Von wildem Spargel und Fingerfood

Illustration: Rebekka Heeb

Jedes Jahr dasselbe Theater! Innocent: «Spargeln schiebt man sich nicht von Hand rein!» - «Aha - und weshalb servieren Spitzenrestaurants Fingerbowls neben dem Teller?!»

Er schaut genervt von der Mayo hoch: «Das ist so ein neu modischer Brunz. Ich habe dir immer gesagt: W I R BRAUCHEN KEINE FINGER BOWLS. WIR SIND KEINE ARABER. UND ESSEN NICHT MIT DEN PFOTEN!» Ich beschimpfe ihn als alten Rassisten. Er mich als Kultursau. So kann beim Spargel keine Freude aufkommen.

Vermutlich stecken in mir tatsächlich arabische Gene. Jedenfalls nehme ich auch frittierte Pouletschenkel in die Finger. Und knabbere das Fleisch vom Knochen. Das ist vielleicht nicht edel. Aber lustbetont. Ich tue dasselbe auch mit Koteletteknochen.

Innocent schüttelt sich jeweils genervt. Und ich schmatze genüsslich über dem Teller: «Die Kembserweg-Omi hat immer gesagt: Alles, was fliegt, darf man von Hand abnagen» - Innocent: «Hier fliegt nichts mehr. Das Huhn ist tot. Und die Sau nie geflogen...»

Es kommt zur heissen Diskussion: «...du isst die Chips ja auch nicht mit der Gabel. Und die Erdnüsschen hooverst du aus vollen Händen rein !» Er sagt das, was er immer sagt, wenn er nicht mehr weiterweiss: «Das ist doch etwas ganz andere...!»

Zurück zum Spargel. Er ist jetzt wieder in aller Munde. Ich liebe ihn. Ich stürze mich drauf. Nicht auf die dicken. Obwohl die ja am meisten gefragt sind. Aber Connaisseurs wissen: Die dünnen haben mehr Aroma. Die dicken sind wässriger - das ist nicht nur beim Spargel so: Rosenkohl... Rüebli... Äpfel... - in den Kleinen steckt das Grosse! Gourmettechnisch betrachtet.

Ich habe zwei Kisten mit weissen, badischen Spargeln auf die Insel mitgeschleppt. Die kennt man hier nicht. Nur grüne. Also habe ich unserm Gärtner Gianni mit seiner Frau Graziella eine Freude machen wollen. Und sie zu diesem extravaganten Essen eingeladen. Dies auch, um ihnen vor Augen zu führen: Es gibt nicht nur die Grünen. Und das war hier jetzt weissgott nicht politisch gemeint.

Das Ehepaar sitzt etwas ratlos vor der Platte mit den dampfenden, bleichen Stängeln. Sie fallen mir in den Rücken und essen die Dinger mit Besteck. Allerdings: nur zwei Spärgelchen. Dann gehen sie sofort zum Schinken über: «Scusa - aber die sind zu heiss. Und es ist nicht dasselbe wie unsere grünen Asparagi».

Innocent: «Ich habe dir gesagt, es ist eine Schnapsidee... DIE ESSEN DOCH NUR, WAS SIE KENNEN!»

Wo er recht hat, hat er recht. Die Italiener essen alles handwarm. Heiss dürfen nur die Frauen sein. Oder ein roter Ferrari. Aber nicht das Essen. Das ist meistens so lau wie eine stündige Leiche.

Am Tag nach der grossen Einladung bringt Gianni einen kleinen Bund feinster Spargeln vorbei. Sie sind grün. Sie sind dünner als Strumpfstricknadeln. Und sie sehen aus wie ein Bündel Stroh, in das die heilige Mutter den Kleinen gelegt hat.

«Asparagi selvatici sagt Gianni stolzt: «...er wächst in den Wiesen. Wir sammeln ihn. Man kann ihn mitunter auch kaufen - die alten Weiber vom Ort verschachern ihn stinkteuer!» - «SO ETWAS ESSEN WIR NICHT!», bellt Innocent elektrisiert. «Stinkteuer» hat ihm noch nie geschmeckt.

Ich habe den Spargel dann gekocht. Und er war göttlich. Innocent rollte ihn wie Spaghettini auf der Gabel auf. Ich: von Hand in den Mund!

Am andern Tag habe ich Gianni gelöchert: «Wo hast du ihn gefunden?» Er grinst: «Auf eurer oberen Wiese beim Wald. Es ist eine mühselige Arbeit, ihn zu suchen, zu zupfen - und dann zu säubern. Im übrigen muss man aufpassen - es wachsen auch die giftigen Euphorbia-Stängel dort. Und ungeniessbarer Hanf...» Ich nichts wie los auf die Wiese.

Immerhin kam ich mit einem Körbchen voll von Wildspargel und drei Hanfstängeln zurück - allerdings habe ich zwei Stunden lang gesucht. Mich gebückt. Und mir die Krätze an die Beine geholt. Es hat nämlich auch viele Grasmilben dort.

Stolz präsentierte ich die Aus lese Gianni. Der: «Niente alles giftig das kann man nicht essen. Höchstens wenn man jemanden ins Jenseits befördern will...»

Für einen kurzen Moment dachte ich an Liesel aus Salzburg. Dann zuckte ich enttäuscht die Schultern: «Na dann...» Und Gianni nahm das Körbchen, um es auf dem Giftmüll zu entsorgen.

Abends war mir um Pizza. Orlando zieht die besten aus dem Ofen. Er feuert noch mit Eichen- und Buchenscheiten. Für ein hochhitziges Pizza- Feuer braucht es nämlich das härteste Holz. Und da Orlando mit seinen Preisen anständig ist, hat er auch die Sympathien von Innocent. Deshalb «Okay - gehen wir Pizza essen!» Auf dem Weg zu Orlando wollte ich noch kurz auf dem Mercato einkaufen. Mitten im Getümmel sass eine Alte auf einem Klappsessel. Vor ihr lag wilder Spargel. Die Alte war Graziella. Und der Spargel m e i n e r.

Sie wurde rot wie meine Erdbeeren im Korb: «Ähhh - die habe ich auf der Wiese geholt!»

Sie hat gar nichts. Ich erkannte jeden meiner «giftigen» Stängel wieder. Orlandos Pizza war dann einmal mehr ein Gedicht.

Innocent: mit Gabel.

Ich: von Hand.

Dienstag, 14. Mai 2019