Von der Fuss-OP und einem rosigen Gips

Illustration: Rebekka Heeb

«Morgen beame ich dich rüber.» - Paddy stand an meinem Bettrand. Drückte meine Hand. Und setzte noch einen drauf: «Traviata! Ich lasse dir Traviata laufen. Mit Traviata operiert die Crew am fröhlichsten.»

Paddy ist ein Freund. Fasnachtsszene. Seine Russerei hat Geschichte gemacht.

Nun will er mich in den Operationssaal begleiten. Denn mein linker Fuss kommt unters Messer - in Gourmetkreisen spricht man bereits von «einem Hammel-Zampone».

«Ich lasse mich nicht rüber beamen!» - Die Anästhesistin, eine wunderbare Ärztin mit dem frohen Namen Eleonora Sonnambula, lächelt: « ...und recht haben Sie! Teilnarkose. Wir machen vom Nabel bis zur Zehe Pause. Und oben können Sie dann immer noch hören, wie am Knochen gesägt wird.» Da war mir dann «Traviata» doch lieber.

Als ich in dieser Vorkammer lag, wo meine Filetstücke steril abgetupft wurden und danach die Spritze mit den Träumen zum Zug kam, hörte ich das wunderbarste Kompliment, das mir je eine Frau gemacht hat: «Mein Gott - es ist ein Genuss, bei Ihnen den Katheter zu legen. So viel Raum hatte ich noch nie... Paddy, schau nur... wollen Sies auch sehen?»

Ich lächelte geschmeichelt. Verzichtete aber auf den Blick zum Bildschirm. Und spürte, wie mir unten plötzlich kalt wurde. Die Gefühle unter der Nabellinie machten sich ins Nirwana davon. «Mein Fuss ist ganz kalt», lächelte ich zaghaft zu einem der Halbmaskierten in den grünen Schürzen.

«Pied de cochon glacé», grinste es hinter dem medizinischen Schleier, der ein bisschen an die TV-Serie «Der Bergdoktor», aber auch an arabische Haremsdamen erinnert.

Dann starteten sie zur Ouvertüre. Fräulein Traviata sang das Lied von «Libiamo» - nach dem dritten hohen C griff mein Traumchirurg zu Hammer und Meissel. Markus klopfte den Fuss zurecht wie der Koch das Wiener Schnitzel. Dann sägte er hier einen Ast. Und nähte dort eine Kurve.

Paddy hingegen hielt meine Hand. Und meinte: «Wenns dich juckt, gib ein Zeichen - wir pumpen dann Morphin nach.»

Als «Traviata» nach langen Koloraturen endlich zum Schluss kam und starb, war ich noch quicklebendig. Und wurde in die Überwachung geschoben.

«Wollen Sie jemandem mit teilen, dass alles gut über die Bühne ging?», fragte mein Fuss-Medicus strahlend. Er war gut gelaunt, weil er das gesottene Hammelfüsschen so gut auf die Platte gebracht hatte.

ANRUFEN?! Wen kümmerte schon meine Haxe?

Als ich Innocent vor Monaten schon das Datum der Operation durchgegeben hatte, hatte er auf seinem Handykalender rum gedüüdelt. Und gestrahlt: «Das trifft sich ja gut. An diesem Tag bin ich auf dem Zunftausflug!»

Und wie ich ihn dann in Morphins Armen nach der OP über das Natel erreichte, musste ich hören, wie im Hintergrund der Zunftchor sang: «Ein Prosit, ein Prosit der Gemüüütlichkeiiit...» Dann kam Innocents krächzende Stimme: «Wir geben den Stiefel herum ...störst. ABER GANZ GEWALTIG!»

Später, als ich im Kranken zimmer die Speisekarte des Spitals durchackerte (eine Gourmetliste, die jedem Dreisternrestaurant Ehre machen würde), flatterte eine Schar an Krankenschwestern und Servicefrauen um mich herum: «Morgen dürfen Sie auf der Terrasse essen - jetzt muss der Fuss noch hochlagern. Mögen Sie zum Start kleine Sushi mit frischem Salm?»

Ich dachte an Innocent und seine Zunftkumpel. Die hockten vor Bierringen, liessen sich volllaufen. Und hatten Wurstsalat. Ich aber sollte hier mit aufgehängtem Bein japanische Kleinkochkunst verdauen.

TRÄNEN DES SELBSTMITLEIDS KULLERTEN ÜBER MEINE FEISSEN BACKEN. DIE NASE RÖTETE SICH UND WÄRE BEI JEDER CLOWNNUMMER UNGESCHMINKT ALS ROTKNOLLE DURCH GEGANGEN. UND MEINE SEELE HING DURCH WIE LIESELS BUSEN, WENN DIE STÜTZEN WEGFALLEN.

Paddy wischte das Nasse mit Papiertaschentüchern aus dem Gesicht: «Nanana... wer wird denn auch? Das ist nur eine postoperative... Depression das kommt schon wieder!»

Ich dachte an Traviata und dass sie von ihrem Alfredo und dessen sturgrindigem Vater (einem Salvini-Anhänger!) total verkannt wurde. Das arme Kind musste deshalb so früh sterben - Fräulein Violetta sank unverstanden in die Grube.

MAN SOLLTE BEI EINER OPERATION NIE TRAVIATA HÖREN!

Pad grinste: «Ich habe das ideale Anti-Depro-Mittel für dich: Die Küche hat eben Zitronentörtchen gebacken...»

Mehr brauchte er nicht zu sagen! Sofort waren alle meine Werte wieder auf «bravo!».

Als Innocent mich abends dann doch noch besuchte, lag ich wohlig in den Kissen. Und streckte den rosigen Gips zum Himmel.

Gut. Es war mir schon ein ganz klein bisschen übel. Aber wer schafft denn schon 17 Zitronenküchlein, ohne dass er danach keine Bäuerchen machen muss? Innocent sprudelte sofort drauflos: «Der neue Zunftmeister ist ein prima Kerl das Bier war herrlich frisch... wir haben sechs Fässer geschafft... und dieser Wurstsalat ich sage dir: der Wurstsalat...»

Ich unterbrach etwas frostig: «Bei mir gabs Traviata mit Sushi... dann ein, zwei Zitronentörtchen!»

Erst jetzt schien ihm ein zuleuchten, dass er in einem Krankenzimmer hockte. Und sein liebster aller Freunde bald wieder in High Heels herum laufen würde.

«Das sieht hier aus wie in einem Luxushotel», rümpfte er die Nase. «Ist denn das nötig... dazu noch ein rosa Gips! Der kostet bestimmt einen Farbaufpreis.»

Manchmal verstehe ich, weshalb Fräulein Traviata im letzten Akt den Frieden in der Gruft sucht...

Dienstag, 16. Juli 2019