Vom Besuch bei Greta und von Rosette

Illustration: Rebekka Heeb

Greta hat sich angesagt. Die Zeitungen waren voll davon. Die Medien kriegten sich nicht mehr ein. Das Internet brach zusammen.

Zuerst war das Mädchen im Vatikan. Dann bei Frau Elisabetta im Senat. Die Präsidentin knickste vor ihr. Und nannte Greta ein Vorbild für die Menschheit.

GRETA NAHM ES GELASSEN: «Alle gratulieren mir. Es gibt nichts zu gratulieren. Wir haben überhaupt noch nichts erreicht!»

DANKE FÜRS GESPRÄCH.

Da ich eh in Rom zu tun hatte und meine friedliche Insel, wo der Käfer unsere ungespritzten Palmen höchst umweltunfreundlich dahinrafft, schweren Herzens verliess, wollte ich die Ge legenheit nutzen. Ich wollte mir das gezopfte Kind mal näher anschauen. ALLE WOLLEN GRETA SEHEN.

Angesagt waren 30000 Kinder, welche ihren Freitags-Umwelt-Schulstreik auf die Piazza del Popolo verlegen würden. Die Strassen wurden gross abgesperrt. Die Polizei war auf den Beinen. Und man hatte auch die «Freiwilligen» aufgeboten. Es sind zum grossen Teil alte Männer, die noch den Krieg erlebt hatten und grün-weisse Westen mit der Aufschrift «Brauchen Sie Hilfe?» trugen. Dies in 17 Sprachen. Doch keiner von ihnen wusste Genaues. Viele vermuteten, GRETA sei Mutter Teresa in Jungform. Und werde hier heiliggesprochen.

EIGENTLICH HABE ICH ES NICHT SO MIT DEMOS UND MASSEN. Mir genügen die Horden von Chinesen, die zurzeit in Rom einbrechen. Und in kriegerischen Einkaufstruppen an meinem Palazzo vorbei marschieren.

Die kleinen Menschen stehen dann beim Gucci-Geschäft Schlange. Hier werden sie von einem chinesischen Verkäufer ins Paradies geschleust. Und kommen mit Taschen bergen, die grösser sind als der grösste Bodenturner ihres Landes, wieder heraus.

Zum ersten Mal erspäht man ein Lächeln auf ihren Lippen - es ist die Freude, dieses Original in Händen zu tragen, welches das Land in Millionenauflagen kopiert. Vorbei ist die Zeit, als die Kembserweg-Omi sagen musste: «Kind - für eine Schüssel Reis am Tag geht für jeden Chinesen die Sonne auf!» - Heute: Gucci-Taschen.

«Ich geh dann mal die Greta schauen», gab ich Innocent übers Natel durch. Der bellte höchst unan-, aber aufgebracht retour: «Du hast doch einen an der Rübe. Vergiss diesen Menschenauflauf - aber nicht meine Rosette.»

ROSETTE SIND RÖMISCHE «BRÖTCHEN». Eigentlich ist es nur Brothaut in einer rosenähnlichen Form. Innen ist das Brötchen hohl.

Aber Innocent steht auf diesen Hohlkörper. Er glaubt, der mache nicht dick. Und deshalb seien Italiener immer so schlank. (Ich weiss, weshalb die Italiener so schlank sind, möchte mich aber hier nicht dazu äussern, sonst bekommen die Herren Schäublins dieser Welt wieder wüste Fantasien und den Herzklopfer.)

ZU GRETA!

Ich finde es grossartig, was dieser kleine Rockstar der Umwelt schon alles auf die Beine und vor die Kameras gebracht hat: George Clooney hat ihr den Espresso gedrückt und versprochen, es sei die letzte umweltunfreundliche Kapsel gewesen. Minister, von links bis recht, von grün bis braun, liessen sich mit ihr für ein Selfie ablichten - der Papst betet für das Wunderkind.

Und auf den Sommerplakaten der Modefirma Oviesse tragen die Teenie-Mannequins bereits Gretas Zöpfe, an denen schon Peter, der Ziegenhirt, beim Heidi gezogen hat. So darf man als Schweizer gerne fragen: IST GRETA DAS HEIDI VON HEUTE - ein Naturkind, das es weit über Frankfurt hinaus geschafft hat ?

Ich mache mich also auf einen Riesenrummel gefasst - aber auf der Piazza del Popolo stehen weniger Leute als damals, als Berlusconi den Italienern mit faschistischem Brimborium das Heil des Landes versprach. Und dazu Verdi-Ouvertüren aus den Verstärkern schmettern liess.

ETWAS RATLOS SCHAUE ICH MICH UM. Auf einem Podium stellt sich eine Frau aus Mailand vor. Sie sei hier, weil sie die Welt aufrütteln wolle. Sie schickt den ganzen Kapitalismus, der für alles Miese verantwortlich ist, zur Hölle. So etwas ist immer ein sicherer Applauswert - wie der X-Fuss-Schritt von Charlie Chaplin.

Ich frage nun einen der tausend Polizisten; wo denn das Publikum sei die Schüler die Kinder und vor allem: «WO IST GRETA?» Der Polizist schiebt mich auf die Seite: «Welche Greta? Welche Kinder? - Es ist Karfreitag. Schulfrei. Sonne. DIE SIND ALLE ANS MEER »

Greta lässt bereits eine Stunde auf sich warten.

NUR DIE CALLAS HAT SICH SO ETWAS IN ROM BEI DER «NORMA» ERLAUBT

Endlich ist Leben in der Bude. Greta kommt. Spricht nur drei Minuten - aber mit einem wunderbaren Englisch. Dieses Englisch hat die Kleine vielen Politikern gross voraus.

Am Abend erfahre ich im Netz, dass über 30000 Menschen Greta in Rom zugejubelt hätten. Typisch italienische Fake-News. Oder ich war an der falschen Veranstaltung? 4000 Leute (davon 3000 Polizei und Helfer) wäre immer noch üppig gerechnet (inklusive aller Partei-Aktivisten, die für die Europawahlen die Trommel rührten).

Dienstag, 30. April 2019