Der Kutscher

Rosario zog an seinem Toscano. Der Stumpen war längst erloschen.

«Wie ich», dachte der Kutscher bitter. Der Zoff mit Sohn Carlo hatte ihm erneut eine schlaflose Nacht verschafft.

Sein Sohn wollte, dass der Alte endlich mit der Kutsche aufhöre.

ROSARIO WOLLTE DAS NICHT.

Ein Leben lang hatte er Gäste mit Lara durch Rom gekutscht.

Es war ein gutes Leben gewesen.

«Du und Lara seid zu alt für den Job, Papa …», hatte Carlo getobt.

Klar. Der Junge hatte nie in seine Fussstapfen treten wollen.

«Ich wills mal besser haben», hatte er ihm erklärt. Und sich auf Raten ein Taxi gekauft – die Kutsche der heutigen Zeit!

Rosario schnaubte verächtlich. Was hatte sein Sohn davon: ewiger Nervenkrieg … mit der Konkurrenz … mit der Gewerkschaft … mit den Velofahrern, die plötzlich auf Roms altem Pflaster herumradelten.

RESULTAT: HERZINFARKT MIT 42 …!

Rosario streichelte die alte Lara: «So lange wir können, packen wirs – du altes Luder!»

Lara lachte. Sie hatte nur noch zwei Zähne.

Okay. Auch für Kutscher war das Römer Leben nicht einfach nur Postkarten-Idylle. Touristen jagten in Herden durch die Stadt. Und verbrachten die Nacht in Aussenquartieren, wo die Betten günstiger waren.

Überhaupt – alles reiste. Aber niemand hatte mehr Geld. Und eine Kutschenfahrt war teuer. Das leisteten sich nur noch wenige.

Dennoch – wieder streichelte Rosario dem Pferd den Kopf: «Wir halten durch, Lara!»

Es war an einem sonnigen Januar-Mittag, als Rosario eine Vierer-Gruppe Japaner in seiner Kutsche zur alten Via Appia brachte.

Bei einem der grossen Römersteine brach eines der hinteren Kutschenräder. Die Japaner schrien entsetzt auf.

ROSARIO SPRANG VOM BOCK. UND BRACH VOR DER TOURISTENGRUPPE ZUSAMMEN.

Ein schöner Tod – das immerhin.

Die Polizei alarmierte Carlo. Der jagte mit seinem Taxi herbei. Er organisierte den Abtransport der Kutsche. Und liess Lara wegbringen.

Am Abend stand die Familie in der alten Hütte des Vaters herum. Mimmo, der Kleine, weinte. Er hatte seinen Grossvater geliebt. Und wäre gerne Kutscher geworden.

Nun umarmte er den alten Gaul. Und heulte auf dessen Nase.

Auch das Pferd hatte Tränen in den Augen.

«Die Kutsche ist nur noch Schrott», knurrte der Vater in der eiskalten Küche. «Die wird entsorgt. UND LARA? … DIE BRINGT’S NICHT MEHR … WERDEN WIR WOHL ABTUN MÜSSEN …»

«Papa!», schrie der kleine Mimmo auf. «Das kannst du nicht tun! Ich will Kutscher werden …»

«Che sciocchezza! – HÖR AUF MIT DEM BLÖDSINN!», tobte der Vater genervt. Und hielt die Hand an sein Herz. «Du weisst, dass ich mich nicht aufregen soll …»

ALS DER PFERDEHÄNDLER LARA ZUR SCHLACHTBANK ABHOLEN WOLLTE, LAG DAS PFERD TOT IM STALL.

So musste Carlo nur noch die Kutsche verschrotten lassen.

MIMMO SPRACH KEIN WORT MEHR.

Drei Wochen später alarmierte die Taxigesellschaft Carlos Frau, ihr Mann habe sich bei einem Stau in der Stadt so aufgeregt, dass er mit einem zweiten Infarkt ins Spital eingeliefert worden sei.

Mimmo und seine Mutter warteten vor der Intensivstation.

Der Arzt kam auf sie zu. Und verwarf die Hände: «Da ist kaum mehr etwas zu retten, Signora!»

Zum ersten Mal öffnete der Kleine jetzt wieder seinen Mund: «Verschrotten. Und abtun!»

Kinder vergessen nicht.

Freitag, 18. Januar 2019