Vom Trottinett in einer besseren Welt…

Illustration: Rebekka Heeb

Kürzlich bin ich unter ein Trottinett gekommen.

Autos sind nicht mehr gefährlich, seit jeder Rollator sie überholen kann. Die Obrigkeit hat sie an die Leine genommen. Und ein Mercedes-Fahrer führt seinen Schlitten nur noch Gassi.

DOCH MIT RUHE IST NIX!

Denn man lässt nun die Velofahrer auf die Welt los. Schlimmer: auf die Trottoirs, diese bis anhin geschützte Zone des Spaziergängers.

ZOFF VORPROGRAMMIERT.

Innocent ist unbarmherzig.

Er flucht mit fuchtelnden Krücken hinter den Rücken dieser vorbeisausenden Trottoir-Flitzer. Da er sie ohne Hörgerät nicht heransurren hört, baut er jedes Mal den Herzkasper, wenn sie an seinem grauen Schnauzer vorbeidüsen.

«Auf die Strasse, ihr Hurensöhne!», brüllt er hinter ihnen her.

Seine Contenance ist zur Sau.

Und seine schön gesprayte Frisur ebenso.

Sie schauen zurück. Zeigen ihm den Stinkefinger. Und lachen: «Ab in die Gruft,Opa!».

SOLLEN WIR FÜR SO EINE ZUKUNFT DEN ABFALL TRENNEN?

Und nun also: das Trottinett. Mit fünf t. Und 20 PS!

Als Kinder haben wir Trottinet nur mit vier t geschrieben. Aber jetzt hat es noch einen Zacken zugelegt. Und eben: das fünfte t.

Also – die Fahrerin, die mich da umgebrettert hat, war eine Seele von Mensch.

DA KANN ICH NICHT MECKERN.

Sie hat mich freundlich vom Boden aufgekratzt. Und dann drei Mal an ihren Helm geklopft: «Toi, toi, toi! Da haben wir ja nochmals Schwein gehabt!»

Ich glaube sie war erleichtert, dass an mir noch alles dran war. Auch ohne Helm.

Jedenfalls gab sie punkto Schmeichelei zünftig Gas: «So ein ‹Trotti› (nur 3 t) würde einem jugendlichen Mann wie Ihnen auch stehen. Ich stelle mir mal vor, wie elegant Sie vorbeisausen… mit wehendem Schal und flatterndem Loden… eine Speedy-Reinkarnation von Johannes Heesters!»

Zu Hause habe ich dann die aufgeschürften Knie mit Bepanthen balsamiert. Und Innocent die Sachlage geschildert: «Also es hat schon etwas für sich… man ist schnell… kurvt sich durch den Stau …und der Loden flattert, hat sie gesagt…»

«SO EINE SAU!», ruft er aus der Küche.

Natürlich hat er den Schluss wieder falsch verstanden. Aber ich belasse es dabei.

Die nette Flachbretterin hat mir eine Adresse auf eine Migros-Quittung aufgeschrieben: «Beim Trottinett-Toni bekommen Sie alles… er hat sogar solche mit Sitze…»

Ich dachte an meine Kinderzeit. Und die war auf einem andern Planeten.

Man bückte sich am Strassenrand vor Dolen. Versuchte glasige Marmeln in ein Löchlein zu schieben. Und schrie unentwegt: «Ainerli letscht …botte Lehmi!»

Weiss der Glugger, wie wunderbar gluggerglücklich junge Menschen damals waren.

Niemand versuchte, ihre Welt zu retten.

Die Alten hockten auf den Anlage-Bänkchen und pafften die Lindenblüten grau. Wir Kinder aber zockten verwegener als Gamble Joe am Roulette, das hier eben ein Dolenloch war.

Ich verlor zwar stets alle meine Einsätze. Und das von meiner Freundin Rosie in unzähligen Handarbeitsstunden gehäkelte «Gluggerseggli» war meistens schrumplig leer wie eine ausgelutschte Mettwursthaut.

Aber die Kembserweg-Omi kaufte Haferflocken von Knorr. Und in jedem Paket lagen drei Glugger von Knorrli als Zugabe verpackt.

Da die Omi mit ihren Zähnen Mühe hatte und nur noch Haferflockenbrei ohne grosses Prothesengeschaukel runterbekam, war sie eine Grossabnehmerin bei Knorrs Flockenparadies. Entsprechend war sie auch immer für ein paar englische Glas-Bötsch gut…

Für die Kinder mit betuchteren Eltern im Quartier gabs den Katalog von Wisa Gloria. Und noch immer weht mir der Werbesong im Ohr:

Wisa Gloooria

Nun sind sie alle daaa:

Hottehü und Trottinet

Kinderwagen, Ditti-Bett…

Ich habe meine Alten damals gelöchert, mir so ein Trottinet (mit 4 t) auf den Geburtstag zu schenken. Ich habe gefleht. Mich hämmernd auf den Boden geworfen. Gejault – kurz: das volle Paket.

Und da die Alten glücklich waren, dass ihr Junge nicht das «Ditti-Bett» ausgesucht hatte, und eh immer die beste Welt für das Kind wollten, haben sie einen Grosskredit aufgenommen. Und ein Trottinet gekauft. Ohne das Rauchen aufzugeben…

Nun konnte ich all diesen Stümpern, die mich aufforderten, mit ihnen auf der Wippe (die wir «Gygampfi» nannten) rauf und runter zu hopseln, den Stinkefinger zeigen.

Oder ich tippte an die Stirne, um ihnen klar zu machen, dass bei denen da oben etwas nicht stimmte.

WIPPE! OH MANN – ICH HATTE EIN T R O T T I N E T T.

ICH WAR ETWAS BESSERES!

Deshalb fuhr ich jetzt mit verächtlichem Blick an all den herumgluggernden Pinschern im Quartier vorbei – Kopf und Nase hoch. So ähnlich wie Direktor Blunzli in seinem polierten Mercedes am Milchmann vorbei düste.

Der Trottinett-Toni kommt aus Lecce. Heisst eigentlich «Antonio».

Aber er lebt als Dritt-Generatiönler der fleissigen Einwanderungsfamilien in der Schweiz. Die Leute rufen ihn «Toneli». Und er ist ganz zufrieden.

DARF ER AUCH SEIN.

Die Menschen rennen ihm wegen seiner Trottinetts die Bude ein.

Die Familie von Toneli Tondelli hat schon immer mit Fahrzeugen gehandelt. Urgrossvater Ugo bastelte diese berühmten Handkarren, auf denen Oliven zur Mühle gefahren wurden. Und sein Ur-Enkel frisiert nun also Trottinetts auf.

Er macht mich eben heiss darauf:

«Es ist ein wunderbares Fahrgefühl … Sie kommen überall durch … und stets weht der Loden im Wind…» Ich vermute die nette Rumbretterin hat ihm meinen Besuch avisiert.

Es gibt zwar kaum mehr Modelle aus meiner Kinderzeit, wo man mit dem rechten Fuss auf dem Brett stand. Und mit dem linken den Trott gab (deshalb: Trottinett!).

Die aktuellen Maschinchen sehen aus wie lang gezogene Stabmixer, denen einer Räder angedreht hat.

ICH BIN HIN UND WEG!

«Sie dürfen es ruhig ausprobieren», sagt Toni, der eigentlich Antonio ist.

UND MIRACOLO! Es ist ganz einfach: alles trottet automatisch. Und im Nu ist einer auf einer Geschwindigkeit, bei der man von Basel nach Rom nur noch zwei Stunden braucht…

Ich atme die abgasarme Luft ein, spüre, wie meine Nase in Erregung freudig tropft und der Loden sich theatralisch aufbläht …und dann kam diese Baustelle.

Ich aber wusste nicht richtig, wie und wo man bremst. Da lag ich auch schon wieder. Und musste tief gefallen mitansehen, wie sich der Kranführer über mir in den Wolken an die Stirne tippte. Und das Vogelzeichen machte.

Ich habe dann dem Toneli sagen müssen, dass wallender Loden doch nicht mein Ding sei. Er hat es kapiert und mir zum Trost noch einen drauf gegeben: «Bei einem Elektro-Trottinett ist die Gewichts-Belastung eh auf 100 Kilos limitiert…»

Um ihm doch noch eine Freude zu machen, habe ich einen Helm für den Preis einer Luxus-Weltreise gekauft.

Denn der Helm ist heute auch für Fussgänger wichtig. Zumindest, wenn er diese bessere Welt auf einem Trottoir überleben will…

Dienstag, 19. März 2019