«JA KUMMENS NUR AUFFI…»
Das alte Männchen guckt unter einem Rock hervor. Der Rock ist noch ungebügelter als das Männchen.
Der Frack-Franzl hat in seinem riesigen Etablissement Hunderte von Frauenröcke rumhängen. Alle am Bügel.
Und alle mit einem Plastiksack bestückt. Darin sind nämlich die passenden Schuhe.
JEDER HAT GRÖSSE 40.
«…wenn d Schuueh zu gross und d Fiess zu klaan saan, hommer Eileeg-Sohlen dozu. So possts immer!»
UND WAS IST, WENN EINE ÜBER 40 HAT?
«Do hammer d Tronsvestiten-Obteilung…» – Das alte Männchen zeigt auf eine Ecke, deren Farben schreien wie losgelassene Regenbögen: «BAAM FRACK-FRANZL FINDENS IMMER WOS!»
Das Männchen taxiert mich nun listig.
Er sieht den karierten Mantel, den ich mir im Ausverkauf erstanden habe.
GUT – INNOCENT HAT MIR BEREITS AM TELEFON DIE OHREN ROT GEHUSTET: «WAR D A S JETZT NÖTIG … EINEN GRÜN-GELBEN MANTEL! MIT HANDGROSSEN CARRÉS…!»
«Er hat nur 30 Euros gekostet», brülle ich zurück, «FÜR DEINE ELEKTRISCHE POMMES-FRITES-SCHNEIDMASCHINE MUSSTEST DU DAS DREIFACHE HINBLÄTTERN. UND SIE STEHT IMMER NUR GANZ HINTEN IM KASTEN!»
Innocent setzt jetzt zur Jammer-Arie an: «…du bringst uns noch an den Bettelstab!»
Er bringt diese Zugabe in seinem Arien-Programm so sicher wie einst Pavarotti das «Nessun dorma» am Benefiz-Konzert.
«BETTELSTAB? Na und? Die Gehstöcke haben wir ja schon…», spritze ich mein Gift zurück.
Dann sagen wir noch, wie lieb wir einander haben.
Und hängen auf.
ALSO: DER GELB-GRÜNE KARO-MANTEL IST UNGLAUBLICH CHIC. ER IST DAS IDEALE OUTFIT FÜR EINEN ZIRKUSBESUCH. Oder für die alternative Trauerfeier, bei der die Witwe vorher anruft: «Bitte nicht in Schwarz…!»
Jetzt blinzelt mir der Frack-Franzl blitzgescheit zu. Winkt mich auf die obere Etage. Und führt mich zu den Transen-Fummeln: «Daa finden Sie gonz bstimmt wos… d Schuhgrössen saan bis zem 47/48.»
Für einen schrillen Moment, bin ich entzückt. Ich greife in die Vollen. Es ist der Himmel an Rüschen, Tüllwolken und Pailletten.
Ja, ich bin schon ganz in Ekstase («Haben Sie auch Korsetts?»), wie die kurzatmige Jana auf die Estrade keucht: «Franzl – dös isch mai neuer Galang. Der braucht kaaner Fummel net… er braucht a guats Wamserl zem Tonzen om Beggertorten-Boll.»
Der Frack-Franzl hebt nun seine gefärbten schwarzen Brauen. Und schaut fragend zu mir: «Saans gonz sicher… wollens sich dös antun?»
Bei einem kleinen Schwarzen – und das ist keine politisch korrekte Umschreibung für einen Kurzgewachsenen aus dem Kontinent Afrika, sondern es handelt sich beim «kleinen Schwarzen» um die Wiener Ausgabe eines kurzgedrückten Espresso – bei einem Tässchen Kaffee also erzählt mir der Frack-Franzl später, dass 60 Ballwinter seine Lebenserfahrung gestählt hätten:
«Da kummt aaner yyni und y konns gleich sehn: Der braucht kaa Frackerl net… dös iss der Typ fürs Tunten-Fummerl…»
Er schaut mich jetzt traurig an und seufzt: «Ober su vüül Erfohrig hooms die maischten Männer no nett – und denn homms auch suune schraiends Waibsbild daaba wies d Jana aas is. Se mieten a Smoking, domit d Welt im richtgen Tokt Wolzer tonzen konn…»
Jedenfalls: 200 Hämmer für die schwarze Hose mit Bauchbinde und Doppelmanschetten am Hemd.
Ich darf die Kluft drei Tage behalten. Samt der Lackschuhe – GRÖSSE 46 MIT ZWEI SOHLEN – und der silberfarbigen Fliege, die aber für meinen dicken Hals wirklich zu mager ist.
Ich kaufe mir dann beim «Gwandelhuber» an der Oper ein passenderes Schlips-Stück. Es kostet ein bisschen mehr als die ganze Smoking-Miete. Aber ich darf den Schlips ja auch behalten.
ALLERDINGS TRAGE ICH NIE SCHLIPS!
Ich bin nicht der Fliegen-Typ. Eher Klunker auf nackter Haut. Oder ein bescheidenes dreifaches Perlencollier.
ABER SCHLIPS AN DER GURGEL? SO ETWAS KANN NUR EINE FRAU ERFUNDEN HABEN!
Ich komme also von Fuss bis Bauch total ausgeliehen zum Bäcker-Ball.
Meine Freunde aus der Schweiz haben auf Facebook wunderbare Bilder von ihrem Walzer an den Wienerbällen gepostet. Sie machten Selfies am Akademiker-Ball. Am Regiments-Ball. Am Philharmoniker-Ball. Am Kaffeesieder-Ball.
Alle haben sie geballert und ein Selfie mit der Netrebko geschossen. Denn dieser fröhliche Ballz-Vogel mit Wahlheimatpass «WIEN» ist überall auch dabei.
Die Veranstalter konnten die Primadonna mieten, wie ich den Smoking beim Frack-Franzl. Die gute Frau muss ja auch von etwas leben können…
Der Bäcker-Ball war nun vielleicht etwas weniger pompig.
Dafür umso süsser.
Die Bäckerlehrlinge der Stadt haben zu Beginn ihre Rosinen-Schnecken aufs Parkett gebracht.
GELL – «ROSINEN-SCHNECKEN» IST LUSTIG. – Man nennt die süssen Debütantinnen so. Die Schnecken sind meistens noch nicht ganz aufgegangen. Und haben Akne-Pickel statt Rosinen.
Aber sie wischen die Böden mit ihren bodenlangen Röcken und den Schleppen daran.
Die Schleppen der Damen sind das Beste, was einem Wiener Putzinstitut passieren kann.
Immerhin wird auf diese Art nach dem grossen Fest durch die Schlepperei das ganze Grobwischen eingespart.
Wir schauen aus einer Loge des staatlichen Kasperl-Theaters dem frohen Treiben zu.
Jana seufzt immer wieder. «Ja – jung sollts maa noch mal saan… och die schöönen süassen Schneggerl…»
Die langen Stangenbrote daneben sind aber auch nicht zu verachten – obwohl ich den einen und andern gesehen habe, den der Frack-Franzl ganz bestimmt zur Transvestiten-Fummel-Abteilung geführt hätte.
Und dann ist es so weit – im Foyer des Theaters haben die Bäcker ihre Torten aufgebaut. Sie sind mindestens so farbig wie die Boafedern-Auswahl beim Franzl.
Zum Schluss wird mit Fanfarenstössen ein Riesenkuchen – ähnlich wie unsere Basler Fasnachtslaterne von vier Trägern geschultert –hereingetragen.
Alles applaudiert.
Ich denke, der Kuchen wird sich öffnen – und das Comité wird Frau Netrebko heraushieven.
ABER NICHTS DA.
DIE TORTE BLIEB STUMM. UND ZU.
DIE BÄCKER SCHNITTEN DAS GROSSE SÜSSE IN KLEINE, RAHMUMWÖLKTE STÜCKE.
ES GAB ÜBER 6000 TEILE.
Man durfte den Rest heimnehmen!
Ich kam so mit sieben Pfund Mokkatorte nach Hause. Dazu vier Meter Cremeschnitten mit Himbeer-Fondantglasur. Und dann noch drei Kilos leicht angebröseltes Mandelgebäck.
Diese süsse Seligkeit fiel wie verzuckertes Manna über mich – dies ohne dass ich auch nur ein einziges Mal mit Jana Walzer getanzt habe.
JANA WAR STINKIG UND SAUER.
ABER GOTT IST SÜSS UND GÜTIG.
UND ICH MEINE – DA HABEN SICH 200 EURO SMOKING-MIETE MEHR ALS GELOHNT!
Dazu hat mir der Frack-Franzl dann zum Abschied noch ein altes Gobelin-Täschchen in die Hände gedrückt:
«Dös schenk-y ihnen, waals so a sympathischs Monnsbild saan… s Tascherl hatt mol der olten Tortenhuberin ghöört…»
Ich erfahre, dass die Tortenhuberin eine gewisse Hortensia Fichtennadel aus dem zwölften Bezirk gewesen ist. Sie hat in eine Grossbäckerei eingeheiratet. War dann von der ersten Kardinalsschnitte an vornehm.
Und soll jede Torte, die in den Verkauf ging, eigenfingerig geprüft haben.
Ähnlich wie unsere Emmentaler-Käse mit einem Lochmesser durchbohrt werden, damit der Reifezustand gekostet werden kann, hat die Tortenhuberin in jede Buttertorte den Finger bis zum Boden reingesteckt. Und dann abgeleckt.
Wenn sie nickte, wussten die Bäcker: «Gut – die kann in den Verkauf!» Wenn sie aber mit den Augen rollte, machte sich alles aus dem Staub, weil die temperamentvolle Dame dann mit dem Prüfungsobjekt nach den Urhebern eines überzuckerten Sissi-Kuchens warf…
«S WOR SO E SYMPATHISCHS, VERFRESSENS LUADER WIE S NETREBKO ANNERL…»
Ach apropos – die Netrebko konnte an unserer Rahmtorten-Gala leider nicht im Kuchen sein, weil sie am selben Abend für den Nussschnitten-Ball gebongt worden war.