Hypochonder

«Lore!»

Lore war in einem Traum.

Es war der Traum der Träume: Ein Diener brachte ihr einen Espresso ans Bett.

DER KAFFEE WAR ITALIENISCH UND HEISS.

DER DIENER AUCH.

Manchmal war Lore von dienstbeflissenen Geistern umgeben. Ihr grosszügiger Gatte weckte sie mit dieser kleinen blauledernen Geschenkbox, in der die Diva im Film von ihrem Liebhaber stets einen 18-Karäter überreicht bekam.

SO MACHTE ERWACHEN SPASS.

Aber eben: alles Träume!

Die Wirklichkeit war eine jetzt energische Stimme, die sie von dem heissen Espresso-Diener wegriss: «Lore – wach endlich auf!» Das eben noch laute Bellen brach wieder in ein klägliches Flüstern zusammen: «Ich bin krank...!»

OH NEIN. NICHT SCHON WIEDER!

Lore kannte das.

Wenn ihr Alter zum Fiebermesser griff, bedeutete dies: Zwieback…Essigwickel…und Drama!

Deshalb: «Du bist ein mieser Hypochonder, Hugo Abächerli. Ich bin überzeugt, du hast nicht mal Temperatur…»

Er protestierte stöhnend: «Ich habe 36,6 – und dies obwohl ich eher der coole Typ bin!»

«ACH JA? GESTERN WARST DU NOCH GANZ IM SCHUSS, ALS DU DER UNGARISCHEN SERVIERTOCHTER STIELAUGEN GEMACHT UND GLEICH VIER SLIWOWITZ RUNTERGESPÜLT HAST!»

Seine Hand tastete nach der anderen Bettseite: «Ach Lore, sei nicht so kalt zu deinem lieben Hugo. Ich glaube fast, der könnte jetzt einen Eggnog vertragen…»

«DU KANNST DIR DEINEN EIERPUNSCHWUNSCH AN DEN SACK STECKEN! ICH BIN KEINE UNGARISCHE SERVIERTOCHTER…»

Jetzt wurde Hugo aber stinkig:«WER IST HIER EIGENTLICH DER HERR IM HAUS?!»

Dann jammert er bereits wieder: «Ich könnte in einer Stunde tot sein. Du würdest diese bösen Worte ein Leben lang bereuen…»

BEREUEN? – NICHTS WÜRDE SIE!

Als Erstes würde sie sich einen kraftstrotzenden Lover nehmen. Und als Zweites würde sie den Fiebermesser entsorgen, den Hugo bereits wieder unter der Zunge liegen hatte.

Hugo schälte das Instrument aus dem Mund: «Es sind jetzt fast 36,7…ich werde mal Doktor Marti anrufen …»

«NICHTS WIRST DU! WEGEN WEICHEIERN WIE DIR STEIGEN DIE KRANKENKASSENPRÄMIEN…!»

«Mein Fieber steigt auch…», wehrte sich Hugo kläglich.

«ICH MACHE MIR JETZT EINEN ESPRESSO!», erklärte Lore energisch.

«Wenn ich vielleicht einen dünnen Nierentee…», hörte sie ihn noch.

Genervt schüttelte sie vor der Kaffeemaschine den Kopf: «WO HATTEST DU AUCH DEINE AUGEN – LORE MÜLLER?!»

Schon in jüngsten Ehejahren hatte Hugo den Hypochonder rausgehängt. Mal spürte er einen kommenden Infarkt. Mal hatte er eine dreifache Lungenentzündung. So hatte er Lore nonstop auf Touren gebracht.

Sie liebte ihn. Und sie litt mit ihm. Bis sie merkte: hysterisches Theater!

ABER SAG DAS MAL EINEM, DER SCHON BEI EINEM KLEINEN RASIERKRATZER OHNMÄCHTIG VOR DER NOTFALLSTATION ZUSAMMENBRICHT…

Na gut – sie holte ein Teebeutelchen. Und brachte Hugo die dampfende Teetasse ans Bett: «Und jetzt will ich nichts mehr hören!»

«DU GUTE!» Er lächelte schwach. Und steckte ihr ein kleines Geschenkpäckchen zu: «HOCHZEITSTAG, LORE!»

Sie hatte das Datum verdrängt – war jetzt aber doch gerührt: Hugo hatte auch seine guten Seiten…und hier gar Schmuck!

Ein Armband?

Sie zupfte das Paket auf.

EIN FIEBERMESSER!

«Das neuste Modell», sagte erstolz.

«Gib ihn mal her…ich glaube fast, bei dem komme ich auf satte 36,8!»

Freitag, 25. Januar 2019