Von einer Omelette und keiner goldenen Hochzeitsfeier

Illustration: Rebekka Heeb

Es war vor 50 Jahren. Und alles war anders.

ICH MEINE: KEINE INTERNET-PORTALE FÜR ONE-NIGHT-STANDS keine SMS- Möglichkeit: «Habe sturmfrei und den Drang.»

Da gab es für Hetis lediglich den «Thé Dansant». Und wer die Sache heisser serviert haben wollte, besuchte die Piano-Bar mit den Damen auf dem Barhocker.

Für Mann-mit-Mann-Kundschaft hatte die Stadt zahlreiche Clubs und Bars anzubieten. Meistens waren diese übervoll - und die Preise (wie auch in den Piano-Bars) an der Decke.

Ich war 22 (noch nicht ganz). Hatte Notizen zu einer Muba-Reportage in der Handtasche. Beides waren typische Zeitzeichen der damaligen Jahre: Männerhandtasche. Und Muba, die Mutter aller Messen. Heute sind beide tot. EHRET DIE ASCHE!

Der Bericht zum Thema «Weshalb braucht jede Frau einen elektrischen Rahm besen?» musste bis zehn Uhr abends auf der Redaktion sein. Also genügend Zeit, um bei THERES an der Webergasse noch eine Cola reinzu zwitschern und drei harte Eier vom Ständer runterzuwürgen. (Es war wieder mal die Eierkur angesagt!)

Im rauchigen Lokal sah ich ihn sofort: mager. Gross. Mit Haaren, als wäre er eben aus dem Tumbler gestiegen. Er trug eine braune, etwas übergrosse Brille, deren Gläser wohl noch das Ende des Grossen Krieges gesehen hatten.

Ich setzte mich neben ihn. Schälte die Eier. Und er grinste: «Gleich drei? - Die stopfen doch»

Diese Bemerkung war nicht das Gelbe vom Ei. Und vor allem war sie nicht geistreich genug, um den schönen, jungen Mann mit seiner hippen Handtasche heisszumachen.

Deshalb erwiderte der ziemlich knapp: «Ich stecke in einer Eierkur also, zieh Leine! Drei genügen mir.»

Dann fragte der Mann die Barfrau etwas, was schon damals alle Alarmglocken in mir hätte bimmeln lassen sollen: «Was kostet so ein hartes Ei?»

Theres schickte dem hageren Mann einen vollfetten Blick zu: «Zwei fünfzig - willst du auch eins? Du siehst aus, als könntest du etwas Hartes gebrauchen» (Nun ja - der Bar-Slogan der 60er-Jahre!)

«ZWEI FÜNFZIG - DAS IST WUCHER! BEZAHLEN!» - Die Augen des Mannes funkelten zornig hinter den seltsamen Brillengläsern. Er nahm mich am Arm: «Komm mit - ich brate dir zu Hause eine Omelette mit sechs Eiern! Das kommt billiger als das harte hier!»

Ich war leicht verführbar. Die erste Liebe war bachab gegangen. Die zweite Liebe hatte mir den Laufpass gegeben (es war mehr seine Mutter) - ich hatte niemanden. Nur die harten Eier.

Deshalb: «Ich komme mit - aber mach dir keine Hoffnungen. Du bist nicht mein Fall » Später habe ich diesen spontanen Entschluss immer wieder zu analysieren versucht - die banale Erklärung war: ICH HATTE EINFACH SAUMÄSSIG HUNGER!

Wir fuhren mit dem Tram. Heute würde man so etwas als «umweltfreundlich» propagieren. Aber der Eier-Mann deutschte es klipp und klar aus: «Für ein Taxi fehlt das Geld!»

NA DANKE - EINE VERARMTE BRILLENSCHLANGE! IN WAS WAR ICH DA WIEDER REIN GERATEN?

Von der Tramstation liefen wir durch eine Allee. Und kamen in einen grossen Park. An der Türe zu seiner Hochhauswohnung stand: «Herr Innocent - Dr. jur.»

NA IMMERHIN.

Ich war schon damals ein Snob. Und ein Doktortitel brezelte die Omelette doch etwas auf. Die Wohnung war hell. Und das Mobiliar von dieser Art, die man unter dem Begriff «minimale Linie» nur für einen maximalen Preis bekam: alles eckig. Alles weiss: die totale Askese in geometrischer Kargform.

DA GAB ES KEIN EINZIGES PORZELLANELEFÄNTCHEN (VON GARTENZWERGEN GANZ ZU SCHWEIGEN).

An den Wänden hingen seltsame Gemälde mit Kreisen und wildem Strich.

«Wir haben zu Hause Rosen bilder», sagte ich. Nur um etwas zu sagen.

Da war er auch schon in der Küche. Vermixte die Eier. Gab Mehl und Gewürze hinzu. Und schüttete einen Schuss Bier in den Teig.

Er schnitt Toastbrot in kleine Würfel. Röstete sie in heisser Butter braun. Und schnipselte einen Bund Schnittlauch darüber.

Dann gab er den Teig in die Pfanne - ES WURDE DIE BESTE OMELETTE MEINES LEBENS. UND NICHT NUR WEIL ICH KOHLDAMPF HATTE.

Er machte mir drei Mal die Omelette an jenem Abend.

DAS RESULTAT: KEIN MUBA-BERICHT IN DER ZEITUNG. DAFÜR EIN HALBES JAHRHUNDERT EIERTANZ!

Vor 50 Jahren hat also alles angefangen. Hätten wir heiraten können, wären wir jetzt in den Grossratssaal zur Ehrung eingeladen worden. Und bekämen einen Schluck Hochzeitsfusel.

So aber bleibts ganz einfach bei seiner Sechs-Eier-Omelette zur Feier des Tages. Sie ist immer noch die beste.

Er auch.

Dienstag, 7. Mai 2019