Von den Süchten, dem Kiffen und null Wirkung

Illustration: Rebekka Heeb

Kiffen war nie mein Ding.

Ich wuchs in einer Familie von Süchtigen auf. So einer macht um jeden «Turkey» einen Bogen.

Bei meinem Vater war es der Berg. Er musste dran! Hing daran. Umarmte ihn - wie ein Liebeskranker die coole Braut. Wir andern jammerten auf ihn ein: «Lass das - es ist unverantwortlich. Und bringt dir eines Tages den Tod!» Er liess nicht davon ab. Filme zeigen ihn noch als 80-Jährigen schwindelfrei auf der Dufourspitze mit einer Rolle Traubenzucker als Wegzehrung in die Kamera winken.

ICH BITTE EUCH!

Aber er stürzte nie ab - er starb mit 84 im eigenen Bett. Den «Turkey» hat er stets den andern bereitet - etwa wenn er vergass, von der Talstation anzurufen, und in der Fendant-Runde versumpfte. Die Familie suchte bereits nach dem Testament

AUCH MUTTI WAR SÜCHTIG. Sie pokerte. Allerdings an der Börse. Gabs mal einen Crash, war tagelang nicht mit ihr zu reden. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein. Und hämmerte auf die Kissen. «Hör endlich mit diesen spekulativen Tänzen auf, Carlotta!» - brüllte die Oma sie an. ABER WER HÖRTE SCHON AUF SO EINE. DENN AUCH SIE WAR NICHT FREI VON SUCHT. Im Gegenteil: Das alte Mädchen verpulverte ihr ganzes Vermögen an jüngere Männer. Das Glänzendste an denen war die Brillantine im Haar und drei Briller am kleinen Finger. Muss ich noch mehr sagen?

Tante Gertrude konnte um keine Flasche Enzian einen Bogen machen. Schon früh gurgelte sie sich damit den Hals frei. Dabei war Enzian schon damals geschützt - die Trinker nicht. Und Onkel Alphonse war wettsüchtig. Nach seiner Pensionierung als Farben-Vorarbeiter in der Basler Chemie sah er «grün». Und zog nach Frankreich, weil dort die Wettbüros «lustiger» waren (wie er an Weihnachtsfeiern immer wieder erklärte). Er setzte auf Windhunde, Kampfhähne, Fussballer und Pferde. War er blank, erschnorrte er bei meiner Mutter ein paar Scheinchen: «Ich habe da einen bombensichern Tipp, Lotti - nächste Woche bekommst dus mit Zins zurück!» Mutter investierte in ihn wie in eine Risiko-Aktie. Als er in Lyon dann nach einem Windhundrennen stockbeinbesoffen unter einen Linienbus kam, weinte sie. Nicht etwa um Alphonse. Sondern weil der ihren Gewinn in Fusel umgesetzt hatte.

«Dieser verdammte Suchthaufen! Und wo ist jetzt mein Anteil!», schrie sie an der kleinen Gedenkfeier in Omas Salon, als Onkel Alphonse stark veräschert aus Frankreich eintraf und alle um das Rauchtischlein mit der tönernen Urne standen. «Willst einen Schluck Enzian?», hielt ihr Gertrude kichernd das Glas hin. Und Paolo, der sizilianische Galan unserer Oma, schmachtete Mutter mit seinen schwarzen Augen an: «Meine Sucht sind reife Frauen!» Daraufhin hat sie wieder drei Tage auf ihre Kissen eingehämmert.

Der Bub, in seiner rosigen Art, saugte all dies stumm in sich hinein. Und ein Psychiater deutete es später, als der junge Mann bei ihm auf der Couch respektive im Bett lag: «ES WAR DIE BESTE PROPHYLAXE GEGEN JEDE ART VON SUCHTGEFAHR... SEI DEINER FAMILIE IMMER DANKBAR, MEIN KLEINER SCHNUGGELBÄR!»

Das mit den gierigen Augen vor Konditoreien habe ich ihm natürlich verschwiegen. Wegen eines Erdbeertörtchens ist noch keiner zu Tode oder um sein Vermögen gekommen. ABER DIE SUCHT STECKT IN DEN FAMILIENGENEN.

SO. UND NUN ZUM KIFFEN.

Gebildete Menschen wissen, dass das Wort aus dem arabischen «kaif» abgeleitet wurde. «Kaif» bedeutet Wohlbefinden. Wobei Mediziner in neusten Studien nachweisen, dass zu viel Wohlbefinden mit den Jahren eine «weiche Birne» macht: Persönlichkeitsveränderungen. Depressionen. Und die Unfähigkeit, mit dem Grau dieser Welt einigermassen hell zurande zu kommen. Deshalb redet man auch von einer «bekifften» Situation - vorwiegend in der Politik. Dort stecken die meisten Kiffer. Und die bereits im Endstadium - also in dieser Gangart, wo man bereits auf einem andern Planeten abgehoben und mit dem Irdischen dieser traurigen Welt nichts mehr zu tun hat.

Ich wuchs in einer Zeit auf, da in Basel die lustige Frage «HESCH HASCH, HÖSCH?» mehr als ein Fasnachtssujet, sondern fast schon das Credo zum Tag war.

SELBST IN UNSERN KLASSENZIMMERN DUFTETE ES IMMER PENETRANT SÜSSLICH NACH WEIBLICHEM HANF. Und ganz ein wenig noch nach Mutters Chanel 5, das ich vor dem Frühstück unter die Arme sprühte. Dennoch: Während die Klasse sich vor den Lateinarbeiten mit einem Jointlein zudröhnte, waren es bei mir die bereits erwähnten Erdbeertörtchen, dank denen ich Ovid problemlos übersetzen konnte.

Immer wieder wollte man mich mit lustigen Kalauern verführen: «Hasch doch - du bist der Frühling!» ABER ICH BLIEB WINTERHART!

BIS VOR EINER WOCHE.

Es war in Rom. Ich sah einen dieser Amsterdamer-Läden, wo sie alles Hanfbare ab Supermarktregal verkaufen. Und da war auch eine Büchse mit Hasch-Cookies. In mir loderte ein Hüngerchen. Und ich legte die nötigen 10 Euro für Stoff hin. Zwischen Piazza del Popolo und der Schreibmaschine auf Mussolinis Hand-Hoch-Platz habe ich sämtliche gespeedete Plätzchen verdrückt. Jetzt wartete ich auf die Engelchen, die mich ins Nirwana abführen würden.

ICH WARTETE UMSONST. NULL WIRKUNG. DER KIFF HASCHTE EINFACH AN MIR VORBEI!

Ich bleibe bei den Törtchen.

Dienstag, 28. Mai 2019