Vom Abschied in Wien und leisem Servus

Illustration: Rebekka Heeb

«Oh, du mei wampertes Wurschtrl » Jana kriegt sich nicht mehr ein. Ich mich auch nicht. Wir hängen aneinander wie zwei rostige S-Haken. Und Innocent scharrt leicht pikiert mit den Turnschuhen. Früher hat er nur Golfer getragen. Englische. Ich will ja nicht meckern.

DAS ALTER GEHT UNS ALLEN IN DIE BEINE. AUCH IN DIE FÜSSE.

Aber ganz sicher nicht kalt am Arsch vorbei. Wo steckten wir? Ach ja - im Hausgang. Jana ist also aufgelöst wie eine alte Brause tablette ohne Explosions- kraft. Ihre Füsse stecken übrigens in diesen grässlichen rosa Pantoffeln mit dem fluffigen Boafedern über dem Rist: «OH MAI SÜASSES RUMKUGRL jetzt gehst weggy, ohne dass mer jeh gschnatzelt hom zammi »

Die Gute möchte sagen: «Du schöner dicker Süsskugelmann - jetzt verlässt du mich, ohne dass zwischen uns beiden auch nur ein einziges Mal so etwas wie ein Geschlechtsverkehr über die Matratze gegangen wäre »

Na ja: SO IN ETWA.

Vor drei Jahre bin ich nach Wien gekommen. Drei Jahre lang habe ich die Auslagen der zartrosigen Kaffeekette Aida aufgemischt. Habe an den «Würstelbuden» die «Käsekrainer» reingezogen. Und beim Sacher die sogenannte Torte runtergewürgt, obschon diese immer wüstensandtrocken und ohne drei Portionen Schlagobers kaum zu geniessen war.

Stundenlang bin ich im frisch frisierten Geschäft bei der Oper Schlange gestanden, um meinen Freunden im Heimatland diese elegante Holzkiste mit dem traditionellen Fladen drin verschicken zu lassen.

War die Reihe endlich an mir und zeigte ich die Liste mit den Adressen, rümpfte die Sacher-Sachverkäuferin die Schnute: «Können Sie die nicht übers Internet verschicken das geht einfacher!»

DA KANN ICH JA AUCH GLEICH MARMORKUCHEN BEI LIDL EINKAUFEN!

Es waren wunderbare Jahre in Wien. Ich kam, um ein Buch zu schreiben. DAS BUCH IST NIE FERTIG GEWORDEN.

Ganz einfach: weil ich mit der Tortenauslage von Aida nie fertig geworden bin. Schliesslich ist Innocent mit der Spätmaschine angeflogen. In der Wiener Wohnung reagierte er elektrisiert: « in diesem Eiskasten hat es nichts anderes als Mineralwasser. Und was heisst da still? Ich mag kein stilles Wasser »

ICH WEISS: ER MAG LAUTE KORKEN. BEI INNOCENT MUSS ES NOCH RICHTIG KRACHEN.

Meine Wiener Freunde haben nie begreifen können, dass ich beim Heurigen und dem gemütlichen Zither-Spiel der eingewanderten Balkan-Gruppen nur ein «stilles Wasser» bestellte.

Sie haben sich nach der knusprigen «Stelzen» mit tschechischem Sliwowitz, Marillenschnaps aus der Wachau oder dem Nussdorfer «Zwötschgen-Bussi» zugedröhnt.

ICH: WASSER.

Sie nennen es hier «Wischerlwosser». Weil «wischerln» heisst «brunzen».

SO VIEL HABE ICH DANN DOCH DAZUGELERNT.

Ich führe Innocent nun in die Rumpelkammer, wo sich die Manuskripte meines Buches stapeln.

Daneben stapeln sich auch Schnapsflaschen: «Habe ich alle geschenkt bekommen die denken, ein Schreiber säuft nie hätte einer auch nur eine Blume gebracht! Dies in der Stadt des Rosenkavaliers !»

Jetzt gehen Innocent die Augen über. Das Herz tanzt im Dreivierteltakt. Und schon zupft er dem ersten Grünen Veltliner den Zapfen aus dem Hals: «Wir gehen nicht heim, bevor die alle weggesoffen sind, Pumperl »

Nach dem vierten Glas umarmte er auch Janas Plüschhaserl. Und wir blieben weitere fünf Tage.

JETZT ABER: NUR NOCH LEERE FLASCHEN.

«Wir werdens euch vermissen », hat Gernot, der Saison pianist im Café Weimar gestern geflüstert. Er war immer wieder fasziniert von meiner Art der Eier.

Ich habe die «Weicheier im Glas» jeden Morgen mit einem Kaffeelöffel voll Süsssenf angerührt. Stark gepfeffert (Mühle). Und dann alles auf ein Stück Steirische Buchtel gepappt. Dazu einen Schlirgg Marillenkonfitüre aus der Wachau.

HALLO LEUTE! DA KÖNNEN ALLE MICHELIN-STERNE ZUM MOND TANZEN.

Gernot spielt mir «Sag zum Abschied leise Servus »

UND ICH FLENNE DIE BUCHTELN WEICH.

Ich drücke seine schlanke Hand und schiebe einen Euroschein hinein. Er macht einen Diener. Und weint auch. Vielleicht, weil der Schein zu mager war. Nun snifft er: «Verzaahhns, der schöne Herr Baseler ober wos hatts Ihnen denn in Wien am scheensten gfolln?»

Ich glaube es war die Freundlichkeit - dieses Unzänkische, Unverbitterte. Und eben solche Herzlichkeiten hat mein Vater stets genervt in den Keller geschickt: «Jetzt hör aber auf - diese Austria-Lederärsche sind doch total überzuckert.»

Mag sein. Aber: Ich mag diesen Zucker. Und ich mag es auch, wenn die Menschen ihrem Gegenüber herzlich und freundlich entgegentreten. Abgelöschte Sauergurken bekomme ich im kühlen Schweizerland noch lange genug vorgesetzt.

Wir sitzen im Auto. B.A.S.E.L. - gebe ich in den Navigator ein. Aus dem Radio walzert es. Ich schnäuze mit. Innocent streckt mir ein Nougat-Ei entgegen: «NA NA NA - wer wird denn da hier hast du Süsses!» Ich stelle den Scheibenwischer an. Dabei regnet es gar nicht.

Dienstag, 16. April 2019