Von einer neuen Wohnung und der Ballsaison in Wien

Illustration: Rebekka Heeb

Jana ist eine schräge Trompete.

Irgend so ein Zapfen aus Böhmen im Spiel – Ungarn, Tschechien. Oder so.

ICH HABS NOCH NICHT GANZ RAUSGESCHÄLT, WO IHRE WIEGE STAND.

Aber sicher nicht an einem stillen Ort.

Denn Jana ist mehr schrill als still. Ihre Stimme heult wie eine dauerkreischende Holzsäge.

Jana ist meine neue Wiener Vermieterin.

Ich hätte es mir auch anders gewünscht. Mein Vor-Hausmeister war nämlich eine Seele von Mensch: so typisch wienerische Kaffeesieder-Gemütlichkeit. Alles mit einer feinen Schicht Kaiserglanz im hochgewichsten Schnauzer.

HERR ZEISERL HAT DAS ZEITLICHE GESEGNET. LEIDER, MUSS MAN SAGEN.

Viel zu früh wurde dieses alte Stück Kaiserglanz von einem kommunen Lastwagen flachgebrettert. Dass das Nummernschild albanisch war, tut nichts zur Sache.

Herr Zeiserl also schwankt auf dem Heimweg über den Währinger Gürtel.

Hinter ihm das überdimensionierte Plakat von Pinocchio. In der Volksoper bringen sie nämlich diese Holznasen-Oper. Und was tut der Zeiserl – in seinem Vollsuff kehrt er sich auf dem verkehrsreichen Pflaster noch einmal um. Und drehte dem Pinocchio eine lange Nase.

NATÜRLICH IST SO ETWAS KINDISCH.

ABER SAG DAS MAL EINEM, DER SCHON ZWEI FLASCHEN GRÜNEN TIROLER INTUS HAT.

Jedenfalls: Bremsen kreischen. Leute kreischen. Nur Zeiserl kreischt nicht mehr.

DER IST WEG.

UND MEINE PICHLERGASSENWOHNUNG MIT IHM.

Die Erbin, eine fulminante Nichte mit Namen «Reeserl» und einem Hintern so ein- wie ausladend, als wäre er eine überirdische Dampfnudel, erklärte mir, sie brauche die fünf Zimmer jetzt für sich. Sie sei eine alleinerziehende Mutter mit vier Bälgern.

DU BIST PERPLEX. UND FRAGST DICH NUR NOCH, WER DIESE DAMPFNUDEL BESTIEGEN HAT.

Da muss jemand ganz arg in Entzugsnot gewesen sein.

Nun – ich jammerte also mein schreckliches Los der Kassiererin von Billa in deren verfleckte Acryl-Schürze. Die zog meine Radieschen über den Scanner und riet mir: «Gehen’s zer Jana – die is immer für a Nummer guet… y glaub s Vieri top is no frei…»

Die Miet-Appartements in Wien haben alle Nummern.

Du bist somit der 6er. Oder der 3er. ABER IMMER TOP.

UND DER PÖSTLER RUFT NICHT ETWA: «HALLO – HERR BEBBERL, SAANS DAA?», sondern er brüllt durchs eisig kalte Treppenhaus: «TOP 3 – S PACKERL MIT DEN VERHÜTERLN IS AAKUMMI…»

Na ja – so in etwa.

Jana also offerierte mir TOP 4.

Wir alle wissen, dass Wien eine herzenswarme, aber winterlich stark unterkühlte Stadt ist. Ich hätte auch gleich auf die grosse Eislaufanlage vor dem Rathaus umziehen können.

«Zünden’s holt a Kerzerl on…», schrillte Janas Stimme fröhlich, als ich auf die Radiatoren wies, die so eisig waren wie Fischstäbchen von Findus aus der Truhe

Also habe ich mir um die Ecke beim Katholischen-Priester-Shop Tonnen von den roten Totenkerzen besorgt. Es sind diese Dinger, welche schon meine Römer-Freunde zu Füssen der Eingesargten entflammten. Das Licht soll den düsteren Weg zum andern Leben erhellen.

BEI MIR SOLLTE NUR DER WEG VOM BAD IN DIE STUBE ERWÄRMT WERDEN.

Dafür hätte es jedoch sämtlicher ewiger Lichter Italiens bedurft.

Jana schleppt abends dann eine runde Flasche zu TOP 4. Auf dem Etikett funkeln sechs blaue Zwetschgen. Und schon beim ersten Schluck weiss man, weshalb die blau sind.

JEDENFALLS HAT DIE SACHE STARK EINGEHEIZT. BESONDERS BEI JEMANDEM, DER SONST NUR STILLES WASSER TRINKT.

Jana erschien im ausgeleierten, speckigen Trainingsanzug. Dieser zeigte eine Farbe, die man «Schale Gold» (in Wien: «verlängert hell!») nennen könnte. Erst später habe ich gemerkt, dass der Grundton eierschalig und das Bräunliche tatsächlich «Schale Gold» war.

JANA ALSO BEGANN MICH ANZUBAGGERN.

NUN GUT – MEINE DEOS WAREN GESPRAYT UND DIE ZÄHNE DRIN. DA MACHE ICH NOCH IMMER ETWAS HER. JEDENFALLS FASSTE SIE MEINE HAND: «Wulln S mit der scheenen Jana on den Bäckermeister-Boll, Herr Minerl… dort homm’s dann schöön worm baam Obtaanzen.»

ALSO SOOO KALT WAR MIR NUN AUCH WIEDER NICHT!

Ich sagte das, was ansonsten jede Frau zu ihrem Mann sagt, wenn er sie zum Betriebsfest mitnehmen will: «Ich habe nichts anzuziehen.»

«Ma geh!», klatschte mir die «Schale Gold» ihre fette Pranke auf den grazilen Rücken. «Des is kai Probleem net… mer gehn zem Frack-Franzerl. Dort homms d Ball-Hoosen in ollen Grössn auf Pump…»

Da erst wurde mir klar, woher der Name «Pump-Hosen» kommt.

DOCH SO ETWAS MUSS ICH JETZT WIRKLICH NICHT HABEN: EINE GELIEHENE SMOKINGHOSE, NUR UM MICH AM BÄCKERBALL HEISS ZU TANZEN!

«Liebe Jana…», ich drücke ihr etwas pikiert die Hand von meiner Schulter weg. Sie knetet mich schon. Und schüttet immer mehr von diesem tschechischen Zwetschgen-Gebräu nach.

«Liebe Jana… ich habe Probleme mit meinen Füssen … leider kann ich nicht mehr tanzen …schauen Sie sich die beiden Flundern an… da dreiviertelt nichts mehr im Walzertakt und…»

Wieder knallt sie mir ihre Würstchen auf den Rücken: «Mer gehen duch net wegen dem Wolzer – mer gehen wegen der Torten. S GIBT IN WIEN KAAN BALL, WO S KUACHEN-BUFFET SU DUNNERS-GROSSARTIG IS WIE BAI DEN BÄCKERN!»

Kuchenbuffet?

VIELLEICHT GAR MIT KARDINALSTORTEN?

«Sind die Wienerball-Strudel ofenheiss?», frage ich.

Und stehe in Gedanken bereits in der ersten Reihe am Buffet.

«So haass wie die fesche Jana…», prostet mir die neue Wirtin jetzt zu.

MORGEN GEHE ICH ZUM FRACK-FRANZL!

Dienstag, 19. Februar 2019