GESCHMINKTEN KNOLLENNASE EINFACH NUR ALBERN. Das Spassmännchen funktionierte Luftballons zu schrulligen Hündchen um - nun ja: so ähnlich wie Jeff Koons Kunst. Nur dass der damit Millionen reinschaufelt. Und keine überdimensionierte Schuhnummer trägt.

Eva flüsterte mir zu: «JETZT REISS DICH VERDAMMT NOCHMAL ZU EINEM LÄCHELN ZUSAMMEN! Der Mann heisst Ludwig. Er machts schliesslich gratis und ist ein Parteifreund von Olli.»

Na dann. Mein Patenkind weibelt nämlich für diese Partei, die uns das Fleisch vom Teller verbannen und der Kuh den Schiss verbieten will.

NOCH FRAGEN?

Ich will nicht meckern - aber ich musste doch an meinen eigenen zehnten Geburtstag denken, zu dem Tante Trude zwanzig von ihren legendären Schwarzwäldertorten buk (für jedes Kind eine halbe) und dazu vier Flaschen Baselbieter Kirsch zur Tränkung des Biscuit- Bodens benötigte. NACH SO VIEL SPEED BRAUCHTE ES KEIN UNTERHALTUNGSPROGRAMM MIT ROTER NASE.

«Und wo sind die Kuchen?», fragte ich Eva. Sie zuckte seufzend die Schulter: «Ach weisst du - die Kinder essen heute nicht mehr so wie früher.»

Eva zog mich in die Küche. Sie zeigte auf einen Fünfstöcker, der aus geputzten Rüben, Kefen, Fencheln, Randen und Zucchini zusammen gepflastert worden ist. Die Gemüsetorte stand auf einem Beet von geraspeltem Kohl: «So etwas mögen sie heute», seufzte Eva. Und rammte brutal zehn Geburtstagskerzen in die weichen Randenkugeln:

«JEDES GRAMM ZUCKER IST AN KINDERGEBURTSTAGEN VOM ELTERNRAT VERBOTEN WORDEN!»

Dann flüsterte sie mir zu: «Keine Bange - ich habe uns bei Krebs sechs Cremeschnitten besorgt.»

P.S. Den Hamster habe ich wieder mitgenommen. Ich habe ihn in der Tierhandlung gegen ein Bernhardiner-Hundehalsband eingetauscht.

AM NÄCHSTEN SAMSTAG IST NÄMLICH LEDER-PARTY! ICH WERDE CLOWN LUDWIG FRAGEN, OB ER KOMMEN WILL. GROSSE LEDERSCHUHE HAT ER JA...

Dienstag, 3. September 2019