«Sie werden zwei Monate flachliegen suchen Sie jemanden, der Sie hin und wieder kehrt », DAS WAR MEIN GIPSMANN.
Der Gipsmann ist eine Wucht. Er heisst Manolo. Und gipst nach Mass. Das ist heute - ausserhalb eines politischen Umfelds - ein seltener Beruf.
Natürlich wird im Parlament auch gegipst. Aber wild und planlos. Da lobe ich mir Fachmann Manolo, der die Sache logistisch bei der Wurzel anpackt. Gut ausmisst. Und überlegt alles zupappt. Ein positiver Pappenheimer! Mit Charme. Einem Eimer voll feuchter Gipsbändel. Und einer Farbenpalette, von der Picasso nur träumen konnte.
Er (der Gipsmann) hat das Pepsodent-Lachen von gipsweissen Zähne: «Es ist nicht attraktiv, so einen Klumpen am Fuss zu haben. Aber ich kann Ihnen zumindest mit meinem Regenbogenangebot eine Freude machen. Sie mögen doch pink?»
ALLES ROSIGE IST MIR LIEB. ES PASST ZU ALLEM - OB ROT, OB GRÜN, OB FASCHO-BRAUN: ROSA GEHT IMMER.
Zu meiner Kinderzeit hat man die Babys dieser Stadt rosa und himmelblau gewickelt. Aber andersrum als sonst wo. Ich meine: Mädchen waren himmelblau. Buben: rosig bis lila. (Insofern signalisierte der Frauenstreik in seinen Aubergine-Tönen eher einen Bubenstreik.) Natürlich wissen das mit Rosa und Himmelblau nur noch wenige. Ich meine: es ist den jetzigen Generationen wurscht, wessen Geschlecht ein Kind ist. Sie können dieses nach dem 16. Geburtstag eh am Kundenschalter eintauschen. Oder einen dritten Weg wählen. Hauptsache: Es isst vegan, keine Tiere!
Als ich also das Licht dieser Welt erblickte, war die Familie ausser sich vor Freude: «EIN BUB!»
Die Tanten häkelten Rosiges. Die Omas strickten Schlüttchen in der Farbe einer englischen Hochzeitstorte. Nur mein Vater tauchte im Spital bereits mit unansehnlichen Kletterhosen für den Kleinen auf - Hosen, welche die Farbe von eingetrocknetem Kuhschiss hatten.
In der Geheimlade meines Sekretärs bewahre ich heute noch die Glückwunschkarten von Gotte und Götti auf. Beide pink (die Karten). Beide mit seidenen Kordeln (ebenfalls rosig) umrahmt. Und beide mit liebevollen Sprüchen gespickt, die den Buben in seinem rosigen Leben begleiten sollten:
«Oh Kind - wenn dunkel auch die Nacht einbricht, die Sonne durch die Wolken sticht!» Die Karte zeigt einen pustenden Schutzengel mit handgrossen Flügeln, der das Dunkle am Himmel wegpustet.
DER ANDERE TAUFSPRUCH: «Dein Leben soll behütet sein von einem lieben Engelein... »
und
Auch hier ein gefiederter Engel in Rosa. Er lächelt mit der Süsse von 30 Zuckerwatten. Überdies bläst er zwei Backen auf - rund und prall wie gefüllte Berliner. Wenn man genau hinschaut, schielt er ein bisschen - ABER DAS TUT SEINER MAGISCHEN AURA KEINEN ABBRUCH! Die Zuckerwattensüsse und die beschützenden rosa Flügel der kleinen Handlanger vom Chef haben mich immer getröstet. Und vor allzu Üblem bewahrt. ICH BIN DEN ZWEI BLASENDEN KERLEN FÜR IHREN SCHUTZ UND ALL DAS ROSIGE DANKBAR. ICH WEISS AUCH, DASS SIE ES NICHT IMMER EINFACH HATTEN.
Entsprechend war «pink» also für mich seit Geburt mit Positivem verbunden - sagen wir mal: ähnlich wie die Wassermelone für den Fruktarier.
So. Und jetzt: bei Fuss!
Ich wurde also von einer liebevollen Schwester aus dem Gipsraum herausgerollt. Sass hilflos in einem Stuhl. Und hielt das linke Bein hoch wie Lumpi seines am Baum. So karrten sie mich über die Strasse in die medizinische Wohlfühl-Suite...
Im Spital rief ich Max in Rom an. Er steckt in der Semesterprüfung für «theoretischen Beistand bei psychisch Schwachen». Bei mir konnte er nun im praktischen Teil einspringen.
Vor dem Flughafen, als Innocent den Angelo Custode aus der Vatikanstadt abholte, wurde mir erstmals die Wirkung eines rosigen Gipses bewusst. Wir hielten vor dem Haupteingang im Anhalteverbot. Ein Flughafenangestellter kam wie von der Tarantel gestochen herbeigesurrt: «Das geht hier nicht - SIE SEHEN DOCH: NUR FÜR INVALIDE UND SCHWANGERE.»
Innocent stieg fuchtelnd aus. Und zeigte auf mein Gipsbein, das ich dem Uniformmännchen wie eine Ballerina im Arabesque-Stil entgegenstreckte (ich war der irrigen Annahme, er kenne den Comment und würde die Zehen küssen). Der Mann hingegen wurde bleich. Nahm Stellung an. Und: «Das ist natürlich etwas ganz anderes... »
Es war unklar, ob er mich in die Kategorie «invalid» oder «schwanger» einreihte. Aber immerhin.
Da es mir stinklangweilig ist, nur rosig im Bett herumzuliegen, schnalle ich mir den Rollstuhl und Max an. Würde Max mich ziehen, hätte ich Probleme mit unsern Pferdefreunden dieser Stadt. Aber er stösst mich. Und gilt somit nicht als schützenswert. SO ROLLEN WIR ALSO ZUM TÜRKEN AN DER ECKE.
Allerdings müssen wir dabei eine Strasse überqueren Die Grünlichtphase für den Fussgänger vom Trottoir bis zur Traminsel dauert gerade so lange wie das Husten eines Flohs. Max schiebt mich auf die Strasse. Schon ist Rot. Und die Autos bremsen kreischend. Dann sehen sie den Gips in der Lollipop-Farbe. Kurbeln die Fenster runter. Und lachen: «Das sind ja rosige Aussichten!» Max lacht und winkt ihnen fröhlich zu. Er versteht kein Wort. Und schiebt mich weiter - direkt ins Tram.
GEBIMMEL. GESCHREI. Und immer wieder der Ruf: «Habt ihr diesen Gips gesehen?!»
Alles jammert - es würden keine Trams mehr fahren. Aber wenn man k e i n e s braucht, ist es da. Unsereins mittendrin und ich kann euch versichern: Pink geht nicht mit Tramgrün: ABER GAR NICHT!
Jedenfalls: Der Wagenführer ist noch immer in psychologischer Betreuung. Und ich wieder beim Gipsmann.
Der: «Bleiben wir bei Pink.. ?»
Klar.
Wer rosig auf die Welt gekommen ist, sollte die Farbe nicht mehr wechseln...