Von einem speziellen Thema und dem Charme des Darms

Illustration: Rebekka Heeb

Nein!

DAS IST KEINE SAUBERE KOLUMNE!

Ich meine: nicht der übliche rosa Gips und Mimpfeli in Zuckerform.

NEIN. HIER ZEIGT SICH DIE WÜSTE WIRKLICHKEIT!

Und aufgepasst: Die folgenden Zeilen sind nur mit der Packungsbeilage zu geniessen. Dort steht: Nicht vor dem Essen einnehmen.

Bei schwachem Gemüt: links liegen lassen!

Oder höchstens auf dem stillen Örtchen reinziehen. Dort sind wir der Thematik eh am nächsten.

Auch auf die Gefahr hin, dass Hunderte Leserbriefschreiber eine Krise schieben («Stellen Sie endlich diesen Shit ab!») und die Online-Kurztwitterer einmal mehr die Taste «nicht lesenswert» drücken - wir packen trotzdem aus.

SCHONUNGSLOS. Denn es geht um den Dreck dieser Welt.

UND DEN KÖNNEN WIR NICHT NUR DEN LINKS- GRÜNEN ODER FASCHISTISCH BRAUN-SCHWARZEN ÜBERLASSEN.

So. Shit happens. Dieser Shit geht uns alle an. Besonders diejenigen, die bereits in einem Alterszustand schweben, den sie «50 plus» nennen.

Es geht um den Darm. Und darum, was sich da alles tut. Und was er mit einem tut, wenn sich nichts tut.

Nicht umsonst hat Frau Enders den Bestseller «Darm mit Charme» geschrieben. Nicht umsonst sitzen Väter wie Mütter ihren Kleinsten beim Töpfchenhocken vis-à-vis. Zeigen den Babys mit Pressen und roten Köpfen, was Sache ist: «Schöööön drücken... Schöööön Gagga...»

Bitte - ich habe Sie gewarnt!

Das Schlimme vom Darm fängt schon im Babyalter an. Wer Windeln wechselt, weiss, wovon ich rede... Da kommen keine zehn Flaschen Chanel 5 gegen an.

Männer tun sich mit dem Thema schwerer als Frauen. Frauen sind eh härter im Nehmen. Die alten Sauglockenmachos können zwar an der Bierrunde Witze reissen, die meistens unter der Gürtellinie spielen. Müssen sie aber diesen Gürtel öffnen und die Hosen runterlassen: OMANNOMANN!

Das fängt in der Rekrutenaushebung an, wenn der Militärarzt eine Hand voll nimmt, um zu prüfen, ob alles dran ist. UND ES GEHT BEIM HAUSARZT WEITER, WENN DER DIE AUGEN ZUM HIMMEL HEBT UND SAGT: «Wir müssen dann mal die Prostata...»

Wie Betschwestern beim Anblick zweier sich paarender Maikäfer, erröten dann genau dieselben Männer, die am Stammtisch nie mehr mit Frau-Wirtin-Sprüchen auf- hören können...

Der Hausarzt also stülpt sich einen dieser Gummihand schuhe über, die man auch als Pfannenreiniger verwendet. «Bitte Seitenlage - und lockerlassen!», gibt er dem Opfer den M-Arschbefehl durch.

Der Unglückliche wendet sich geniert zur Wand. Schliesst gedemütigt die Augen - derweil der Onkel Doktor den Finger streckt und sein Gesicht demonstrativ uninteressiert abwendet - etwa wie die Kassiererin ihren Kopf, wenn du die PIN-Zahl deiner Postcard eintippst.

Frauen - wenn sie eine Prostata hätten - würden sich in verschiedenen Selbstfindungs- und Debattiergruppen über das Erlebte austauschen. Männer aber schweigen bei intimen Themen. Alles unterhalb ihrer Hosenträger ist ihnen peinlich. Beweis?

Spätestens an dieser Stelle hat der letzte harte Mann diese Kolumne verlassen.

Damit kommen wir also zum Darm.

Kaum hast du es an deinem Fünfzigsten krachen lassen, kommt auch schon der Mahnbrief deines Leibarztes. «Eine Darmspiegelung wäre nach einem halben Jahrhundert vonnöten...!»

Du gibst das Schreiben zur Papierabfuhr. Und denkst: Der kann mich mal.

Bei den Routineuntersuchungen kommt das Thema immer wieder aufs Tapet. ABER: «Jetzt kann ich nicht vielleicht in einem halben Jahr...»

Deine Umgebung hat dich bereits flüsternd vorgewarnt «Es ist grauenvoll... Du liegst mit dem Nachthemd hinten offen auf dem Schragen... Das Schlimmste aber ist das Vorspiel mit den Flaschen!»

Du willst im letzten Moment alles platzen lassen. Aber - die Krankenschwester macht die drohenden Dominaaugen: «AB SOFORT WIRD NICHTS GEGESSEN! MORGEN UM SECHS UHR SCHÜTTEN SIE DIESE VIER FLASCHEN RUNTER! NEIN. ES SCHMECKT NICHT NACH RIVELLA. ABER ES IST AUCH KEIN LEBERTRAN. ALSO KRIEGEN SIE SICH WIEDER EIN!»

Du erwachst mit einem Hungerast - und vier Flaschen vor dem Auge. Das Gesöff hat den Geschmack von Myrrhe und Döner. Mit Todesverachtung schaffst du die erste Runde. Den Rest des Vormittags hockst du dann auf der Schüssel. Und weinst mit deinem Darm vor dich hin. Erst wenn du ganz leer und schon fast nicht mehr auf dieser Welt bist, schälen sie dir im Spital die Kleider vom Fleisch. Und betten dich auf den Schragen.

Eine fröhliche Krankenschwester winkt mit einer Spritze. «Jetzt denken Sie an etwas Schönes...»

ICH SEHE EINE ZUGER KIRSCHTORTE VOR MIR. ICH MAG ZUGER KIRSCHTORTEN NUR BEDINGT. ABER NACH EINEM HUNGERMARATHON HÄTTE ICH AUCH FRITTIERTE MISTKÄFER GENOMMEN!

Und «alles erledigt», freut sich der Arzt. Du reibst die Augen: «Schon vorbei?» Und damit du dich auch richtig freust, zeigt er dir die eben geschossenen Fotos deines Darms mit den Polypen drauf - es sieht aus wie eine Mondlandschaft mit Trockenblumen: «Ich kann Ihnen die Aufnahme für Facebook auf Ihr Handy beamen!»

Mehr ist nicht zu sagen.

ESSEN GIBT ES ÜBRIGENS ERST ZWEI STUNDEN DANACH...

Du stellst dich in der Zwischenzeit auf die Waage. Und lässt dir dein Gewicht schriftlich bestätigen. So tief wird es nie mehr sein.

Schon scheppert der Wagen der Rettung herbei: Luzerner Bratwurstkügelchen auf Reis!

ERST JETZT WEISST DU, WAS GLÜCK IST. (Selbst wenn du Bratwurstkügelchen nicht ausstehen kannst...)

Dienstag, 13. August 2019