Saure Welt

Mina war sauer.

ABER SO WAS VON…

Sie hatte auf dem Markt eingekauft. Man konnte hier noch zwei Karotten, eine Lauchstange und einen halben Sellerie bekommen. Das Gemüse wurde von Monsieur Runser liebevoll in ein verwelktes Blatt des Journal d’Alsace gewickelt.

Mina trug ihre Einkäufe vom Elsässer stets im alten Baumwoll-Beutel nach Hause. Auf dem Baumwollsack stand «I love Paris». Na ja, ein Souvenir.

Natürlich hätte Mina ihre kleine Gemüseportion näher einkaufen können. Im Center.

WOLLTE SIE ABER NICHT.

Für jede Lauchstange musste man da so ein seltsames Säcklein öffnen. Die Dinger waren verklebt wie die Augen frischgeborener Katzen.

Minutenlang hatte sie vor dem Fruchtstand versucht, das Dünne auseinanderzuknübeln. Sie hatte gerieben. Gezupft.

NICHTS!

Verzweifelt hatte sie nach einem Ein- und Ausgang des Sacks gesucht.

AUCH NICHTS.

Es blieb ein unappetitliches Etwas aus einem undefinierbaren Kunststoff – alles so eng zusammengepresst wie ein frischverliebtes Teenie-Paar.

Andere Kunden hatten Mina mittleidige Blicke zugeworfen: «Mannohmann! Mit denen geht gar nix…die sind so stur verklebt wie die Köpfe in unserer Politik.»

Kurz: Die Säckchen gingen Mina zünftig auf den Sack!

ES WAR KUNDENBEUTELUNG IM

SUPERCENTER.

Deshalb: ab zum Markt. Und zu den Karöttchen von Monsieur Runser. Die waren zudem, wonach heute jedes Herz schrie: b i o l o g i s c h.

Zwar beteten sie im «Center» das Halleluja auf BIO!

Aber Lauchstängel sahen da so stramm aus wie Soldaten einer Rekrutenschule.

MINA TRAUTE DIESER MILITANTEN ART VON BIO-DRESSUR NICHT!

Bei Bauer Runser war sie sich total sicher, dass selbst der Mann noch echt biologisch war: Da klebte die fette Elsässer Erde unter seinen Fingernägeln. Und die Karotte war krumm, wie die Geschäfte im Rathaus vis-à-vis.

Sicher düngte Monsieur Runser seine Erde hochgiftig. Aber er versprühte mit dem wirren Bart, der runzligen Rübe und den rissigen Händen eine Aura von reiner Natur. Und gesunder Ungepflegtheit. Mina hatte dann noch Äpfel gesehen. Kleine «Jonathan» aus dem Badischen. Und weil sie diese zu Mus verarbeiten wollte, liess sie sich vom Apfelmännchen gleich fünf Kilos abwiegen. Er kugelte sie in einen grossen Sack.

UND DIESER SACK WURDE JETZT ZUM ÄRGERNIS IM TRAM.

Mina wäre nämlich gerne gesessen. Aber die Sitze waren von einer Schulklasse besetzt. Die Kinder stierten auf ihre Handys. Und nicht auf Mina, die gerne gehockt wäre. Also klopfte sie einem der jungen Mädchen aufs Totenkopf-Tattoo im Nacken: «Ich bin alt. Ich bin wacklig. Ich möchte sitzen…»

Die Kleine schaute genervt auf. Schüttelte den Kopf. Und knurrte: «Die Alten haben unsere Welt kaputt gemacht!» Dann mit einem Kopfnicken zum Apfelsack: «D a s ist Plastik – ihr habt alle Meere damit zugemüllt! UND UNSEREN REGEN SAUER WERDEN LASSEN.»

Mina schaute schuldbewusst auf den Sack vom badischen Bauern.

Dann konterte sie eisig: «Dein schwarzer Nagellack ist auch nicht bio… dein Toten-Tattoo eine Zumutung für die lebendige Umwelt. Und stell gefälligst dein strahlenstreuendes Handy ab, wenn du die Welt retten willst!»

Sie blieb sechs Stationen lang stehen. UND WAR SAURER ALS DER REGEN, DER SIE JETZT DRAUSSEN ERWARTETE!

Freitag, 22. März 2019