Vom Selberscannen und verhasstem Broccoli

Illustration: Rebekka Heeb

Der Mann holte mich am Lift ab.

«Wunderbar – ich kenne Sie! Sie sind doch ein technisch versierter Mensch!»

DER KANNTE MICH N I C H T!

ALLES NUR BILLIGE ANMACHE!

Ich war auf der Hut.

Man hört immer wieder, wie diese jungen Männer alten Tucken das Portemonnaie klauen und …

«ICH BIN VOM SUPERCENTER. MEIN NAME IST CARLO. HERZLICH WILLKOMMEN. HEUTE SCANNEN WIR EINMAL SELBER EIN.»

Carlo sieht gut aus. Ich weiss nicht, wo das Supercenter solche Männer findet. Vermutlich im Mucki-Turnen. Oder im Unterhosen-Katalog. Der hier sieht jedenfalls aus wie Omar Sharif nach der Pubertät.

Super-Carlo bleckt jetzt seine Zähne, die natürlich weiss und nicht etwa frisch aufgehellt sind: «Das Alter ist keine Entschuldigung … Gestern habe ich gar einen 89-Jährigen eingeführt.» Jetzt schaut er mich etwas unsicher an: «Sie sind doch noch keine 89, oder?»

ALSO JETZT KLATSCHE ICH DEM ABER EINE INS GEHÄNGE! DA SCHMIERT MAN FÜR EINMAL DIE FALTENCREME NICHT DRAUF. UND SCHON STEHST DU BEI SOLCHEN SCHNÖSELN JENSEITS DES REGENBOGENS!

«Ich bin 59», sage ich. Ziehe Backen und Bauch ein. Und habe schon keine Luft mehr.

ALSO LASSE ICHS RAUS: «Ich hatte eine böse Frühherbst-Grippe. Deshalb spielt bei mir jetzt alles ein bisschen ins Zertrümmerte.»

«KEIN PROBLEM, JUNGER MANN», schleimt Center-Boy Carlo. Und schaut mich so kritisch an wie ich das Joghurt-Becherchen, wenn das Frischedatum im vorletzten Monat abgelaufen ist.

Dann versucht er es auf die joviale Art der Stationsschwester: «WAS WOLLTEN WIR DENN EINKAUFEN?»

W I R? – Nein, i c h will! Und zwar Cenovis. Für meinen Freund Innocent.

Ohne Cenovis geht der mir nicht in den Tag. Es ist eine Macke. Aber schon Rockefeller und Winston Churchill tickten eigenartig beim Frühstück.

UND SIE SIND MIT MACKE ALT GEWORDEN!

«Also…», der Super-Boy strahlt mich an wie ein Atomkraftwerk, «…dann zeige ich Ihnen jetzt, wie das alles künftig einfacher geht. Haben Sie Ihre Supercard dabei?»

Ich habe sie immer dabei. Aber ich vergesse sie konstant der Frau, die mir das Huhn über den Scanner zieht, zu präsentieren. So gehe ich mit Huhn – aber ohne Punkte.

Ich knüble das Scheibchen aus dem Visitenkarten-Fach des Portemonnaies. Carlo streckt es irgendwelchen Strahlen an einer Automatenwand entgegen.

«Hier – Sie müssen mit ihrer Karte immer 15 Zentimeter vom Einscanner entfernt stehen. Sonst funktioniert es nicht.»

ES FUNKTIONIERT AUCH S O NICHT. DER JUNGE MANN GIBT DAS BESTE – ER VERSUCHT ES IN ALLEN STELLUNGEN.

Aber nichts passiert!

«Ach Gottchen», kichere ich, «ich glaube, das ist die falsche Karte. Die habe ich mal abgemeldet, weil mir das Portemonnaie gestohlen wurde…»

Carlo schaut nun mit diesem Blick, als wäre der Joghurt schon vor einem halben Jahr abgelaufen.

Ich strecke ihm hurtig die neue «Card» hin. Und siehe da – «dlagg». An der Wand mit diesen vielen Apparätchen, die wie schwangere Stafettenstäbe aussehen, geht mir ein Licht auf.

«DAS IST IHR EINSCANNER», strahlt der Mann. «Wollen Sie es mal versuchen – brauchen Sie Broccoli?

Ich mag keinen Broccoli. Wir mögen alle keinen Broccoli. Irgendwie erinnert das grüne Kohlsträusschen immer an die Spitalkost nach einer Appendix-OP.

ABER MAN KANN JA NICHT SO SEIN – INSBESONDERE DA DER SUPERMANN BEREITS ARG SCHWITZT.

Also tu ich so, als ob wir alle heiss auf Broccoli wären. Und: «Da müssen Sie den Strichcode wiederum 15 Zentimeter von den roten Glühlämpchen entfernt halten. Jetzt auf den gelben Knopf drücken. Fertig!»

«Piiiip», sagt das Gerätchen.

Und «merci», bedanke ich mich bei ihm. Und ein «Merci» auch an den Broccoli, der hier auf den Strich geht.

Hat Spass gemacht. Deshalb gehe ich noch zur Butter … «piip» … zum Magerjoghurt … «piip» … zur Bio-Eierschachtel … «piip» … «piip».

Der junge Mann verwirft die Hände: «Jetzt haben Sie das z w e i Mal gescannt, aber Sie haben nur e i n e Schachtel Eier im Korb … Also müssen wir es annullieren.»

WIEDER PIIIP. UND PIIIP MINUS. UND PIIIP TOTAL.

Innocent sollte sich an Super-Carlo ein Beispiel nehmen – so aufmerksam wie der bei meinen Eiern ist. Und mir jetzt die Poulet-Brust zeigt: «Aktion. Bio. Ist immer zu empfehlen…»

Also wenn wir schon einmal am Scannen-Pauken sind, dann bitte richtig. Dort hats auch Ravioli-Büchsen. Und bei denen ist der Strichcode nicht so verwurstelt wie vorhin beim Päckchen mit den eingeschweissten Radieschen.

Der Wagen ist bis zum Rand voll. Und der Strahlemann führt mich zu einer Wand, wo ich den schwangeren Stafettenstab einfach – 15 Zentimeter Abstand! – vor die roten Glühaugen halten muss.

DINGDONG – schon sagt mir die Wand, ich hätte 83.45 Franken ausgegeben. Und ob ich mit Karte berappen möchte?

Ich habe noch ein kleines Schwätzchen mit dem elektronischen Bildschirm. Und verabschiede mich herzlich: «Also – bis zum nächsten Mal. Eine schöne Woche noch…»

Der Bildschirm sagt gar nichts. Aber irgendwie hat man das Gefühl, er winke einem nach.

Schliesslich nickt mir Herr Superman zu: «Das nächste Mal kann es der Opi aber alleine, gell!»

Dann zupft er mir den Scannerstab aus der Hand. Und macht sich an eine Alte am Stock: «Hallo schöne Frau… Ich kenne Sie, Sie sind doch eine technisch versierte Lady…»

Fünf Minuten später macht es «piip».

Und die schwangeren Stafettenstäbe vibrieren.

Zu Hause jammert Innocent: «Wo ist mein Cenovis? Du hast das Cenovis vergessen!»

Ok.

Dafür hats Broccoli!

Dienstag, 18. September 2018