Von Hugo hinter Gittern und Nierenwärmern

Illustration: Rebekka Heeb

Die Narzissen blühen. Die Eier sind hart. Und Ostern hoppelt an. Immer zu dieser sonnigen Zeit muss ich an Hugo denken.

Hugo war mein Hasi. Na ja - Hasi ist nett gesagt. Er war ein rechter Feger. Und Onkel Alphonse stolz auf ihn: «Echte deutsche Rasse - bringt zehn Kilos auf den Arsch! Es gab einmal die dicke Berta - die hatte noch mehr drauf!»

Onkel Alphonse züchtete Kaninchen. Dies für den Pfannengebrauch. Hinter der Basler Grenze zum Elsass - also auf französischem Boden, gleich am Rande eines Kieswerks - pflegte er seinen Schrebergarten. Man sagte damals so. Man sagte damals auch Schwuchtel. Mohrenkopf. Und Indianer.

Aber heute sind die Menschen sensibler geworden - und das ist gut so. Herr Schreber war NÄMLICH ein richtiger Driller aus der Nazi-Zeit. Also wurde sein Name deutsch-gründlich gesäubert. Und es heisst jetzt «Pflanzland-Oasen» statt «Schreber-Gärten». MIR AUCH RECHT!

Aber es geht um Hugo - den Deutschen mit dem edlen Stammbaum. Und der wundervollen Begattungsgabe. Wenn Hugo stieg, war das jedes Mal ein Volltreffer. Seine Auserkorene wurde hops, noch bevor sie die Rübe vernascht hatte So einer war mir ans Herz gewachsen. Weniger wegen der Besteigerei. Denn die hatte ich damals noch nicht begriffen. «Was tut der Hugo da! - Er klettert auf Imelda!» - «Das tun Hasen eben so » - «Aber er tut Imelda weh - sie schliesst die Augen!» - «FRAG DIE MAMMA!»

Man konnte mit Onkel Alphonse über Schnapssorten reden. Aber nicht über das da. Aufklärung war nicht sein Ding.

Ich blieb punkto Hasen unwissend, bis mir Hans-Otto dann in seiner Baumhütte anschaulich zeigte, was Sache ist. Er war Hugo. Ich Imelda. JETZT WAR ALLES KLAR. Ich liebte also Hugo. Mit Hühnern konnte ichs nicht so. Alphonse hühnerte nämlich auch. Doch die Vögel hatten immer diesen eisigen Blick drauf. Und schlossen die Augen von unten. IRRITIEREND.

Manchmal legte Alphonse also eine Henne auf einen Holzstamm. Er schlug ihr vor mir den Kopf ab. ICH KANN NICHT BEHAUPTEN, DASS ES MICH PSYCHISCH GESCHÄDIGT HÄTTE. Ich esse auch heute noch Backhähnchen ohne innerliches Weinen.

ABER DIE ALTEN BAUTEN EINE RIESENOPER AUS ALPHONSES SCHLÄCHTEREI: «Ja, hast du einen an der Waffel! MIT DER AXT! Doch nicht vor dem Kind!»

Der Bub schaute fasziniert dem Huhn nach, das im Garten kopflos noch eine Runde lief. Ich machte mir ansonsten nichts aus Gartenidylle. Alphonse wollte mich darauf heissmachen: «Es ist neben der Hochzeitsnacht mit deiner Grosstante das Schönste, was mir je passiert ist - Bubi!»

Das sah ich anders. Besonders als ich die Engerlinge aus dem Erdbeerbeet herauszupfen sollte. Es waren Riesenmaden, die sich mir anschmiegend entgegenwanden. ICH SCHRIE ZETERMORDIO!

Heute sind sie frittiert im Supercenter-Angebot.

ICH SCHREIE NOCH IMMER.

Zurück zu Hugo. «Schenkst du ihn mir?», löcherte ich Alphonse. «Solange er noch rammelt, ist er dein, Bubi!» - «Was heisst das - solange er noch rammelt?»

Onkel Alphonse bekam wieder eine belegte Zunge: «Also ähemmm solange er noch dafür sorgt, dass Imelda und die andern Mutti werden. Wenn das mal aus ist, kommt er in die Pfanne »

Ich bekam sofort rote Augen. Und meine Halsschlagader schwoll an - dick wie ein Seilbahnkabel: «Wenn du Hugo kochst, mache ich es mit dir, wie du mit deinen Hühnern - wir haben daheim auch eine Axt!»

Onkel Alphonse lachte laut: «Füll mir die Giesskannen mit Wasser. Dann gehört Hugo dir!»

Man könnte meinen, das sei ein guter Deal gewesen. Aber der Gartenbrunnen von Onkel Alphonse war grün veralgt. Es schwammen seltsame Dinge drin - Flöhe, die Beine spreizten. Und manchmal auch ein blasses Stück Gummi. Mein Vater, der Hugo punkto Rammlerei in nichts nachstand, benutzte das Gartenhaus als Liebeslaube.

MEHR WOLLT IHR GAR NICHT WISSEN!

Ich besuchte Hugo nun jeden Tag. Und freute mich an seiner deutsch-strammen Karnickel-Gesundheit. Ich brachte ihm Karotten. Und teilte mit ihm meine Bazooka-Kaugummi.

Hugo liebte den amerikanischen Chewinggum - die Rüben überliess die Karotte seinen Weibern. Man darf ruhig sagen: Hugo war der verwöhnte Gentleman unter den Hasen. George Clooney hinter Gittern quasi

Eines Tages war er verschwunden. Es war kurz vor Ostern: Die goldenen Blumen, die dem Fest den Namen geben, glockten fröhlich. Ich aber warf mich hysterisch vor Onkel Alphonse auf den Boden: «WO IST HUGO - DU HAST IHN GESCHLACHTET. ER KONNTE NICHT MEHR HOPPELN!»

Jetzt weinte auch Onkel Alphonse: «Das konnte er schon lange nicht mehr. Das passiert im Alter eben. Nein. Er ist an deinem Kaugummi erstickt, du Dumpfbirne!» Wir begruben ihn hinter den Erdbeeren. Tante Julie schimpfte wütend mit ihrem Gatten: «Der hätte doch einen wunderbaren Nierenwärmer gegeben »

Und deshalb muss ich zur Osterglockenzeit immer an Hugo denken. Er war nicht nur ein aufklärerischer Meilenstein in meiner Jugend - er brachte auch eine Frage mit, an deren Antwort ich heute noch kaue: WAS ZUM TEUFL IST EIN NIERENWÄRMER?

Dienstag, 2. April 2019