Von der lebendigen Krippe und Liesels Holz vor der Hütte

Illustration: Rebekka Heeb

«WILLST DU WIRKLICH GEHEN?»

Innocent schaut genervt von seinem Buch hoch: «Wir gehen doch immer – weshalb nicht auch dieses Jahr?»

Er negiert sein Alter.

Er negiert die Gehstöcke.

Er negiert meine Einwände.

«ES SIND IMMERHIN ÜBER 300 STUFEN. S E H R S T E I L E STUFEN, MEIN LIEBER… UND DU WACKELST BEIM GEHEN WIE EIN KAHN AUF HOHER SEE…»

In solchen Momenten hört er nichts. Er schaut einfach in sein Buch. Und: «Hast du etwas gesagt?»

WUNDERT SICH EINER NOCH, DASS ICH MIR IM FRUST SPECKGÜRTEL ANFRESSE?!

Immer an Weihnachten und am Dreikönigstag macht unser kleiner Hafenort auf Hollywood.

Geht so: Das Centro Storico wird zur Kulisse. Und die Leute von Porto Ercole sind die Protagonisten.

Sie spielen Bethlehem. Oder eben das, was sie sich unter Bethlehem vorstellen, als Maria mit dem Esel kam.

Schon seit Mitte Dezember ist mit Gianni nicht mehr zu sprechen. Er glänzt durch Abwesenheit. Und wettert am Telefon: «Für einmal könnt ihr euer Brennholz selber hacken… ist ja keine Sache!»

KEINE SACHE?

Er nimmt das Hackbeil immer nach Hause. SOLL ICH MIT EINEM BROTMESSER DIE PINIEN IN STÜCKE SÄBELN…?

Also hocken wir vor 100 Kerzen. Wärmen uns vorne die Finger lau. Und frieren hinten den Hintern ab. Dies alles nur, damit Gianni einen der drei Könige spielen kann!

AUSGERECHNET D E R!

Er wählt stets die Sozialisten!

Auch meine drei Frauen, die für die Ordnung in der Hütte zuständig wären, sind weg.

Die eine hat Grippe.

Die andere eine tote Grossmutter.

Und die dritte einen bösen Zahn.

TATSACHE ABER IST, DASS DIE WEIBER SEIT TAGEN AN IHREN KOSTÜMEN SCHNEIDERN! Sie mimen im Hollywood-Bethlehem am Hafen drei fröhliche Bäckerinnen, die Weissbrotschnitten in Olivenöl rösten. Und diese an die Touristen für den sündigen Preis von drei Euro fünfzig verschachern.

ICH BRAUCHE NICHT ZU ERWÄHNEN, DASS ES U N S E R OLIVENÖL IST!

Natürlich ist auch meine Hütte voll.

«A lebendige Krippe loss y mer net nehmen!», hat Liesel gejubelt. Und reiste mit grossem Gepäck an.

Nun bin ich auch noch die Putze, der Koch und Wärmespender unserer Gäste.

Der Einzige, der glücklich lächelt, ist Innocent, der sich am Busen der Geliebten wärmt. Der Herr Graf, ihr lottriger Alter, hält sich mit Schnaps heiss.

UND GOTTLOB HABEN WIR EINEN GASBACKOFEN, DER ZUMINDEST IN DER KÜCHE EIN BISSCHEN WOHLNESS RAUSFLAMMT. NACH DREI TAGEN IST DIE GASBOMBE ALLERDINGS LEER. DAS EINZIG VOLLE IM HAUS SIND JETZT NOCH INNOCENT UND DER HERR GRAF.

Wie gesagt: Ich bin etwas säuerlich. Denn die Nach-Weihnachts-Tage auf der Insel habe ich mir sonniger vorgestellt. Die Realität sind auch schon erste vorfasnächtliche Mimosen-Kügelchen am Tag. Das schon. Doch nach Sonnenuntergang herrscht hier Sibirien! Und dort, wo einst Tomaten an den Stauden in der Sonne dörrten, tragen die Wildschweine Chinchilla.

Zurück zum Hallodri mit dem kaputten Knie. ICH WILL NICHT HADERN. UND VERSUCHE NETT ZU SEIN. DESHALB: «…mit deinen ausgeweideten Kniescheiben schaffst du die steilen Wege nicht mehr!»

Jetzt schaut Innocent beleidigt: «Die Liesel ist meine Stütze!» Dann schmachtender Blick zu dieser Salzburger Tusse, die in einem Nerz auf der Couch liegt und die «Kronen»-Illustrierte durchblättert.

Der Nerz ist so falsch wie die Giftschleuder, die ihn trägt. Sie schleimt auch schon zurück: «DICH AN MEINER SEITEN! ACH BUABERL – DAVON HOB Y DOCH IMMER TRÄUMT… DIE LIESEL WIRDS OLLEWEIL DEI STÜTZEN SEIN!»

Okay. Mozartkugelsüsse Romantik! Jetzt habe ich aber das letzte Mal ihr Badezimmer geschrubbt,

Liesel erhebt sich nun, ganz Queen Mum, aus dem Polster: «WENNS IHR WOLLT UND DER KLAANE GIFTZWERG SECH NET AINIMISCHT, BOCK ICH PALATSCHINKERLN…»

Nein, ich will die Dreckschleuder nicht an meinem Herd. Lieber taue ich gefrorene Pouletschenkel EIGENHÄNDIG mit meinen warmen Fingern auf!

Natürlich hat Innocent dann seinen Betongrind durchsetzen müssen: Wir nehmen ein Schlückchen in Bethlehem. Das sind wir unsern Leuten schuldig!»

Die grosse Bethlehem-Show beginnt beim alten Stadttor. Die Herrenriege der Bodenturner empfängt die Besucher in römischen Kriegerkostümen. EIN BISSCHEN ROM MUSS IMMER SEIN. DA KOMMEN DIE ITALIENER NIE DRUM RUM.

Die Männer tragen knappe Lederjunten und bronzene Panzer um die Brust. UNTEN SIND SIE NATÜR.

Ihre nackten Füsse sind so schmutzig wie Liesels Fantasie – und die Beine gehen schon langsam ins Bläuliche. Ein eisiger Wind vom Meer lässt unterhalb der Römerbäuche keine Freude aufkommen.

Die Krieger rufen bibbernd «Hohohooo» – was nicht etwa der fröhliche Ruf des Weihnachtsmanns, sondern ein Schlachtgebrüll andeuten soll.

IST JA KLAR, DASS DIE LIESEL HIER IHRE SHOW ALS MANNSTOLLE STUMMFILM-IKONE ABZIEHEN MUSS!

Vergessen ist Innocent an den Stöcken – vergessen ihr tatteriger Alter, dessen Zähne in der Kälte klappern wie Kastagnetten in Sevilla.

Sie stiert so ausgehungert auf die Bronze-Männlein wie unsere Insel-Katzen auf die Dosen von Sheba.

Endlich rafft sie ihren Kunststofffummel. Und macht die Talmi-Römer an: «Ihr schauts heiss aus. Dös kann a süässes Waiberl wie s Lieserl in so schweinikolten Zeiten brauchen…»

DAS RÖMISCHE HEER LÄCHELT GEQUÄLT. ES VERSTEHT NUR BAHNHOF. DIE KRIEGER SCHICKEN UNS ZU DEN STUFEN, DIE ZU DEN DREI KÖNIGEN FÜHREN SOLLEN.

Unterwegs treffen wir auf meine drei Hausweiber – sie sind aufgepfeffert wie diese Tussen, die in der Bachelor-Show anschaffen. Und man muss eine grosse Fantasie haben, um in meiner lieben, alten Lida eine Brotbäckerin aus Bethlehem zu sehen. Sie erinnert vielmehr an Irma la Douce beim Täschchen schwingen.

Wir suchen den dritten König.

Die drei Damen zeigen nach oben: «Dort steht Gianni als Melchior… sind nur noch 136 Stufen!»

SIE SCHAUEN DANN ETWAS VERUNSICHERT AUF DEN SCHWANKENDEN INNOCENT, DER DIE KNIESCHEIBEN REIBT. UND AUF DEN GRAFEN, DER BLASSER IST ALS IHR FLADENBROT. «Gianni hat Grappa dabei…», feuern sie die beiden an.

Sie hätten bei einer Saturnrakete auch die Zündung starten können.König Melchior trug dann einen wunderbaren Samtmantel, der einst unser Stubenvorhang war.

Er offerierte allen vom Schnaps aus königlichen Pokalen. – «Das ist u n s e r Grappa!», zischte Innocent.

«Das sind die Zinnbecher meines Vaters», zische ich zurück.

DOCH BEREITS HÄNGT LIESEL IM SAMT: «Ohhh Gianni… so a heisses Monnsbild! Y werd ja norrisch…»

DANN FLÜSTERT SIE IHM ETWAS INS OHR. UND ER FLÜSTERT MIT FEURIGEN BLICKEN ZURÜCK.

Fragend schaue ich zu unserer Salzburger Geierwally.

«Morgen kummt er vorbei und hockts uns Holz vor der Hütten, dess mer net einifriere…!», lacht sie.

UND SO HAT LIESELS HOLZ VOR DER HÜTTE DOCH AUCH SEINE GUTE SEITEN!

Dienstag, 8. Januar 2019