Innocent schreibt.
Er hockt an seinem kleinen Pult. Kaut an der Unterlippe. Und legt dann wieder ein paar Sätze hin.
Irgendwie rührt es mich an.
WER SCHREIBT HEUTE NOCH?
Und vor allem: Wer benutzt noch eine Füllfeder?
Er tut es.
Er taucht den Füller in ein gläsernes Tintenfässchen. Und saugt die schwarze Flüssigkeit durch die kleine, goldene Schaufel aus einem Glas fässchen auf.
ICH FINDE DAS JA SO ETWAS VON SKURRIL.
Aber auch lieb.
Unsere Annick bekommt dann allerdings Vögel, weil der Alte immer mit dem Füller die Pochetten-Tasche seines Kittels tintig vollpinkelt.
So gefühlt kommt das Schreiben mit Tinte etwas teurer: nach jedem dritten Brief auch eine chemische Reinigung! DAS IST DER PREIS FÜR EXKLUSIVITÄT! STIL KOSTET!
Aber der Füller-Fullshit ist nicht das Thema zum Tag. Sondern die Post, die mal gepostet hat: «WOTSCH E BRIEF, SO SCHRYB E BRIEF». (oder war das die alte Elco, bevor sie handelsregisterlich gelöscht wurde?)
Jedenfalls mailt uns heute die Elektronik:
«Wotsch e LIKE, so gib e LIKE!»
Oder: Daumen hoch!
Dann steigt er auch beim andern.
Allerdings: EIN DAUMENHOCH KANN NIE DASSELBE GLÜCKSGEFÜHL VERMITTELN, WIE EIN HAND GESCHRIEBENER BRIEF MIT: «ICH LIEBE DICH!»
Dies in Schönschrift. Und mit Tinte.
Der Briefträger schwingt sich auf sein Velo. Wedelt mit dem Couvert. Und flüstert verschwörerisch: «Das ist jetzt schon der dritte in diesem Monat!»
Neben so viel Emotionen macht sich ein «Däumchen hoch» im Internet wirklich läppisch aus.
So, als hätte ein Floh ins All gefurzt.
In meiner Bubenzeit waren Poesie-Alben die «likes» von heute.
Zumeist tanzten glänzende Zwerge mit Marienkäfern darin herum. Und daneben stand tintig:
«Mach es wie die Sonnenuhr Zähl die heitren Stunden nur!»
Dein Klassenfreund: Hampe Hammel.
(Na ja - nicht nur tintig. Der Spruch war für einen Knaben wohl auch tuntig).
Erstaunlicherweise hatten nur Mädchen solche Poesie-Alben.
UND DANN EBEN NOCH DIESER HAMPE HAMMEL!
Wenn ich meine Burschen-Freunde in der gymnasialen Oberstufe anmachte: «Könntest du mir etwas Nettes reintun?!», bummerte bei denen doch gleich der Gong: «Ja spinnst du denn - ich schreibe nicht in so eine verkitschte Weiberbibel? Bist du so etwas wie eine verdammte Tucke?!»
Ja. War ich. Bin ich.
Aber immerhin brachte die Tucke ihren Kollegen selbst gebackenen Mamorkuchen in den Unterricht. Sie verarztete ihre aufgerissenen Knies beim Fussball-Turnier. Und sie schrieb diesen pubertierenden Wichsern die ersten Liebesbriefe an deren Tanzstunden-Weiber: WOHLGEFORMTE SÄTZE IN TINTE.
Die sturen Machos hatten doch ausser «Hallo Biene!» sonst nichts drauf. Also waren sie auf m e i n e n Erguss angewiesen.
Und hatte ich weiss Gott das Recht, meine Klassen-Männer (und das ist nicht mit Klasse Männer zu verwechseln!) weichzuklopfen: «Wann machst du es mir endlich!»
Weil ich sie mit Pausen- Kuchen-Entzug erpresste, kam dann so etwas Handgekratztes wie:
«Benimm dich nicht wie eine Glucke...
SEI EINFACH UNSRE DOOFE TUCKE!»
Dazu «Brigitte Bardot» mit oben sehr viel, aber fast gar nichts.
Das fleischige Viel mit schier Nichts drüber kam verschnitten aus dem BRAVO. Dies alles so unsauber in mein Album geklebt, dass auch die nächsten drei Seiten mitliefen...
ABER HALLO!
Ich habe das aufbewahrt!
Unterzeichnet ist der Eintrag nämlich von Felix Abächerli.
Heute ist Abächerli ein berühmter Psychiater, der sowohl im In- wie Ausland mit seiner Publikation «SENSIBILITÄT IST DER SCHLÜSSEL ZU JEDEM HERZEN» gross Furore macht.
DAMALS HAT ER MIR DIE BARDOT GEKLEBT.
UND DANN UNTER DIESE AUCH NOCH DIESEN UN FLÄTIGEN SPRUCH MIT KUGELSCHREIBER HIN GEKRITZELT!
Am letzten Klassenhock kam er von einer Vortragsreihe aus New York angeflogen.
Und was steckte in seiner Pochetten-Tasche: ein funkelnder Füller!
Ich nahm Abächerli mütterlich auf die Seite: «Aha - füllerst Du jetzt auch? Und dann noch mit einem Mont-Blanc...»
Er grinste stolz: «Hast du das Label erkannt...?»
Ich gab den guten Tipp der nicht intellektuellen Hausfrau: »Pass auf, dass er nicht rinnt... das gibt böse Flecken!»
Der Psychiater schaut mich entsetzt an. «Aber was denkst Du denn - den benutze ich nie! Der ist tintenleer. Nur Label-Staffage, damit einer weiss, mit wem er es zu tun hat...»
Leider ist mir keine saubere DAUMEN-NACH-UNTEN- Entgegnung eingefallen. Deshalb verbal direkt und knapp: «Du bist noch immer derselbe Arsch wie früher!»
P.S.: INNOCENT SCHREIBT ÜBRIGENS NICHT MIT MONT BLANC - SONDERN MIT SEINER URALTEN PELIKAN, DIE ER VOR 70 JAHREN ZUR KONFIRMATION GESCHENKT BEKOMMEN HAT!
Ich glaube dafür darf man ihm schon ein «Daumen hoch» drücken...
UND DER «CHEMISCH REINIGUNG» AUCH.