Die Kuh

Karl war ein Militärkopf. Ein Betongrind. Lottis Freundinnen betitelten ihn hinter vorgehaltener Hand als «RIESENARMLEUCHTER».

Auch Peter konnte mit seinem Vater nicht viel anfangen: «Ich schäme mich, wenn er seinen politischen Rechtsaussen-Schutt ablässt!» - «Er ist, wie er ist», sagte die Mutter.

Die Sommerferien verbrachten sie im kleinen Holzhaus in den Bergen. Die Bauern waren Karls gesunde Welt - es kümmerte ihn wenig, dass deren Kühe das Ozon vollschissen.

Es war vor fünf Jahren, als Nachbarbauer Bärtie das Kalb zum Metzger bringen wollte. Er zog es an einem Strick am Garten vorbei. Karl bellte militärisch los: «Wohin?!» - «Zum Schlachten», brummte Bärtie. Wieder der Ton des Militärkopfs: «Das Kalb bleibt hier. Schau seine Augen an..»

«Was soll mit seinen Augen sein?»

«Sie weinen, du Dummkopf, Kälber sind sensibler, als du glaubst » Dann hustete Karl und sagte: «Ich kaufe es dir ab!»

Die Gattin protestierte: «Wir haben schon den Dackel!»

Zu Hause erzählte Lotti die Sache den Freundinnen: «...er hat diese Molly für 3000 Franken gekauft. Und wenn ich einen neuen Mixer will, macht er einen Aufstand!»

Karl liess sich von Molly die Hand lecken. Und kraulte ihr den Kopf...

«So was!», grinsten die Freundinnen, und hämisch zu Lotte: «Wann hat er d i c h das letzte Mal gekrault?»

MOLLY WURDE EINE GUTE ZUCHTKUH.

Zwei Mal bekam sie den Regionen-Preis für den prallsten Euter. Und jeden Sommer, wenn Karl ins Chalet kam, liess Bärtie seine Kuh aufs Feld. Die galoppierte sofort zu ihrem Lebensretter. Leckte ihm die Hand. Und schaute Karl mit ihren grossen Kuhaugen schmachtend an.

«Sie liebt mich», sagte Karl dann trocken. Und fütterte das Vieh mit Salzbrezeln, die er aus der Stadt mitgebracht hatte.

Als er an einem Militärtreffen unerwartet früh den Löffel abgab, gingen Peter und Lotte ganz vorne beim Sarg. Sie hatten keine grossen Gefühle.

Mit feinem Lächeln nahmen sie die Kondolenz-Hände entgegen. Und fuhren - nachdem Lotti das Bett von Karl abgezogen und seine Kleider entsorgt hatte - in die Berge.

Bei ihrer Ankunft galoppierte Molly ihnen entgegen. Die Kuh schaute ratlos auf die zwei. Peter streckte ihr die Hand hin - sie leckte kurz an seinen Fingern.

DANN LIESS SIE EINEN DUMPFEN MUHSCHREI LOS, DER DURCH MARK UND BEIN GING.

Langsam trottete sie davon - und schaute noch einmal zurück. In ihren Kuhaugen lag alle Trauer dieser Welt - es war die einzige Trauer um Karl. Im Chalet stellte Lotti ein Foto ihres Gatten auf. Es zeigte, wie er Molly den Kopf kraulte. «Er war, wie er war», sagte sie.

Freitag, 30. August 2019