Hochgefühl im Spital und Absacker daheim

Illustration: Rebekka Heeb

Das Wunderbare im Spital: NICHTS ZU TUN!

Dafür hältst du die anderen auf Trab. Sie tun alles für dich.

Und wenn du für ein Sekündchen keine Aufmerksamkeit hast, schliesst du die Augen. Und lässt einen Seufzer los, der wie ein Nonnenfurz über die Bettdecke huscht.

SCHON STEHT DIE ARMADA WIEDER STRAMM: «Alles okay Lust auf einen kalten Tee oder ein lauwarmes Klistier?»

Wie gut verstehe ich jetzt die Diktatoren dieser unschönen Welt: Macht ist ein wunder bares Gefühl. Und ich fühle nachträglich auch mit der dahingerafften englischen Königinmutter, die beim Dauer geplätscher («Ein ganz kleines Stückchen vom Marmorkuchen, Hoheit?») alles Süsse mit einem knapp geknurrten Befehl abstoppte: «GIN! DREIFACH. UND OHNE EIS!»

Selbst die Päpste haben ihre Mannschaft am Bett. Einige munkeln: nicht nur am. Aber derart geschleuderter Dreck läuft heute unter Fake News von Sensationsreportern und Leserbriefschreibern. Es ist unwahr wie die Behauptung, Prinz Charles habe sich die Ohren nur nie nach hinten operieren lassen, weil die schweren Diamant-Klipse an seinen fleischlichen VW-Blinkern so besser zur Geltung kämen.

Alles Neid.

UND: FAKE! FAKE! FAKE!

Immerhin - auch der Papst öffnet seine Vorhänge nicht selber und wird am Arm auf den Thron geführt.

WEN WUNDERTS, DASS EINEM SIMPLEN GEMÜT SOLCHE HOFHALTUNG IN DEN KOPF STEIGT. WER DIESE WEIHEN ZUM ERSTEN MAL AM SPITALBETT ERLEBEN DARF, DEM WIRD NÄMLICH SCHON FAST GÖTTLICH ZUMUTE.

Jedenfalls: «So ein kleines Zitronensoufflé aus der Confiserie-Küche und eine Extraportion Morphium könnten meine trübe Stimmung ein Häuchlein aufhellen... »

Noch bevor du «aufhellen» gesagt hast, schlagen sie die Eier schaumig. Und lassen das Morphin brausen.

Das zarte Wohlgefühl wird von Herrn Innocent im Nu weg gefegt. Schon von weitem hört man sein Poltern im Gang («Was zum Teufel hat hier ein voller Urinbeutel im Gummibaum zu suchen?»).

Ohne anzuklopfen, tritt er ins Krankenzimmer. Und merkt euch eines, ihr ahnungslosen Lieben: Man/frau/es betritt nie ein Krankenzimmer - nie! nie! nie! -, ohne zumindest drei Mal an die Türe gepocht zu haben. Nur der Gerichtsvollzieher oder Gevatter Tod haben eine geräuschlose Zutrittserlaubnis. Die andern: bitte, Signal! Dem Patienten könnten nämlich die Füsse oder noch Intimeres gewaschen werden.

UND WIE MACHT SICH DAS DENN, WENN EINER MIT DREI WELKEN STEINNELKEN PLÖTZLICH VOR DER NACKTEN WAHRHEIT STEHT!

So.

Innocent jedenfalls stiert auf meinen operierten Fuss, den die Pflegefachfrau höchst persönlich salbt.

UND WAS LÄSST DER ALTE RAUS?: «Das sieht aus wie eine Waadtländer Saucisson vor dem Platzen. Wie lange muss so etwas auf den Bohnen ziehen, bis es durch ist, Schwester?»

Sitzt du dann im Rollstuhl und wirst von diesen gütigen, unterbezahlten Händen durch den Gang gestossen, so hast du eine Miene drauf wie Olivia Colman als Königin Anna, wenn sie von ihrer «Favourite» ins Parlament gekarrt wird.

ICH MEINE: UMSONST TUT MAN SICH SOLCHE FILME JA NICHT AN. ES GIBT IMMER ETWAS ABZUKUPFERN!

Vis-à-vis humpelt dir ein Wrack von Mann mit einem Gesicht aus Kalkstein und einem Gestell, voll behangen wie ein Weihnachtsbaum, entgegen. Die durchsichtigen Säckchen mit den seltsamen Flüssigkeiten wackeln beängstigend hin und her.

Er schickt einen kläglichen Blick auf deinen Gipsfuss und seufzt: «Ich kann jetzt immerhin schon alleine aufs Klo.»

ES IST NICHT DIE KONVERSATION, DIE EINER KÖNIGIN ANNA WÜRDIG IST.

Also ignorierst du das Kalk gesicht. SELBST AUF DIE GEFAHR HIN, ALS DRAMA-QUEEN VERSCHRIEN ZU WERDEN, SOLLTE MAN IN SPITÄLERN DEN UMGANG MIT ANDEREN HOSPITALISIERTEN KLAR ABGRENZEN: SONST HAST DU ZUM SCHLUSS JEDEN URINBEUTEL AM BETT.

Am Tag, als Paddy, die schwesterliche Frohnatur, und Markus, mein Professor mit den grossartigsten Fussnoten auf dem poetischen Gebiet der Ferse von Achilles, die Nachricht kundtaten: «Morgen machen Sie die Fliege; haben Sie jemanden, der zu Hause nach Ihnen schaut?» - also da sackst du so krass in den Alltag zurück, als gäbe einer oben am Spalenberg deinem Rollstuhl einen Stoss. Und der kracht mit 250 Sachen in eine der tausend aufgerissenen Strassenwunden auf dem Markt.

Nonnenfurzige Seufzer («Mir wäre nach einem Crèmeschnittchen, oder zwei ») werden nun daheim ignoriert. MAN LÄSST ALLE WÜNSCHE ZUSAMMEN MIT DEM FUSS UNBARMHERZIG IN DER LUFT HÄNGEN.

Ein dahingebellter Befehl - «Wo bleibt mein Ei im Glas?» - wird genauso überhört wie der Alarmruf: «Mein geschwollener Fuss fällt vom Knochen.»

Einzige Reaktion von Innocent: «Gutes Zeichen. Dann ist er durch.»

Das Schlimmste: Morphin gibts erst wieder zu Weihnachten.

Und der Quartierbäcker mit den Zitronentörtchen hat Betriebsferien!

Dienstag, 23. Juli 2019