Von Alphütten - einst und jetzt

Illustration: Rebekka Heeb

«Sei kein Spielverderber!» - das war mein Freund Innocent.

Stinkefinger - das war ich.

Dies alles ist der liebevolle Umgang miteinander. Seit 50 Jahren.

Er will mit mir auf einer romantischen Alphütte übernachten. Ich liebe Alphütten. Aber nur für einen kurzen Milch-Moment. Oder als Hintergrund fürs Selfie.

ANSONSTEN: ICH BIN EHER DER «BAD MIT BIDET»-TYP!

Nun haben Wolfi und Anna meinen Freund auf die Hütte heissgemacht. Die Holzbude steht auf der Engstligenalp. Gehört einer Cousine von Anna. Überdies liegt das Haus nur einen gespuckten Kirschenstein vom Einstieg zum Wildstrubel entfernt.

Der Wildstrubel war mal der Silberrücken von Adelboden. Selbst im heissesten Sommer lag immer eine Hand breit Schnee auf der Linie zum Gipfel. Diese Linie sieht aus wie ein weisses Lineal, das der liebe Gott in den Himmel gelegt hat.

Seit die Winter aber milder und die Sommer heisser geworden sind, schmilzt der Gletscher weg. Der Schnee weint sich in einem heftigen Wasserfall ins Tal. Und die Umweltschützer weinen mit.

«DAS HABT IHR DAVON! FLIEGT NOCH MEHR IN DER WELTGESCHICHTE HERUM!»

Solche Worte wurden an einem Umweltschutztreffen in Osaka gesprochen. 178 Nationen haben daran teilgenommen. Jedes Land schickte drei Kämpfer fürs Ozon. Und natürlich sind alle auf dem Velo den weiten Weg übers Wasser gekommen.

Ich möchte hier nicht zynisch werden. Und mich auch nicht giftig äussern. Das tun schon die professionellen Leserbriefschreiber. Aber auch dem Dümmsten ist klar: ES MUSS ETWAS GESCHEHEN! SONST HABEN WIR SCHMETTER LINGE NICHT NUR IM BAUCH, SONDERN AUCH AM WEIHNACHTSBAUM.

Das Thema ist hier eh nicht das Klima. Sondern die Alphütte.

Wolfi und Anna wollen auf den Gipfel. Sie müssen da schon frühmorgens los. Innocent und ich sollen derweil auf der Alp ein Frühstück vorbereiten - Röschti mit geschmolzenen Bergmutschli und gehackten Zwiebeln darunter.

«Keine zehn Kühe bringen mich in so eine Hütte!» Ich will nicht im Heu übernachten. Denn schon als rosiger, lieber Bub war mir klar: Lieber als Prinzessin auf drei Erbsen als eine Nacht mit schnarchenden Bergsteigern im Heu!

Innocent sagt dann das, was jede Diskussion vom Tisch fegt: «Du bist eine Snob-Zicke!»

WO ER RECHT HAT, HAT ER RECHT.

Mein Vater war auch der Heu-Typ. Der Wildstrubel stand alle Sommerferien auf dem Programm. Während meine Mitschüler am Strand von Cattolica Gelati lutschten und sich auf Luftmatratzen in den Meereswellen schaukeln liessen, gabs bei uns einen Landjäger im Rucksack. Lindenblütentee. Und das Versprechen: «Wenn wir auf dem Gipfel stehen, darfst du allen andern DU sagen. Ist das nicht toll? Bergkameraden sind ab 3000 Meter immer auf Du und Du.»

Ich wollte mit Vaters Trämlerkollegen nicht ins Heu, nur um sie danach duzen zu dürfen. Ich wollte im Chalet einfach ungestört die Edelweiss-Romane der Kembserweg-Omi lesen. Aber Kinder hatten damals nichts zu sagen. Das kam erst mit Greta.

So lag ich also eine Nacht lang wach im Stroh. Wer einmal so gelegen hat, versteht, weshalb das Jesuskind immer leicht grantig und unausgeschlafen von den Ölbildern schaut.

Das Stroh piekst. Und vermutlich war der heilige Josef auch ein rüsselnder Apnoe-Typ. BEI SOLCHEN VORZEICHEN KOMMT NIEMAND ZUM PENNEN! Selbst der barmherzige Esel des Heilands nicht.

Jedenfalls gabs um vier Uhr morgens dann Katzenwäsche am Bergbrunnen. Das Wasser plätscherte eisig aus den zwölf Löchern des rostigen Rohrs. Vater jubilierte: «Ist das nicht wunderbar, Bubi - Natur pur. Du darfst meine Zahnbürste benutzen.»

Na danke.

Zum Frühstück gabs einen Kanten angetrocknetes Brot. Und den Spruch in Kreuzstich über der Essecke: «KEIN BROT IST HÄRTER ALS KEIN BROT!»

Bei jedem Schritt im ewigen Schnee, der, wie wir jetzt wissen, eben doch nicht «ewig» ist, dachte ich: «Wenn ich gross bin, fahre ich ans Meer zu den Gelati!»

Schnallt ihr nun, dass ich das mit der Alphütte nicht mehr haben muss. AUCH WENN SIE MIR DIE BERGTOUR SCHENKEN - ICH BRAUCHE DAS GANZE THEATER NICHT!

Aber natürlich kann ich nicht so sein. Seit Wochen begluckt mich Innocent von vorne bis hinten. Macht den Diener und massiert mir den Gips.

Ich liege flach, und er schaut, dass ich trotzdem hochkomme - ich meine: DAS IST DER WAHRE MUTTI-ERSATZ!! Und ich höre meine leibliche Mutter Carlotta auf Wolke vier: «Jetzt kneif dich in den Arsch und erfülle ihm verdammt noch mal seinen Wunsch!»

Also machen wir uns in Gottes Namen auf den Weg zu dieser Alphütte.

Anna schliesst die Holztür auf - dann schaut sie auf mich: «Willst du das Sonnenzimmer? Oder die Suite zur Kuhweide?»

ABER HALLOHALLÖCHEN!

Ich schlucke. Denn es gibt kein Massenlager. Und auch kein miefiges Stroh. Es sind echte Betten da von Ikea. Und auf den Kissen blühen Enzian.

Ich brauche nicht zu erwähnen, dass die neue Alphüttenzeit auch ein Bidet neben dem Klo installiert hat. Mikrowelle in der Designerküche. Und vor dem Kamin findet man eine kleine Bibliothek.

Es fehlen die Edelweiss- Romane der Omi. Dafür gibts «Asterix bei den Römern». Und «Globi in Afrika».

Auch recht.

Was ich eigentlich nur kurz anführen wollte: Auch das Alphütten-Klima ist stark im Wandel...

Dienstag, 27. August 2019