Von Gwendolynern und der Flucht auf die Rigi

Illustration: Rebekka Heeb

Innocent schliesst den Koffer: «Ich bin dann mal weg!»

Ja klar.

Ist er immer, wenn das Fasnachtsfieber flimmert. Er kanns nicht damit. Fasnacht ist ihm ein Gräuel.

Als kleiner Bub hat er seine liebe Mutter bestürmt, er möchte gerne als Alti Dante an die Kinderfasnacht.

Die Mutter: «Das ist nur etwas für den Plebs!»

Der Vater: «Das Mommeli will damit sagen: Eine alte Tante wirst du schneller, als du glaubst!»

DER ALTE WAR EIN GESCHEITER MANN!

Aber Inncoent hat da einen Schaden davongetragen. Und fühlte sich an einer Fasnacht als Normalo ohne falschen Busen und Tantenrock immer «outside» und ausgegrenzt: «Man ist in dieser Stadt nie so einsam, als wenn die andern das Fasnachtsfieber überfällt. Und mit jedem Tag, mit dem es näher zum Vier-Uhr-Schlag geht, spürst du: Nein. Du gehörst nicht dazu … Das ist für die andern. ES IST RASSISMUS PUR … Einfach mit andern Vorzeichen … ABER DAS MUSS ICH MIR JA NICHT ANTUN! Und deshalb haue ich ab.»

Zusammen mit der Base und einer Freundin geht er ins Rigi-Haus.

Er schiebt am Fasnachtsmontag eine Zwiebelwähe in den Ofen. Und schaut Telebasel.

DAS DANN DOCH!

Vorher: Mehlsuppe. Aber nur Güggli: «Ich verfeinere da immer mit Wein. Das ist mein Spezialrezept …»

Es ist eigentlich eine Weinsuppe. Zum Weinen.

Ein einziges Mal hat sich Innocent in ein Kostüm gestürzt. Das war noch zur Zeit der Gwendolyner.

ABER WIR MÜSSEN GANZ VORNE ANFANGEN.

Die Gwendolyner waren sogenannte Pfeifer-Primadonnen.

Andersrum: Dreistimmig orgelten sie durch die Gassen. UND W I E SIE ORGELTEN!

Heute würden solche Pfeifer natürlich mit genau demselben Sound unter «ferner liefen» marschieren. Die Doppelaxel von damals sind heute vierfach geworden. Und der sechsfache Triller bei allen ein Muss. Aber damals machten die Leute schon bei unserem ARABI «aahhh» und «ooohhh».

Christoph Walliser schieb dem Trio gar einen eigenen Marsch: den Gwendolyner. Die Komposition war mit Kochrezepten durchwirkt. UND MIT VIELEN SCHWIERIGEN NOTEN.

Esthi und Annemarie waren meine beiden Tiefstimmen. Ich – natürlich – Sopran: laut und sehr schrill. Nun ja: DAS ÜBLICHE …

Innocent hatten wir zum Ehrenpräsidenten der Gruppe ernannt.

Dies verpflichtete ihn, alle drei Tage das Nachtessen für die Clique hinzublechen.

DAS WAR DEM ALTEN KNAUSERIAN EINE EHRE – DESHALB EHRENPRÄSIDENT!

Das Wunderbare am Ehrenpräsidenten war, dass er nur bezahlte. Und uns an den drei wunderbaren Tagen nicht auf die Eier ging.

Allein schon deshalb haben wir ihn zum Jubiläum hin zum EHRENPRÄSIDENTEN ausgerufen. Dies war ein grosser Fehler.

WIE KONNTEN WIR NUR SO DUMM SEIN!

Es gibt nichts Schlimmeres als Ehrenpräsidenten, die nichts mehr zu tun haben.

Denn jetzt besuchte uns Innocent an einer Pfeifer-Übung. Brachte ein Päckchen datamässig abgelaufene Fasnachtskiechli mit. Und erklärte sehr bestimmt: «Diese Jubiläumsfasnacht mache ich auch mit – JA WAS SAGT IHR JETZT?!»

Wir waren sprachlos. UND SCHAUTEN EINANDER NUR VIELSAGEND AN.

Wir hofften dann auf eine Grippe, Diarrhö oder zumindest einen Beinbruch auf Glatteis.

Innocent baute aus seinem aktiven Dabeisein jetzt eine Riesenkiste. Er wolle uns am Morgestraich überraschen. Er habe schon eine Kostümschneiderin organisiert.

Und Guschti würde ihm die Larve modellieren… Es köcherle da nämlich eine Idee in ihm…

Da ich Innocents Ideen kannte, schwante mir nichts Gutes.

ABER ICH MUSS ZU DEN GWENDOLYNERN KOMMEN!

DER NAME GING AUF EINE ENTE ZURÜCK. DIESE HATTE ICH IN DEN 70ER-JAHREN IN DER DAMALIGEN NATIONAL-ZEITUNG AUSGEBRÜTET.

Damals gabs noch zwei Ausgaben am Tag. Die Redaktion litt somit oft an Stoffmangel. Also brüllte der damalige Lokalchef: «70 Zeilen – in 15 Minuten!»

Und da spann ich dann eben kleine Geschichten, die von einem Enterich handelte. Der Erpel war Kommunist. Und liebte Marx sowie Rosinenschnecken.

HEUTE WÜRDE MAN BEIM GESCHICHTLEIN VON EINER KOLUMNE REDEN.

Damals hiess es einfach: «Mimpfele 50 Zeilen – aber dalli, dalli!»

DIE ZEITEN DER MEDIEN SIND DANN GROSSARTIGER GEWORDEN.

DIE KOLUMNEN NICHT.

Also – meine Zeitungsente «Gwendolyn» gab unserer Gruppe den Namen. Damit hatte es sich auch schon. Denn natürlich trugen wir weder Kopfladäärnli noch irgendwelche Requisiten mit Namen.

WIR WOLLTEN NUR EINES: WUNDERSCHÖN SEIN (die klassische Kostümkiste!).

UND WUNDERSCHÖN PFEIFEN!

Auf den Rest pfiffen wir!

Wir hatten vor dem Morgestraich im «Gifthüttli» abgemacht. Innocent wartete vor dem Eingang. Als er die Gwendolyner entdeckte, kam er aufgeregt auf uns zugewatschelt: «UND? Was sagt ihr jetzt!?»

WIR WAREN EINMAL MEHR SPRACHLOS!

Seine Kostümschneiderin hatte ihn in eine Ente verwandelt.

Die dünnen Beinchen steckten in rosigen Strümpfen. Oben wabbelte ein gestopfter Bauch. Und hinten ein spitzer Arsch mit Seidenschnipsel-Federn.

Und am Hintern hing ein leuchtendes Ei: GWENDOLYN.

Zu all dem hatte ihm Guschti einen Donald-Duck-Kopf entworfen.

«Na? Na? Na?», stürmte der Ehrenpräsident.

«ES IST SEHR GELUNGEN», SAGTE ESTHY. SIE WAR DER GUTMENSCH DER CLIQUE. «…AUSSER VIELLEICHT DIE GROSSE BOAFEDERSTOLA UM DEN HALS… DAS IST NICHT FASNACHT!»

«Sie hat mich 140 Eier gekostet!», jaulte Innocent auf.

Dann löffelten wir schweigend im «Gifthüttli» die frühe Mehlsuppe.

INNOCENT GAB DANN DAS MORGESTRAICH-KOMMANDO. Er hatte einen gerüschten Damenschirm als Majorstock: «…voorwärts …maaarsch!»

Vor Aufregung war er ein bisschen zu früh …UND SEIN RIESIGER DONALD-DUCK-KOPF ZUCKELTE AUFGEREGT, ALS WIR NICHT LOSLEGTEN!

Dann schlug es vier Mal. Und die Fasnacht kam wie eine Lawine über die Ente mit dem Ei am Hintern.

Die drei Pfeifer verständigten sich mit einem einzigen Blick durch die Larvenlöcher.

Als die Ehren-Ente vorne losmarschierte, marschierten wir auch. Aber sofort um die Ecke. Und dann nichts wie weg!

Wir drückten uns durch die Schneidergasse. Zwängten gegen den Cliquenstrom den Spalenberg hinauf. Und hatten erst wieder Luft, als wir vor dem Rosshof standen.

LEIDER WAR UNSER EHRENPRÄSIDENT IM MORGESTRAICH-GETÜMMEL VERLOREN GEGANGEN.

Er hat dann den Mittagszug genommen. Und war abends bei Base und Freundin auf der Rigi.

«NIE MEHR!» – hat er bei den beiden getobt!

Und deshalb jetzt: «Ich bin dann mal weg!»

Ich umarme ihn: «Hast du die Zutaten für die Zwiebelwähe…?»

Er seufzt: «Rosie bekommt so schnell Blähungen. Wir machen am Morgestraich Rührei…»

Nicht nur die Fasnacht verändert sich…

Dienstag, 5. März 2019