Rosige Zeiten

«FÜR MICH?»

Der Ausläufer der Blumenboutique Flora grinste sie an: «Jawolle Madame… schönes Rose für schönes Signora…»

Rosa war überrumpelt. Sie streckte dem jungen Mann einen Fünfliber hin. Dann zupfte sie das Kärtchen vom Papier: «DU BIST MEINE SONNE!» – las sie.

KEINE UNTERSCHRIFT.

KEIN GRUSS.

KEIN GARNICHTS!

Rosa seufzte. Erstens tat ihr das Kreuz weh. Das war mit 82 Jahren eben Alltag. Zweitens: Sie hatte noch nie eine Rose geschenkt bekommen.

Keiner wäre je auf die rosige Idee gekommen: «EINE ROSE FÜR ROSA.»

Bis jetzt.

Und das gab den dritten Seufzer: Gewiss war der anonyme Verehrer Herr Sütterli vom Parterre.

Der Alte (mindestens 70!) taxierte sie stets mit diesem schmachtenden Blick, den Dackel einem Zipfel Leberwurst zuwerfen.

«Er ist ein Wüstling», hatte Rosa die Sache ihrer Freundin Martha durchgegeben.

Martha: «Du träumst – was will der von so einer alten Schachtel wie dir…»

Daraufhin hatte Rosa eigeschnappt aufgehängt.

Und nun also die Rose. Feurig – in der Farbe des vergossenen Bluts Christi.

DOCH OHNE ABSENDER.

Sie rief bei «Flora» an.

Der Besitzer, Florian Floribundi, meldete sich mit einem tuntigen Auflachen: «Aber liebe Frau … Ihr Galan will anonym bleiben!»

«ANONYM?! – SAGEN SIE DIESEM VERSAUTEN SÜTTERLI, ER SOLLE SICH SEINE ROSE SONSTWOHIN STECKEN – GUTEN TAG!»

Florian Floribundi seufzte. Es war nicht immer leicht.

Tatsächlich hätte er dem jungen Auftraggeber einen bessern Geschmack zugetraut. Sein Ausläufer hatte ihm berichtet: «Freundin von Herrn Alioth ist runzelig wie Kuttelfleisch. Haut fleckig wie Kuh…!»

Sah so eine Geliebte aus, die einem Sonne brachte? Und der man nun täglich eine Rose schicken sollte?

Zzzzzz – etwas seltsame Gelüste bei diesem schönen Herrn Alioth!

Rosa hatte das Trinkgeld für den Ausläufer jetzt auf 50 Centimes runtergeschraubt. Und wenn ihr dieser Schleimsieder Sütterli im Hausgang begegnete, ignorierte sie ihn eisig.

SO LEICHT WAR EINE ROSA NICHT ZU HABEN!

Sie hatte ein zufriedenes, doch liebloses Leben gelebt.

Mit der Zeit hatte Rosa sich daran gewöhnt, dass das Leben sie nicht beachtete.

UND KEINE ROSEN SCHICKEN WÜRDE.

Bis jetzt!

Überall standen in der Wohnung nun Baccaras in Einmachgläsern herum. Manchmal verschenkte sie eine an Martha. Doch nur angewelkte. Die «alte Schachtel» nagte noch immer in ihr. Eines Tages tauchte Herr Alioth zitternd vor Wut im Laden von Florian Floribundi auf: «Es ist aus. Rosa Hammel bekommt keine Rosen mehr… sie hat mich mit einem andern betrogen! Und nie hätte sie auch nur ein Dankeswort für meinen Blumengruss gehabt.»

«Diese dumme Sau!», fluchte es in Florian Floribundi, «die ruiniert hier mein Geschäft!»

Dann lächelte er kundenfreundlich: «Weshalb Hammel? Sie heisst doch Hummel!»

Da war Herr Alioth aber auch schon weg.

Florian nistelte sich durch die Bestellzettel. Und wurde bleich: tatsächlich – Verwechslung! Der Auftrag hätte an Rosa Hammel gehen sollen. Und nicht an Rosa Hummel…

Omannomann!

Für Rosa wurde es jetzt wieder der lieblose Alltag.

«DU BIST MEINE SONNE» – war für immer erloschen.

Zurück blieben ein paar verstreute, dürre Rosenbätter.

Sie bewahrte sie in einer Schale.

Als Erinnerung an rosigere Zeiten – die allerdings ein Irrtum waren…

Freitag, 29. März 2019